Marieke Hinterding

Der Verachtete


Скачать книгу

- nach wie vor, doch Gott sei Dank war der Schuldenberg wenigstens konstant geblieben und nicht noch gestiegen. Obwohl die Arge ihm wieder das Geld in voller Höhe überwies, war das keine Selbstverständlichkeit! Udo zündete sich eine Zigarette an und dachte mit Schrecken daran, dass heute Post von seinem Vermieter gekommen war. Mit der Kippe im Mund holte er den Brief aus dem Flur und öffnete ihn.

      „Mieterhöhung“, war das erste, was er zu lesen bekam. Sein Herz zog sich zusammen, als er weiter las: Seine Wohnung galt ab nächsten Monat nicht mehr als Sozialwohnung und die Miete würde jetzt dem Stand des örtlichen Mietspiegels für freifinanzierte Wohnungen angepasst.-

      Um 45 Euro hatte die Wohnungsgesellschaft ihm die Miete erhöht. „Das war sicher nur das Vorspiel“, sinnierte Udo nun hilflos vor sich hin, „die werden mir jetzt wahrscheinlich jedes Jahr so viel draufschlagen!“

      45 Euro , die er aus eigener Tasche von seinem knappen Hartz 4 Geld berappen musste! Die Arge würde mit Sicherheit nicht dafür aufkommen, dachte er und obwohl er bis dahin geglaubt hatte, dass seine Zukunftsaussichten düsterer nicht werden konnten, war er jetzt eines Besseren belehrt. -

      Während der ganzen Woche ängstigte Udo sich und malte sich im Gedanken ein Horrorszenario nach dem anderen aus. Was sollte er nur tun, wenn die Arge von dem fehlgeschlagenen Arbeitsversuch erführe? Hätte er es doch besser gemeldet! Nun war es zu spät dazu; es würden ihm unweigerlich Strafen drohen, davon war Udo überzeugt.

      Wenn sich nun die Zeitarbeitsfirma selbst seinetwegen an die Agentur gewandt hatte- wegen irgendwelcher Unklarheiten!

      Udo hoffte und betete bis zum Freitagmittag, dass er unbehelligt davonkommen möge, da klingelte um Punkt 13 Uhr das Telefon.

      „D a s sind sie, die von der Agentur für Arbeit!“, schoss es Udo durch den Kopf und er überlegte lange, ob er den Hörer überhaupt abnehmen sollte. Wieder stolperte sein Herz, als er schließlich doch zum Telefon griff und mit zugeschnürter Kehle seinen Namen in die Muschel krächzte. Dann seufzte er vor Erleichterung auf und ließ sich auf den Stuhl fallen, den er im Flur neben dem Telefon platziert hatte...

      Es war nur sein Bruder,

      der seinen Besuch telefonisch ankündigen wollte! Am Samstag gegen Mittag wollte er mit seiner Familie bei ihm vorbeischauen! Udo möge aber keine Umstände seinetwegen machen und solle um Himmelswillen nicht groß einkaufen! Ein kleiner Imbiss genüge ihnen vollkommen! -

      Sein Bruder wohnte in Hamburg und Udo hatte lange nichts von ihm und seinem Anhang gehört! Da war es nicht anständig, nur abgezählte Brötchen mit Marmelade aufzutischen, fand er! „Wenn jemand schon so eine weite Reise macht, um mich zu besuchen, soll er wenigstens was Ordentliches zwischen die Zähne kriegen“, sagte er sich und damit war ein Großeinkauf für ihn beschlossene Sache.

      Gegen 14 Uhr 30 betrat er das örtliche Postamt und holte satte 100 Euro von seinem Konto. Damit summierten sich seine Bankschulden auf über 500 Euro!

      Aber davon wollte Udo an diesem Tag nichts wissen, er lief mit dem Geld geradewegs durch bis zum Netto, schnappte sich einen Einkaufswagen und fühlte sich in diesem Augenblick wie ein König für einen Tag! Und sein Einkauf war längst nicht so überlegt, wie sonst üblich. Es war, als sähe er das umfangreiche Angebot des Discounters zum ersten Mal, immer wieder griff er diesmal nach den etwas teureren Produkten ,doch als es an der Kasse ans Bezahlen ging folgte die Ernüchterung: Er war er mit sagenhaften 47 Euro dabei! Sein Einkaufswagen aber war nicht einmal halb voll und Udo fragte sich, wie um alles in der Welt diese hohe Rechnung zustande kam. Erst beim Vergleich mit dem Kassenzettel war ihm klar, dass er bei einigen Artikeln wohl doch besser zuerst auf den Preis gesehen hätte! Putenbrust, las er ,100 Gramm 1,19 Euro. 100 Gramm, das waren vier Scheiben! Damit konnte er gerade zwei Brötchen belegen! Schinkenwurst wäre billiger gewesen!

      Schlimmer waren die beiden Torten aus der Tiefkühltruhe- einmal Bienenstich und einmal Pfirsich-Maracuja hatte er gekauft! Jede von ihnen hatte 6,99Euro gekostet, das machte allein schon fast 14 Euro!

