Christoph Wagner

Waldesruh


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      Sie näherten sich dem Tor. Brombach zeigte nach oben. „Überwachungskameras. Die folgen genau unseren Bewegungen. Drinnen hat uns schon längst jemand im Visier.“

      Travniczek entdeckte eine Klingel nebst Sprechanlage. Erstaunlich schnell meldete sich jemand: „Jeremias Kippenhan. Was führt Sie zu uns?“

      Die Stimme wirkte geschäftsmäßig nüchtern.

      „Joseph Travniczek, Kripo Heidelberg. Wir würden gern Herrn Ansgar Schittenhelm sprechen.“

      „Halten Sie bitte Ihren Dienstausweis vor die Kamera, der Ring oberhalb des Lautsprechers.“

      Travniczek tat, wie ihm geheißen.

      „In Ordnung. Aber was Herrn Schittenhelm angeht, da muss ich Sie enttäuschen. Wegen des Schnees ist er unten in der Firma geblieben, in Leimen. Aber ich bin, wie man so sagt, seine rechte Hand. Vielleicht kann ich Ihnen auch weiterhelfen. Das Tor wird sich sofort öffnen.“

      Mit leisem Surren drehten sich die beiden schweren Torflügel langsam nach innen und gaben den Blick auf das herrschaftliche Haus frei. Ein wahrer Palast. An einen würfelförmigen Mittelbau mit Kuppeldach schlossen sich zwei etwas niedrigere Seitenflügel an. Der Bau war dreistöckig, wobei das Parterre eine Art Keller zu sein schien. Es hatte nur wenige kleine Fenster und die waren vergittert.

      Eine großzügige Freitreppe führte zum Eingang, der wie die Stirnseite eines griechischen Tempels nach der korinthischen Ordnung angelegt war.

      An der monumentalen hölzernen Eingangstür, deren Fenster durch schmiedeeiserne Gitter mit höchst differenzierter floraler Ornamentik gesichert waren, empfing sie Herr Kippenhan. Er mochte Anfang fünfzig sein, gedrungen, aber muskulös. Sein Gesicht erinnerte Travniczek an einen Dobermann.

      „Ich freue mich, Sie im Hause Schittenhelm begrüßen zu dürfen. Kommen Sie bitte weiter.“

      Aus der Stimme hörte Travniczek eine seltsame Mischung aus Unterwürfigkeit und Arroganz.

      Über eine breite Marmortreppe durch ein Spalier fein ziselierter silberner Kerzenleuchter gelangten sie in sein Büro. Es war überraschend spartanisch ausgestattet: funktionale Sachlichkeit. Ein großer Schreibtisch mit einem bequemen Stuhl, nüchterne Metallschränke, gefüllt mit Aktenordnern, unter den Fenstern ein Sideboard, dann noch ein Glastisch mit vier Stühlen, das Ganze im kalten Licht zweier Neonröhren.

      Er forderte sie auf, an dem Tisch Platz zu nehmen.

      „Nein, danke“, wehrte Travniczek ab und sah im Augenwinkel die Enttäuschung seines Kollegen, der sehr wohl verstand, was Kippenhan ihnen da anbot. „Im Dienst keinen Alkohol. Aber ein Glas Wasser wäre nicht schlecht.“

      Etwas enttäuscht holte Kippenhan eine Flasche San Pellegrino aus dem im Sideboard verborgenen Kühlschrank, griff im Fach daneben nach drei Gläsern und stellte alles auf den Tisch, ohne selbst einzuschenken.

      „Jetzt bin ich aber sehr neugierig, was die Kriminalpolizei von uns will. Sie sind doch hoffentlich nicht von der Steuerfahndung,“ meinte er augenzwinkernd.

      „Nein, da kann ich Sie beruhigen“, übernahm jetzt Brombach die Gesprächsführung. „Wir sind von der Mordkommission.“

      Kippenhan erschrak oder tat zumindest so.

      „Sie suchen doch nicht etwa bei uns nach einem Mörder?“

      „Sie wissen, was heute Nachmittag im Dorf passiert ist?“, warf Travniczek unvermittelt ein. Ohne mit der Wimper zu zucken, antwortete Kippenhan: „Heute Nachmittag? Im Dorf? Nein, ich habe da nichts beobachtet.“

      „Das ist aber schon sehr merkwürdig“, übernahm jetzt wieder Brombach. „Es hat doch eine große Aufregung gegeben.“

      Kippenhan sah die beiden Kommissare fragend an.

