Klaus Ulaszewski

Selbstverständlich Pistolen


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dass er die anderen wohl nie mehr wiedersehen wird.« Er wendet sich an von Ketteler. »Sie haben ein Anliegen. Ich hoffe, wir können Ihnen helfen.«

      »Seit zwei Jahren leide ich unter chronischen Schmerzen«, beginnt von Ketteler ansatzlos und fährt, ohne eine Reaktion abzuwarten, fort. »Zahlreiche Ärzte stellten mich auf den Kopf, die Ursache wurde jedoch nicht gefunden. Man vermutet Verschiedenes, aber es fehlt die Diagnose und infolgedessen eine wirkungsvolle Therapie. Arzneien helfen mir, ein halbwegs erträgliches Leben zu führen.« Länger als notwendig, um die Zeit abzulesen, schaut er auf seine luxuriöse Sportarmbanduhr. »Vor einem halben Jahr erkrankte ich obendrein lebensbedrohlich. Zwar erhielt ich eine Diagnose, aber die Therapien schlugen nicht ausreichend an. Nun muss ich mich entscheiden. Operation oder nicht. Die Chancen, den Eingriff zu überleben, stehen fünfzig zu fünfzig. Zudem ...«, bedächtig greift er nach der Tasse Tee, umfasst sie eine Weile, und stellt sie wieder zurück auf den Tisch, »... zudem schwächte mich die Therapie des letzten halben Jahres massiv. Meine Energie versiegt und meine Zuversicht schwindet. Denn selbst wenn die Operation glückte - da Erkrankung und Schmerzen nicht in Zusammenhang stehen, blieben die Schmerzen.« Wieder sieht von Ketteler auf die Uhr.

      Delius möchte sein Bedauern aussprechen, erachtet den Moment aber für zu pathetisch und verwirft den Gedanken.

      Von Ketteler richtet sich wieder an Delius und fährt fort: »Ich benötige Unterstützung. Etwas, das meinen Lebensmut stärkt, mir Hoffnung gibt. Etwas, das mir hilft, eine Entscheidung zu treffen. Etwas Elementares. Ein finales Signal.« Er legt seinen Kopf in den Nacken und schaut durch das Oberlicht in den blauen Himmel. »Ich benötige den Fingerzeig einer höheren Instanz - ein ... Ordalium.« Den Blick weiterhin in den Himmel gerichtet, verstummt er.

      ›'Ordalium'‹, wiederholt Delius in Gedanken. Der Begriff erscheint ihm unbekannt. Beiläufig notiert er ihn am Rand des Notizblocks.

      Wie immer, wenn Klienten ihre Geschichte erzählen, hört Delius konzentriert zu und beobachtet aufmerksam. Er schaut in ein von Furchen und Falten gekennzeichnetes Gesicht, das der schmalen Narbe am oberen Rand des linken Backenknochens beste Voraussetzungen bietet, sich zu verbergen. Von Kettelers Blick aus klaren, blauen Augen wirkt vor dem Hintergrund seiner Geschichte unerwartet wach. Ob die Kopfhaare ausgefallen oder abrasiert sind, kann er nicht beurteilen. Das eigentümlichste Merkmal jedoch, das sämtliche Aufmerksamkeit auf sich lenkt und dessen Präsenz er sich kaum entziehen kann, ist die nahezu im rechten Winkel gebogene, jedoch fein geschnittene Nase.

      Ohne das soeben erhaltene Wissen um von Kettelers sowohl physische als auch psychische Verfassung hätte er ihn für einen Ausdauersportler, vielleicht Langstreckenläufer gehalten. Jedenfalls gehört er zu den vergleichsweise jungen Klienten. Die meisten haben bereits ein betagtes Alter erreicht, wenn sie den Kontakt zur Agentur aufnehmen. Einer der ersten Auftraggeber war schon zur Feier des Einjährigen verstorben. In ein paar Wochen feiert man das Siebenjährige. Er könnte noch im Beruf stehen. Akademiker, vielleicht Jurist, spekuliert er. Jemand, der die Dinge in die Hand nimmt. »Sie haben sicher genaue Vorstellungen!?«, animiert er den Gast den Anlass seines Besuches zu erläutern.

      Von Ketteler erhebt sich, geht um den Tisch herum und betrachtet die restlichen, noch nicht in Augenschein genommenen Fotos. Vor dem Schnappschuss eines sich aus dem Flugzeug werfenden Fallschirmspringers bleibt er stehen. Nach einer Weile bemerkt er: »Die habe ich. Allerdings wird Ihnen mein Plan - oder sagen wir angemessener mein Wunsch - in verschiedener Hinsicht Schwierigkeiten bereiten. Deswegen erwarte ich keine voreilige, aber dennoch kurzfristige Entscheidung. Besprechen sie sich ausführlich.« Er zieht eine Brieftasche aus dem grauen Jackett, sucht eine Visitenkarte heraus und überreicht sie Delius. »Ich bin gewillt, Ihren Entschluss zu akzeptieren.«

      ›Was bleibt ihm auch anderes übrig‹, denkt Delius.