      Dann waren da noch der teure geräucherte Schinken, 150 Gramm zu 2,99 Euro, der echte französische Blauschimmelkäse und nicht zuletzt hatte er neben dem anderen Kleinzeug wie Brötchen, Milch, Obst oder Schokolade auch noch drei Päckchen Filterzigaretten mit eingepackt, die Schachtel für 4,20 Euro! Jetzt wunderte sich Udo über gar nichts mehr und noch ehe er den Laden verlassen hatte, tat ihm sein Einkauf von Herzen leid ...-

      „Freut uns aufrichtig, Dich mal wieder zu sehen“, so begrüßte ihn am Samstagnachmittag sein Bruder Werner und dessen Familie, „wir hoffen, wir machen keine Umstände.“

      „Das lasst nur meine Sorge sein!“, sagte Udo und bat die Gäste ins Wohnzimmer. „Es ist schon gedeckt!“.

      „Das wäre aber nun wirklich nicht nötig gewesen, wir wollen ohnehin nicht lange bleiben, wir sind quasi auf der Durchreise.“ Und dann erfuhr Udo wie ganz nebenbei, dass die Familie gerade vom Skiurlaub aus der Schweiz kam. Werner dozierte nun einige Minuten über die verstopften deutschen Autobahnen und die unverschämt überteuerten Preise auf den Raststätten, dann hatten alle Platz genommen und Udo ermunterte seine Verwandten , sich ungeniert zu bedienen und sich wie zu Hause zu fühlen. „Abgepackte Wurst?“, fragte Lars, der 14jährige Sohn der Familie. „Habt ihr hier keinen Metzger?“.

      „Es ist wegen der vielen Zusätze im Aufschnitt“, entschuldigte sich Iris, Werners Frau. „Wir essen nur Bio.“ Udo fühlte sich, als hätte er gerade eine Ohrfeige erhalten. Die teure Wurst sollte liegenbleiben, weil sie aus dem Supermarkt war!

      „Wenn ich das gewusst hätte“, sagte Udo, “hätte ich selbstverständlich auch Bio eingekauft! Bei Netto haben sie solche Sachen auch!“ Die Torten hatte Udo ohne Verpackung auf den Tisch gebracht und auf die Frage, wo sie gekauft waren, antwortete Udo schnell: „Von Konditorei Meyer, meiner Stammbäckerei!“

      Erst dann griff die Familie zu und es schien ihnen tatsächlich zu schmecken, denn die Maracujatorte war innerhalb einer Dreiviertelstunde ganz aufgegessen und vom Bienenstich waren nur noch fünf Stücke übrig.-

      Eine schleppende Unterhaltung kam in Gang und Werner berichtete von seinem aufregenden Job als Arzt in einem großen privaten Krankenhaus .Udo hing an seinen Lippen und Werner schien Udos Gefühl der Bewunderung für ihn auszukosten, denn auf Udos Frage, ob sein Dienst denn nicht furchtbar anstrengend sei, kannte Werner kein Halten mehr! Und Udo erfuhr nun nicht nur alles über die endlos langen Arbeitszeiten sondern auch Dinge aus dem Hospital, nach denen er gar nicht gefragt hatte, wie zum Beispiel , welchen Witz der Chefarzt bei der letzten Herzklappenoperation über die Patientin , die dort operiert wurde, gemacht hatte. Über die Hüftoperation einer 80jährigen machte Werner abfällige Bemerkungen und die Behandlung armer Menschen auf Kosten des Steuerzahlers lehnte er selbstgefällig ab.-

      „Und Du“, stellte Werner endlich die von Udo gefürchtete Frage, „was machst Du im Augenblick beruflich?“

      „Ich bin immer noch arbeitssuchend“, antwortete Udo und kam sich dabei bedeutungslos wie lange nicht mehr, vor. „Ich hoffe ja, auch einmal etwas für mich Passendes zu finden.“

      “Du bist ja schon ziemlich lange auf der Suche, wenn ich mich recht erinnere, warst Du doch bei unserem letzten Treffen auch schon ohne Arbeit. Wie lange geht das schon so?“, wandte sich Iris nun an Udo.

      Udo wurde rot, denn er hatte den Verdacht, dass diese Frage , die seines Erachtens keineswegs mitfühlend gemeint war , seiner Verwandtschaft einzig dazu dienen sollte, Udo nun dazu zu bewegen sein eigenes Versagen einzugestehen und ihm gleichzeitig das Gefühl zu geben, dass er zum Ausgleich dafür stolz auf einen Bruder wie Werner sein konnte.

      „Ziemlich lange geht`s schon so“, antwortete Udo und drückte seine Zigarette aus. „Der Arbeitsmarkt ist halt überlaufen.“

      „Die meisten allerdings haben keine Lust!“, meinte Werner. „Die finden immer eine Möglichkeit, sich zu drücken! Die stellen sich dann einfach dumm und werden wieder gefeuert! So kommt man auch durchs Leben...!“-

      Sein eigener Bruder beteiligte sich also auch