Marieke Hinterding

Der Verachtete


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Ängste und Sorgen bis zum nächsten Morgen.-

      Um 4 Uhr in der Früh

      riss ihn der Wecker aus seinem oberflächlichen Schlaf und Udo quälte sich müde aus dem Bett. Wieder hatte er gestern zu viel geraucht und dafür nachts die Quittung bekommen. Er hatte fast ununterbrochen gehustet und nur eine Stunde geschlafen.

      Udo wankte schlaftrunken in die Küche und machte sich einen Kaffee. Den hatte er sich, trotz seiner miserablen finanziellen Lage, ausnahmsweise erlaubt. Gleich am Samstagnachmittag hatte er für satte 10 Euro bei Netto eingekauft, in der Hoffnung, sein Konto mit seinem zukünftigen Verdienst wenigstens im Laufe der nächsten 4 – 5 Monate ausgeglichen zu haben.

      Mit schlechtem Gewissen zündete sich Udo eine seiner selbst gestopften an und kaum hatte er den Rauch in der Lunge hustete er wieder. Mehrere Minuten lang dauerte der Anfall und Udo rang nach Luft, während er zum Fenster lief und es aufriss. Er atmete jetzt mehrmals tief ein und aus. ..

      Das hatte geholfen und Udo war, wie so oft in solchen Situationen, wütend auf sich selbst und schimpfte sich willensschwach und selber schuld an seinen Krankheiten. Dann aber stellte er sich unter die Dusche. Es war sehr kalt in der Wohnung, denn Udo hatte aus Kostengründen nicht geheizt und so absolvierte er im Eiltempo sein Körperpflegeprogramm, zog sich an und trank seinen Kaffee.

      4:15 Uhr war es jetzt, Udo hatte noch eine Viertelstunde, ehe er aufbrechen musste. Sein Herz begann zu klopfen vor Aufregung und Ungewissheit, wenn er an seinen zukünftigen Arbeitsplatz dachte und sein Blick streifte immer wieder die Tabakdose, die halb leer auf dem Tisch stand.

      Eine einzige Zigarette, um die Angst zu betäuben, wollte er sich nun doch noch genehmigen. Wenn er nicht so tief inhalierte, würde es schon ohne Husten gehen und so zündete er sich wider besseren Wissens doch noch eine an. Diesmal hustete er nur wenig und er beschloss, den Tabak mitzunehmen zur Arbeit, obwohl er sich vorgenommen hatte, wenigstens während der Arbeit nicht zu rauchen.-

      Die Fahrt mit dem Fahrrad zum Neusser Hauptbahnhof war beschwerlich. Sturm und Regen peitschten ihn endgültig wach und er brauchte fast eine Dreiviertelstunde, ehe er sein Ziel Schweiß überströmt und völlig außer Atem erreicht hatte. Udo `s Herz geriet aus dem Rhythmus, wie in letzter Zeit so oft und er bekam einen Augenblick beklemmende Angstzustände, als er sein Rad in den Fahrradständer schob und anschloss. Dann aber spürte er sein Herz nicht mehr und er beruhigte sich.

      Udos nasse Kleidung klebte ihm am Körper und er fröstelte, als er das Bahnhofsgebäude betrat. Er warf einen Blick auf den Fahrplan. 5Uhr 25 würde der Zug nach Grevenbroich abfahren. Gleis 6. Es war jetzt 5 Uhr 15, er hatte noch zehn Minuten Zeit. „Das reicht für eine letzte Zigarette“, dachte er.

      Aber zuvor musste er noch die Fahrkarte lösen. Udo hatte am Samstag dreißig Euro extra abgehoben von seinem überschuldeten Konto, um den Fahrschein bezahlen zu können und so steckte er jetzt einen Zehn-Euroschein in den Geldschlitz, drückte sein Fahrtziel und wartete , bis der Automat Fahrkarte und Wechselgeld ausspuckte. Schließlich steuerte er Gleis 6 an, setzte sich in die Raucherzone und drehte sich eine Zigarette...-

      Pünktlich rollte der Zug in den Bahnhof ein. Udo stieg ein und die Wärme im Abteil des Zuges ließ ihn jetzt deutlich spüren, wie unangenehm klamm seine Kleidung war. Wie lange es wohl dauern würde, bis seine Sachen getrocknet waren...?

      Jetzt übermannte ihn Müdigkeit. Udo schloss einen Moment die Augen und stellte sich vor, in einem warmen Bett zu liegen. Die monatelange Schlaflosigkeit forderte ihren Tribut. Udo stand nun auf und verließ das Abteil. Er zog es vor, die Fahrt im Stehen fortzusetzen, weil er befürchtete, sonst einzuschlafen.

      Um 5 Uhr 50 hielt der Zug endlich im Gewerbegebiet Grevenbroich. Udo stieg aus und lief auf den Firmenpark zu. Dicht standen die Betriebe auf einer einzigen langen Straße zusammen .Aufmerksam studierte Udo nun die Namen der einzelnen Firmen, die Hinweisschilder waren Gott sei Dank gut beleuchtet und so brauchte er nicht lange, bis er „seine“ Firma gefunden hatte: die Grevenbroicher Werke für Solarschaltkreise.