      „Es gab einen Mordanschlag – auf Herrn Dieter Maurischat“, sagte Travniczek ganz nüchtern. „Glücklicherweise ist er fehlgeschlagen. Aber immerhin musste Herr Maurischat ins Krankenhaus gebracht werden.“

      Kippenhan schien jetzt ehrlich erschrocken. „Das ist ja fürchterlich! Wissen Sie schon, wer es war? Doch wohl niemand aus dem Dorf?“

      Travniczek zog sein Notizbuch aus der Tasche und schrieb etwas hinein, ehe er fortfuhr.

      „Das wissen wir noch nicht. Wir beginnen erst zu ermitteln, deswegen sind wir auch hier.“

      „Wollen Sie damit etwa sagen, dass …“

      „Ich will damit gar nichts sagen. Ich frage Sie nur, ob Sie eine Idee haben, wer das getan haben könnte.“

      Kippenhan überlegte eine Weile.

      „Nein, da kann ich mir niemanden vorstellen.“

      „Aber Sie wissen doch sicher“, warf jetzt wieder Brombach ein, „es gibt im Dorf einen heftigen Aufruhr, weil Wolfgang Maurischat nach zehn Jahren Haft wieder bei seinem Vater eingezogen ist?“

      „ Ja, das ist mir bekannt. Aber glauben Sie mir, ich kenne die Leute hier seit langem. Das wird sich bald legen.“

      „Da wäre ich nicht so sicher. Kennen Sie dieses Schriftstück?“

      Brombach legte ihm den Drohbrief vor. Kippenhan las ihn aufmerksam, wohl mehrere Male. Spielte er einfach Theater oder kannte er den Brief tatsächlich noch nicht?

      „Das ist ja ein übles Pamphlet“, gab sich Kippenhan entrüstet.

      „Sie sehen, wer alles unterschrieben hat“, sagte Travniczek. „Fast das ganze Dorf“, ergänzte Brombach.

      Kippenhan überflog die Unterschriftenliste.

      „Das hat wohl wieder Adalbert inszeniert, der Sohn vom Chef. Der wird dann mal wieder dazwischenfahren müssen.“

      „Muss Ihr Chef oft ‚dazwischenfahren‘?“

      Kippenhan ärgerte sich über seine unbedachte Äußerung.

      „Lassen wir das jetzt. Das sind Familienangelegenheiten, die nicht hierhergehören. Ich hoffe nur, dass Sie jetzt keine falschen Schlüsse ziehen. Adalbert ist zwar ein Feuerkopf, der manchmal handelt, ohne an die Folgen zu denken. Aber er ist mit Sicherheit kein Mörder.“

      „Wer dann? Den Drohbrief haben fast alle Bürger von Waldesruh unterschrieben. Haben Sie eine Idee, wer von ihnen als Mörder in Frage käme?“

      „Nein, habe ich nicht. Wir leben hier oben recht isoliert, kümmern uns kaum um das, was im Dorf vorgeht. Viele Namen auf Ihrer Liste kenne ich nicht mal, und schon gar nicht die Personen, die dahinterstehen.“

      „Meinen Sie, dass Ihr Chef da besser Bescheid weiß?“

      „Mit Sicherheit nein. Eher noch weniger.“

      Travniczek beendete hier das Gespräch. Es war klar, mehr war aus Kippenhan im Augenblick nicht herauszubekommen.

      Als das schwere Stahltor sich wieder hinter ihnen geschlossen hatte, meinte Brombach mit Wut im Bauch: „Der lügt doch wie gedruckt!“

      „Natürlich, ich glaub ihm gar nichts. Aber der ist aalglatt und mit allen Wassern gewaschen. Es wird schwer werden, dem eine Lüge nachzuweisen.“

      „Und er ist nur der Assistent. Wie ist dann erst der Alte selbst?“

      „Wir werden ihn bald kennenlernen. Das wird ein heißer Tanz.“

      Brombach hörte nicht mehr zu. Er war mit seinen Gedanken schon ganz woanders.

      „Da ist