Klaus Ulaszewski

Selbstverständlich Pistolen


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wie resolut zugleich erscheint sie ihm. Unter der knappen Bluse zeichnen sich die winzigen Erhebungen ihrer flachen Brüste ab. Sie trägt einen blassgrünen Leinenrock, der eine Handbreit über dem Knie endet, und läuft barfuß. Der unprätentiöse Kurzschnitt ihrer dunkelbraunen, zu einem scharfen Seitenscheitel gelegten Haare, lässt ihr ohnehin schon schmales Gesicht noch zarter erscheinen. Vielleicht deshalb wirken ihre dunklen aber vergnügt dreinblickenden Augen ebenso einnehmend wie dominant. Ihrer strengen, knabenhaften Gestalt setzt sie eine Gestik unbeschwerter Leichtigkeit entgegen. Er schätzt sie auf Anfang Dreißig.

      »Hola, Señor. Ich heiße Caren Gonzalez. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?« Sie zeigt ein Gute-Laune-Lächeln und streckt ihre Hand entgegen.

      »Angenehm, von Ketteler, Hans von Ketteler«, erwidert er mit gewichtigem Tonfall, beugt den Kopf herunter und ergreift eine zierliche, um den Daumen herum mit einem dezenten Rosentattoo verzierte Hand. »Bitte entschuldigen Sie, dass ich einfach so ..., ohne Anmeldung ...«

      »Das ist kein Problem«, unterbricht Frau Gonzalez, während sie eine einladende Armbewegung vollführt.

      »Danke, sehr freundlich«, entgegnet von Ketteler und leitet mit auf dem kahlen Hinterkopf rotierender Hand sein Anliegen ein. »Nun, ...«, beginnt er stockend, »der Grund meines Besuches beruht auf einem Vorhaben, das ihnen vermutlich - formulieren wir es einmal so - etwas unkonventionell erscheinenden mag. Aber wer sonst, wenn nicht Ihre Agentur, wäre der Herausforderung gewachsen, mich bei der Erfüllung meines Wunsches zu unterstützen. Ihr Portfolio, ihre Referenzen ... Na ja, und wenn es auch noch menschlich passt ...« Er schaut Frau Gonzales in die Augen und lächelt. »Doch an diesen vagen Zweifel verschwende ich schon jetzt keinen einzigen Gedanken mehr.«

      »Danke für die Blumen«, erwidert Frau Gonzales grinsend.

      »Leider, so befürchte ich«, erklärt von Ketteler wieder ernsthaft, »wird mein Wunsch sogar Spezialisten wie Sie vor eine heikle Aufgabe stellen.« Dabei wirft er einen prüfenden Blick in die Räumlichkeiten, als könne er dadurch erkennen, ob dem wirklich so sei.

      »Si, Si, das kennen wir«, antwortet Frau Gonzales. »Nicht wenige unserer Auftraggeber halten ihr Anliegen für unerfüllbar. Ihre Bedenken sind verständlich - aber auch hilfreich. Sie vermeiden utopische Vorstellungen, verstehen Sie. Die Aufgabe erhält ein solides Fundament. Kein Grund zur Sorge also, denn bisher ....« Frau Gonzalez unterbricht sich, schaut in Richtung eines Mannes, der jenseits einer den Raum teilenden Glaswand vor einem Schreibtisch sitzt, und fährt fort. »Bisher konnten wir alle an uns gestellten Aufgaben erfolgreich lösen und glückliche Auftraggeber verabschieden«, erklärt sie, ohne dass es anmaßend klingt. »Nehmen Sie einen Augenblick Platz, por favor. Herr Delius wird Sie gleich zu einem Gespräch bitten.« Sie deutet auf eine Sitzecke neben dem Eingang - abgesehen vom Tresen die einzige Möblierung des hallenartigen Empfangs. »Möchten Sie Kaffee, Tee, ein Wasser?«

      »Gerne einen Tee. Schwarz, bitte.«

      Von Ketteler gleitet in den Loungesessel und schaut sich um. Die gläserne Wand trennt den ehemaligen Särge-Schauraum in einen etwas schmaleren Empfangs- und einen tieferen Bürobereich. Dessen Belichtung verliert auf dem Weg vom Hof über den Empfang bis zu den Arbeitsplätzen an Intensität und wird von drei Oberlichtern ergänzt. Unter jedem steht ein Schreibtisch mit Lampe, Telefon und Flachbildschirm.

      Frau Gonzalez öffnet die Tür zwischen Empfang und Büro. Im Rahmen bleibt sie stehen und informiert den Mann - offenbar Herr Delius -, der kurz herüberschaut und vage lächelt. Gleich darauf kehrt sie zurück, zwinkert von Ketteler zu und verlässt den Empfang durch eine von zwei Türen hinter dem Tresen, über der eine Digitaluhr die Zeit angibt - 10:01.

