Christoph Wagner

Waldesruh


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Kellertreppe. Sie ist genauso edel ausgestattet wie das übrige Treppenhaus. Ist das nicht merkwürdig?“

      Travniczek überlegte einen Moment.

      „Zunächst zeigt das doch nur, der Schittenhelm stinkt vor Geld und will das jedem Besucher zeigen.“

      Brombach schüttelte unwillig den Kopf. „Sorry, das reicht mir nicht als Erklärung. Die Treppe führt auf eine sehr edle Wohnungstür zu. Dort unten ist nicht nur einfach ein Keller.“

      „Was sonst noch?“

      „Was weiß ich? An der Außenwand sind da aber nur ein paar kleine vergitterte Fenster. Das passt doch nicht zusammen.“

      Travniczek wurde nachdenklich. „Da könnte etwas dran sein.“

      „Da würde ich gern gleich mal nachsehen.“

      „Aber mit diesem Haus ist irgendetwas nicht in Ordnung, da möchte ich wetten.“

      „Da kannst du recht haben. Aber ich sage dir, wir werden ganz eindeutige Indizien brauchen, um da einen Durchsuchungsbefehl zu bekommen.“

      Einigermaßen frustriert stapften sie durch den tiefen Schnee zurück. Sie hatten nichts erfahren, was sie weitergebracht hätte.

      Es war dreiviertel elf. Travniczek setzte einen Rundruf in Gang, dass sich alle um 23 Uhr 15 zu einer Abschlussbesprechung bei Maurischat treffen sollten.

      Sie kamen als Erste an und mussten mehrmals klingeln, bevor Maurischat aufmachte. Er war eingeschlafen. Nacheinander trudelten die Anderen ein. Sie hatten ihre Listen weitgehend abarbeiten können.

      Zuerst berichtete Brombach, was Adalbert Schittenhelm ausgesagt hatte. Schnell stellte sich heraus, dass alle Aussagen damit nahezu identisch waren. Niemand wollte etwas gesehen oder gehört haben. Alle hatten für die fragliche Zeit ein Alibi, das sie sich gegenseitig gaben. Die Einschätzung von Adalbert Schittenhelm, dass und warum keiner der Bürger von Waldesruh als Täter in Frage kam, wurde durchgängig vorgetragen. Die Streifenpolizisten hatten also richtig beobachtet. Sie stießen auf Absprachen, Lügen und Mauern.

      „Das werden sicher noch ganz schwierige Ermittlungen“, fasste Travniczek resigniert zusammen. „Wenn wir morgen die Vernehmungsprotokolle genau untersuchen, können wir vielleicht den einen oder anderen Widerspruch feststellen und daran ansetzen. Aber groß ist meine Hoffnung da nicht. Eine Frage noch: Gab es Auffälligkeiten im Verhalten der Vernommenen, also Personen, die besonders ängstlich beziehungsweise unsicher wirkten oder umgekehrt besonders selbstsicher?“

      Auch da hatten die Ermittler wenig Greifbares herausgefunden. Mampel, der Exkommissar, sei sehr laut und auch beleidigend gewesen: Die heutige Kripo hätte eh keine Ahnung, wie man vernünftig ermittle. Auf der anderen Seite habe Jauerneck, der Ortsvorsteher, sehr nervös gewirkt und Eberhard Kurz habe ganz offen zugegeben, dass er den Brief nur wegen des Gruppenzwangs unterschrieben habe. Er wohne erst seit kurzem in Waldesruh und wolle einfach dazugehören. Und vom Maler Mostacci sagten sie, er habe sich über die Ermittlungen nur lustig gemacht.

      „Also, diese vier werden wir uns dann auf jeden Fall noch einmal vorknöpfen“, meinte Travniczek. „Vielleicht fallen die ja um. Aber für heute machen wir Schluss.“

      Travniczek veranlasste noch, dass bis auf weiteres ein Streifenwagen vor Maurischats Haus Position beziehen sollte.

