Klaus Ulaszewski

Selbstverständlich Pistolen


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erkennt den anderen. Ist es wirklich er selbst, der dort steht - eine Armbrust im Anschlag. Etwa ein Spiegelbild? Wenn ja, würde er eine Armbrust in den Händen halten. Er versucht, die Arme anzuheben. Aber es gelingt ihm nicht. Die Gewissheit, somit unmöglich eine Armbrust in den Händen zu halten, erleichtert ihn wenig. Im Gegenteil. Denn genauso gewiss steht da drüben nicht sein Spiegelbild. Oder etwa doch? Oder erlebt er eine Fata Morgana? Unsinn, hier, so früh am Morgen, ausgeschlossen. Eher eine Illusion. Hatte er etwa geraucht, vielleicht sogar Pillen eingeworfen? Nein, Drogen lassen ihn seit zwanzig Jahren kalt. Und zuviel Bier war's auch nicht, gestern Abend.

      Der andere - oder ist es doch er selbst? - steht ihm unverändert gegenüber, die Beine leicht gespreizt, die Armbrust im Anschlag. Jetzt sieht er die gespannte Sehne. Der Pfeil zielt genau auf ihn.

      Er will weg, aber kann nicht. Was ist mit den Beinen? Er sieht an sich herunter, aber erkennt den Körper nicht. Sein Kopf sitzt auf den Schultern eines Fremden.

      Er schaut wieder herüber, möchte sich zurufen, sich warnen, dass er es selber sei, der hier stehe.

      »Achtung, Vorsicht, warte! Schau hin, wer ich bin!«, versucht er herauszubringen, doch seine Zunge gehorcht ihm nicht.

      Er sammelt alle Kraft, versucht es erneut: »Hilf mir, mein Freund, nenne den Preis für meine Freiheit.« Aber seine Kehle erscheint wie zugeschnürt, und es entweicht ihm nur ein Röcheln.

      Stattdessen, kaum wahrnehmbar, aber für Delius deutlich zu spüren, erhöht der andere die Körperspannung, kneift entschlossen die Augen zusammen und fixiert das Ziel - seinen eigenen, auf dem Rumpf eines fremden Körpers sitzenden Kopf.

      Ein Irrtum, ohne Zweifel. Wie ist das möglich? Warum soll seinem Leben derart unverhofft ein Ende bereitet werden? Oder ist es kein Missverständnis? Ist es geplant? Ist es Vorsatz? Er braucht eine Antwort. Er braucht eine Lösung. Sofort.

      Jetzt, endlich, schafft er es und schreit mit sich überschlagender Stimme die ersten verständlichen Worte: »Halt ein, mein Bruder, halt ein, ich bin es doch, du selbst!«

      Dann hört er das Schwirren der blitzartig sich entspannenden Sehne, gefolgt von einem die Luft zerschneidenden Zischen. Im selben Moment trifft der Pfeil auf seine Stirn, kracht knirschend durch den Schädelknochen, durchbohrt das Hirn wie Gallert und wird von der hinteren Schädelplatte abrupt gestoppt. Die Wucht des Aufpralls schleudert den Kopf nach hinten. Sein starr in den blauen Himmel gerichteter Blick gefriert. Vor seinen Augen zittert das Ende des Pfeilschaftes. Ein markerschütterndes Fiepen und Klopfen rast durch die Gehörgänge direkt in sein Hirn, beraubt es seiner Funktion, bis sein Kopf, zum Resonanzkörper des entfesselt vibrierenden Pfeiles reduziert, in tausend Stücke zerspringt.

      Schweißgebadet und gepeinigt von hämmernden Kopfschmerzen, wacht Delius auf. Es dämmert, die Vögel singen, und auf dem Dachfenster sitzt ein Rabe, der in einem monotonen 'Klackklack, Klackklack' Moos aus dem Rahmenblech pickt.

      3 Musketiere

      Dienstag, 10:01.

      Peter Delius, Edda Gaepp und Alex Longreh nutzen die am Morgen noch angenehmen Temperaturen und versammeln sich am Tisch im Hof. Später, wenn die Sonne diesen Teil erreicht, wird ein Aufenthalt hier unerträglich.

      Wie üblich sitzen sie, noch nicht ganz wach, vor Espressi und Wasser und kommentieren gelassen aktuelle Nachrichten aus Politik, Kultur oder Sport. Nach einer Weile erreichen sie Diskussionslaune. Für Delius der Zeitpunkt, die Partnerinnen über von Kettelers Offerte zu informieren.

      »Gestern wurde uns ein höchst lukrativer Auftrag angeboten«, beginnt er und verstummt sogleich, um der Nachricht Gewicht zu verleihen. Es gelingt ihm, wie die erwartungsvollen Gesichter, in die er sieht, verraten. »Ihr seit einverstanden, wenn ich euch zunächst die wirtschaftlichen Eckdaten darstelle?«

      Einvernehmlich nicken die Kolleginnen.