      Udo sah auf die Uhr: Es war bereits 2 Minuten vor 6 Uhr er musste sich sputen, wenn er seinen Arbeitsplatz rechtzeitig erreichen wollte. Er sah zum Parkplatz herüber, der bereits bis auf den letzten Platz besetzt war, dann suchte er mit den Augen das weitläufige Gebäude nach dem Werkstor ab. Gespenstisch ruhig war es auf der Außenanlage, niemand war da, den er hätte fragen können und so lief er einmal um den Betrieb herum, ehe er den Eingang fand. Hell erleuchtet war es, sein Weg führte ihn als erstes durch das große Lager. Neugierig sah Udo sich um. Kisten von IC‘s und Rollen von Widerständen, Platinen und andere Bauteile stapelten sich in großen Regalen. .

      Udo marschierte nun den breiten Hauptgang entlang, bis er vom Lager endlich in die angrenzende Produktionshalle kam. Dort sah er dann die ersten Arbeiterinnen, die dort mit flinken Fingern Platinen mit IC‘s und Widerständen bestückten und die die Lötrahmen mit den Platinen anschließend auf eine Lötstraße setzten. Dort waren sie einem Lötzinnbad ausgesetzt und jedes Mal, wenn am anderen Ende die Prozedur beendet war, qualmte es gewaltig aus der Maschine in den Raum. Ein beißender Dampf aus Flussmittel und verschweltem Plastik schlug Udo entgegen. Als Udo an der Lötstraße vorbeiging packte ihn ein starker Hustenreiz. Er nahm das Getränk aus seiner Tasche, das er als Proviant mitgenommen hatte und betäubte den Reiz.

      Es war bereits 6 Uhr 15, als er das Büro des Meisters endlich gefunden hatte. Es war leer und Udo wusste nicht, ob er besser warten sollte, bis sein zukünftiger Vorgesetzter endlich kam, oder ob er jemanden ansprechen sollte. Nervös nestelte er an seiner Jacke und dabei fiel ihm sein Tabak aus der Tasche. Er schaute wieder auf die Uhr.

      6 Uhr 20, der Meister kam nicht. Udo entdeckte gleich neben dem Büro den Aufenthaltsraum. Dort würde er warten, überlegte er. Man konnte ja vom Pausenraum aus ganz prima das Büro einsehen, beide Räumlichkeiten waren nur durch eine Glaswand voneinander getrennt.

      Udo saß im Aufenthaltsraum und hatte gerade noch Zeit für eine Zigarette, als er einen Mann in blauem Kittel das Büro betreten sah. Das war er! Udo erhob sich sofort und klopfte an. „Guten Morgen“, sagte Udo. „Ich bin Udo S., von der Zeitarbeitsfirma T. Aus Neuss.“

      „Die Arbeitszeit beginnt um 6 Uhr! „antwortete der Mann, „nicht um halb sieben! Das war ihnen doch sicher bekannt!“

      Udo zog den Kopf ein. „Ich war um 6 Uhr 15 hier“, protestierte er schwach. „Damit wir uns richtig verstehen: Die Arbeitszeit fängt auch nicht um 6 Uhr 15 an, sondern um 6 Uhr!“

      Udo war betroffen. Morgen wollte er einen Zug früher nehmen, auch wenn er deshalb um 3 Uhr aufstehen musste!

      „Hier ist ein Kittel“, sagte der Meister. „Dürfte Ihre Größe sein!“ Er drückte Udo den Kittel in die Hand und forderte ihn auf, mitzukommen. Ihr Ziel war ein Arbeitsplatz zwischen zwei Frauen am Ende der Lötstraße. „Das ist unsere Frau Schulz“, deutete er auf die Ältere von beiden. „Sie wird Sie einweisen. Und morgen bitte pünktlich!“ Der Meister rauschte davon.-

      „Setzen Sie sich hierhin“, sagte Frau Schulz und deutete auf einen leeren Stuhl. Rasch holte sie jetzt eine schon fast fertig bestückte Platine, nahm eines der IC‘s, die auf dem Tisch lagen in die Hand und platzierte es zwischen einigen Widerständen, nahm den Lötkolben und lötete das IC daran fest. „So geht`s. Die IC´s immer zwischen diese beiden Widerstände. Auf der Lötstraße stehen gerade ein paar fehlerhafte Platinen. Holen Sie sich die, machen Sie die fertig und setzen sie die dann auf das andere Band. Hier wird übrigens mit Tempo gearbeitet.“ Frau Schulz setzte sich wieder auf ihren Platz und fing an, überflüssige, zu dicke Lötzinnkleckse auf der vor ihr liegenden Platine zu entfernen.

      Udo stand auf und holte sich ein paar Platinen von der Lötstraße. Vorsichtig nahm er ein IC in die Hand und versuchte mit den Augen die Lücke zu finden, zwischen die es gelötet werden sollte. Allein das dauerte fast fünf Minuten und Udo hatte vor lauter Nervosität bereits einen Kloß im Hals, bis er endlich den Platz für das Bauteil gefunden hatte. Vorsichtig wollte Udo es auf die Platine stecken, dabei brach ein Beinchen. Das IC war kaputt.

      „Frau