      Zwei Minuten später serviert sie von Ketteler den Tee auf dem Beistelltisch. »Pur, ohne Zucker, ohne Milch, ¿no es cierto?«

      Es ist Montagmorgen und Peter Delius auf Besuch nicht eingestellt. Erst gestern hatte er einen Auftrag zum Abschluss geführt. Im Gegensatz zu seinen Kolleginnen war er als Projektleiter bis zum Ende involviert, und der letzte Tag - üblicherweise der Höhepunkt eines Projekts - erforderte alle Aufmerksamkeit. Er kämpft mit der Müdigkeit. Zum Glück folgt dem Tag nach einem abgeschlossenen Auftrag lediglich das Aufarbeiten des E-Mail-Verkehrs. Erst am nächsten Morgen steht die gemeinsame Projektanalyse mit den daraus folgenden Anregungen für zukünftige Aufgaben an.

      Nur Caren Gonzalez und er arbeiten heute Morgen in der Agentur. Ihre Partnerinnen erwarten sie erst nach deren Auswärtsterminen in der Mittagszeit.

      Er fährt mit den Fingern durch die blondgelockten Haare, schaut an sich herunter und gibt sich mit Sneakers, beiger Chino sowie schwarzem, bis zur Brust geöffnetem Leinenhemd zufrieden. Im Monitor betrachtet er sein Spiegelbild. Die sonst wachen, grünen Augen sind über Nacht ausdruckslosen Schlitzen gewichen. Erste schmale Falten zeichnen leichte Schatten, und der inzwischen fünf Tage alte Dreitagebart wirkt etwas zu schmutzig. Ungerührt nimmt er es zur Kenntnis.

      Noch als Student hatte er einen beneidenswerten Schlag bei den Frauen. Das Image des Sonnyboys ging zwar mit der Zeit verloren, dennoch konnte er einen Teil seiner frechen Jugendlichkeit bewahren. Aber in seinem jetzigen Zustand würden ihm kaum die vertrauten Komplimente der Damenwelt zuteilwerden, glaubt er. Nicht, dass er Schmeicheleien bräuchte, aber empfänglich dafür ist er schon - klar.

      ›Hilft ja nichts, dann mal los‹, denkt er, krempelt die Ärmel hoch und nimmt den Notizblock mit dem aufgesteckten Kugelschreiber vom Tisch.

      »Seien Sie willkommen Herr ...«, er schaut kurz auf den Block, »Herr von Ketteler. Mein Name ist Peter Delius. Ich bin einer der drei Gesellschafter, und wenn Sie so wollen, der Dschinn neben den Jeannies.« Er reicht dem sich zur Begrüßung erhobenen Gast die Hand.

      »Freut mich, Herr Delius, und danke.«

      »Danke? Noch gibt es nichts zu danken.«

      »Doch, doch. Ich nehme an, der sportliche Fahrer, der mir mit dem unverhofften Fahrtwind etwas Kühlung verschaffte, waren Sie.«

      »Ja, ja, das war wohl ich. Also gern geschehen, ... ich meine, ... bitte entschuldigen Sie.«

      »Da gibt es nichts zu entschuldigen«, bemerkt von Ketteler deutungsoffen.

      Irritiert schlägt Delius vor, die Unterhaltung im 'Comm-Office' fortzusetzen, zeigt auf die andere der beiden Türen hinter dem Empfangstresen und geht voraus. »Lassen Sie den Tee einfach stehen, Frau Gonzalez übernimmt das gerne.«

      Das 'Comm-Office' zeigt sich als Raum ohne Fenster. Auch hier sorgt ein Oberlicht für Helligkeit. Sechs Freischwinger stehen vor einem Konferenztisch. An den Wänden zeigen großformatige Fotos Menschen vor verschiedensten Hintergründen in unterschiedlichsten Situationen.

      »Eine Auswahl unserer Aufträge«, erklärt Delius.

      Von Ketteler nickt zustimmend. »Ich weiß ..., ihre Homepage ...«.

      »Sicher«, bestätigt Delius lächelnd. »Aber hier sehen Sie die letzten, bisher noch nicht hochgeladenen Projekte.«

      Von Kettelers Blick wandert von Aufnahme zu Aufnahme. Er erkennt die Besteigung des schneebedeckten Fudschijamas, einen Tandemflug mit den markanten Spitzen des Rosengartens im Hintergrund, einen Konvoi von Oldtimern auf einer Landstraße vor ausgedehnten Weinbergen. Auf einem Foto eines opulenten Sommerfestes im Park einer eleganten Bungalowanlage bleibt sein Blick haften, wie Delius bemerkt.

      »Die Organisation eines Gartenfestes bedeutet für uns keine Herausforderung«, erklärt er. »Die noch lebenden, in den Jahrzehnten aus den Augen der greisen Auftraggeberin geratenen und in alle Welt zerstreuten Freunde ausfindig zu machen, war dagegen aufwendige Detektivarbeit.«

      Frau Gonzalez betritt den Raum und stellt den Tee, eine Karaffe Mineralwasser sowie zwei Gläser auf den Tisch. Sie erkundigt sich nach weiteren Wünschen, die dankend verneint werden, und verlässt das Zimmer. Die Männer nehmen Platz.

      »Viele Gäste hatten sich ein Leben lang nicht mehr gesehen«, fährt Delius fort. »Alle waren fröhlich und gelassen. Wir glauben, es war für alle ein schöner Tag. Die Sonne schien, die Temperatur blieb bis in den späten Abend