      »Wir erhalten hunderttausend Euro Erfolgshonorar, zehntausend für einen Teilerfolg und nichts, wenn wir scheitern.«

      Die 'Jeannies' schauen sich fragend an.

      »Hunderttausend ..., wirklich? ..., nicht schlecht. Aber Peter, sonst bedarf es des vollständigen Erfolgs für einen Honoraranspruch. Was also bedeutet 'Teilerfolg'?«, will Edda Gaepp wissen. Mit einer Kopfbewegung wirft sie ihre kinnlangen schwarzen Haare nach hinten, die aber sofort wieder zurück in ihre ursprüngliche Position fallen.

      »Ist ja nicht meine Idee, Edda, aber einfach zu erklären. In den Zehntausend sieht der Auftraggeber so etwas wie einen Motivationsanreiz. Ähnlich einem Antrittsgeld für einen Profikampf im Boxsport«, erläutert Peter.

      »Und hunderttausend, tatsächlich hunderttausend Euro wäre das Erfolgshonorar!?«

      »Ja.«

      »Okay, hört sich verdammt gut an, eine derart stattliche Summe. Wird uns ja nicht gerade oft angeboten. Aber wo ist der Haken? Was müssen wir dafür leisten und wofür erhalten wir das Antrittshonorar? Sag schon, wie lautet der Auftrag?« Edda will sich nach manch verheißungsvollem, letztendlich aber im Sande verlaufendem Auftragsangebot keine unnötigen Hoffnungen mehr machen auf uneinlösbare Versprechen.

      Peter nippt am Espresso, sammelt sich und erläutert so sachlich wie nötig den Auftrag. »Er wünscht sich ein Duell. Er möchte sich in ein Duell begeben und wir ...«

      »Und wir sollen es organisieren?«, unterbricht ihn die zierliche Alex Longreh.

      »Ja, aber die Planung ist nur ein Aspekt des Auftrages.«

      »Und der andere ...?«, hakt Alex nach.

      »Der andere: Einer von uns wird den Duellanten geben.«

      »Wieso einer von uns? Wir haben ihm doch nichts getan, oder?«, entgegnet Alex irritiert.

      »Darum, dass wir oder jemand anderes ihm etwas angetan haben, geht es nicht. Er fordert keine Satisfaktion.«

      »Was dann?«

      Ausführlich schildert Peter von Kettelers Beweggründe und die sich daraus resultierende Notwendigkeit eines Duells.

      Edda bleibt von Peters Ausführungen unbeeindruckt. »Trotzdem, ein Duell, das ist nicht unsere Abteilung. Und wie stellt er sich das überhaupt vor? Wie bei den Musketieren, bewaffnet mit Säbeln auf einer Waldlichtung im Morgengrauen?«

      »Mhh, ja, so ähnlich schon ...« Peter zögert. »Aber nicht mit Säbeln.«

      »Sondern?«

      »Mit Pistolen.«

      Edda kräuselt die Stirn. »P ... Pistolen?«, hakt sie ungläubig nach.

      »Selbstverständlich Pistolen«, erklärt Peter lapidar, als ginge es um Zucker im Kaffee.

      »Wie ...? Ernsthaft? Was soll der Quatsch. Geht's hier um getarnte Sterbehilfe? Dafür muss er in die Schweiz«, ereifert sich Alex. Eine auf dem Kopf sitzende Sonnenbrille hält die schulterlangen blonden Haare aus ihrem Gesicht. »Ich habe die Geriatrie nicht verlassen, um Menschen zu töten, sondern sie nicht mehr sterben zu sehen. Ich möchte helfen, dass sie noch etwas Schönes erfahren«, erklärt sie und ergänzt ärgerlich: »Was denkt der sich?«

      »Für ihn ist es wichtig, vielleicht sogar schön, wer weiß. Er verfügt über einen klaren Plan darüber, wie es ablaufen soll. Sobald er unsere Zusage erhält, wird er den Austragungsort und weitere Details bekannt geben«, entgegnet Peter, der noch immer unter dem Einfluss der so eindringlich vorgetragenen Schilderungen von Kettelers steht.

      »Der Austragungsort ist dabei wohl das geringste Problem«, wirft Alex spöttisch ein.

      »Richtig Alex. Stellt euch vor, wir treffen von Ketteler aus Versehen oder wir selber werden getroffen und verletzt - Schlimmeres möchte ich mir gar nicht erst ausmalen. Was dann?«, gibt Edda zu bedenken.

      »Auch ohne über besondere juristische Kenntnisse zu verfügen, kann sich jeder von uns die Konsequenzen ausmalen. Sind wir erfolgreich, kassieren wir die Hunderttausend