      Kurz vor Mitternacht brachen die Polizisten endlich auf. Als sie die Haustür öffneten, fiel ein Blatt Papier auf den Boden, das wohl jemand in die Türritze geklemmt hatte. Brombach hob es auf.

      „Ein Brief“, sagte er und trat zurück in den Flur, um besser lesen zu können. „Handschrift ziemlich ungelenk, könnte von einem Kind stammen.“

      „Und was steht da?“, fragte Travniczek.

      Brombach las und schüttelte den Kopf. „Lies selbst!“

      Bitte helfen Sie uns! Hier herrscht die Hölle,

      schon seit Jahrzehnten!

      Tagebuch - 19.2.

      Weil mir noch alles furchtbar weh tat, bin ich heute Morgen ganz früh aufgewacht. Es war noch stockdunkel. Ich konnte nicht mehr einschlafen. Mir fiel eine ganz alte Geschichte ein. Lange bevor ich in die Schule gekommen bin. Wir waren am Meer. Vater wollte unbedingt, daß ich schwimmen lerne. Aber ich hatte solche Angst. Da zog Vater mich hinaus ins tiefe Wasser. Plötzlich ließ er mich los. Ich zappelte und schrie, konnte mich aber nicht über Wasser halten. Vater ließ mich untergehen und zog mich erst nach einer Weile wieder hoch. Er schrie mich an: „Du sollst schwimmen!“ Und er gab mir zwei Ohrfeigen. Dann ließ er mich wieder los. So ging das ein paarmal. Dann kam plötzlich ein Mann herbeigeschwommen. „Sie hören damit sofort auf!“, schrie er Vater an. „Sonst rufe ich die Polizei.“ Polizei – davor hatte Vater Respekt. Er schwamm mit mir zurück. Am Abend hat er mich dann aber wieder verhauen. Und ich hatte doch gar nichts gemacht.

      Sonntag, 4. Januar 2015

      15

      Travniczek fuhr denselben Weg nach Heidelberg zurück, über den er gekommen war. Wieder fiel Schnee in dichten Flocken und er kam nur langsam voran.

      Er versuchte, sich ein Bild zu machen von dem, der den Stein geworfen hatte.

      Wer bist du? Ich sehe nur einen formlosen Schatten. Zeig dich mir! Oder hast du dich mir heute schon einmal gezeigt und ich habe dich nicht erkannt?

      Warum hast du diesen Stein geworfen? Weil du Wolfgang Maurischat hasst?

      Sag mir, warum hasst du ihn? Was hat er dir getan? Du antwortest nicht. Du weißt also selbst nicht, warum du ihn hasst? Hat er etwas, was dir fehlt? Kann er etwas, wo du versagst? Ist er etwas, was du nicht bist, aber gerne wärst? Heißt du etwa doch Adalbert Schittenhelm?

      Nein, so heißt du nicht. Du hasst Wolfgang gar nicht. Er ist dir im Grunde völlig gleichgültig. Du hast nur Angst. Angst davor nicht dazuzugehören, nicht anerkannt zu werden. Wenn ich jetzt diesen Stein werfe, hast du gedacht, dann sehen alle, ich bin wirklich einer von euch. Ihr Bürger von Waldesruh, jetzt müsst ihr mich endlich loben.

      Und jetzt bist du maßlos enttäuscht. Sie loben dich gar nicht. Sie sind sauer auf dich, weil du den Stein geworfen hast. Du musst dich ganz klein machen, damit sie dich nicht erkennen. Du hast vorher nicht nachgedacht, sonst hättest du erkennen müssen, dass niemand etwas von deiner Tat hat, dass niemand sie will, selbst die nicht, die Wolfgang Maurischat wirklich hassen.

      Ich erkenne dich immer noch nicht. Der Schatten hat sich kaum gehoben. Neu ist für mich nur, du hast vor deiner Tat nicht richtig nachgedacht. Machst du das immer so, wenn du handelst? Wahrscheinlich. Und – du hast Angst, nicht dazuzugehören.

      Wenn ich mir einen nach dem anderen von den Menschen, die ich heute in Waldesruh getroffen habe, ansehe, habe ich dich dann gesehen?

      Oder