      Er war schon einigen absonderlichen Klienten begegnet. Auch hatte man ihm die seltsamsten Wünsche anvertraut. Und wenn zusammentraf, dass absonderliche Klienten seltsame Wünsche äußerten, ließen sich ebenso außergewöhnliche Aufträge erwarten.

      Nicht, dass er von Ketteler in eine Schublade stecken möchte, doch der erste Eindruck lässt einen zumindest 'speziellen' Auftraggeber erwarten.

      Emotionslos formuliert von Ketteler seinen Wunsch: »Ein Duell. Ich möchte mich duellieren.«

      »Wie bitte, ... ein Duell? Ähh ..., Sie meinen ..., also ..., ein richtiges Duell?«.

      »Selbstverständlich ein richtiges Duell. Kennen sie ein falsches?«

      Delius hebt die Schultern. »Na ja, keine Ahnung. Aber verzeihen Sie - ob ein richtiges oder falsches -, spielt das irgendeine eine Rolle? ›Selbstverständlich‹ jedenfalls, finde ich daran gar nichts - im Gegenteil. Und außerdem ..., ein Duell bestreiten doch zwei Personen, oder nicht!?«

      »So ist es.«

      »Und ihr ... - sagt man Gegner? - nahm die Herausforderung an?«

      »Mein Duellant wird es erst noch erfahren.«

      »Er weiß es noch nicht? Er könnte sich weigern!«

      »Das wird er nicht.«

      »Was macht Sie da sicher?«

      Als wäre die Frage abwegig und die Antwort naheliegend entgegnet von Ketteler: »Argumente.«

      »Mhh ...« Skeptisch aber auch neugierig hakt Delius nach: »Und um wen handelt es sich bei Ihrem ... Duellanten, wenn ich fragen darf?«

      Von Ketteler nimmt die feierliche Haltung eines Würdenträgers ein, der einen verdienten Bürger ehrt. »Um keinen Geringeren als Sie, Herr Delius.«

      Der lässt sich konsterniert in die Rückenlehne sinken. ›Habe ich richtig gehört?‹, denkt er ungläubig.

      Von Ketteler bemerkt Delius' nach oben gezogene Augenbrauen und die in Falten gelegte Stirn.

      »Sie verstehen mich?«, fragt er nach.

      »Inhaltlich schon, ja«, versichert Delius. »Aber ich frage mich: Was - um Himmelswillen - habe ich Ihnen getan?«

      »Nichts, gar nichts, Herr Delius. Nehmen Sie es nicht persönlich. Die Rolle könnte genauso gut eine Ihrer Partnerinnen übernehmen.«

      Delius lächelt gequält. »Ach, wenn das so ist ..., da bin ich aber erleichtert, das beruhigt mich doch ungemein«.

      »Es geht um eine ehrenvolle Aufgabe, Herr Delius. Süffisanz ist hier unangebracht und der Sache abträglich. Ich muss davon überzeugt sein, dass Sie ernsthaft und professionell der Aufgabe begegnen.«

      »Ja gut, aber ..., ich meine ..., soll ich Sie vielleicht erschießen? Oder wollen Sie etwa mich erschießen? Oder kämpfen wir mit Degen bis aufs Blut? Was stellen Sie sich vor? Außerdem bliebe da noch die Kleinigkeit des Honorars ...«

      »Ich bin davon überzeugt, Herr Delius«, unterbricht von Ketteler, »dass der finanzielle Aspekt gewiss das geringste Problem darstellen sollte. Und auch Ihre verständliche Sorge um die Unversehrtheit der Beteiligten kann ich Ihnen nehmen. Ich werde es Ihnen erklären ...«

      Zehn Minuten später begleitet Delius den Gast zum Ausgang. An der Tür blickt von Ketteler zurück zum Tresen. Frau Gonzales zwinkert ihm zu. Die Uhr zeigt noch immer 10:01. Er lächelt - eher mitleidig denn amüsiert.

      2 Klackklack

      Von Kettelers Wunsch wirft Fragen auf. Fragen, zu denen Delius Position beziehen muss, bevor er die Partnerinnen informiert.

      Er lässt Frau Gonzales wissen, dass er eine 'Findungsauszeit' benötige und morgen früh erst wieder zur wöchentlichen Lagebesprechung im Büro zu erwarten sei. Wenn Delius eine Auszeit ankündigt, lassen ihn Frau Gonzales und die 'Jeannies' in Ruhe.

      Er braucht Entspannung, einen klaren Kopf. Um das zu erreichen, greift er auf eine bewährte Methode zurück. Sein Weg führt ihn geradewegs auf die mit Campingtisch, Klappstuhl, Wäscheständer und einem Kasten Mineralwasser fast vollständig zugestellten Terrasse