Christoph Wagner

Waldesruh


Скачать книгу

sind im Recht und müssen uns wehren! …“

      Die Stimmung war in Aggression umgeschlagen. Waldemar Schittenhelm flüsterte dem Wirt etwas ins Ohr. Der erhob sich, gab den anderen einen Wink, ruhig zu sein, und baute sich in seiner ganzen Breite gebieterisch vor den Kommissaren auf.

      „Ich habe hier das Hausrecht! Sie verlassen jetzt augenblicklich diesen Raum!“

      Die Männer blickten gespannt auf die drei. Brombach und Travniczek blieben, ohne mit der Wimper zu zucken, ganz gelassen stehen. Gerster wusste nicht recht, wie er weitermachen sollte. Zu offener Gewalt fehlte ihm der Mut. Er wirkte wie ein Ballon, der immer mehr an Luft verlor.

      „Meine Herren, hören Sie mir noch für drei Sätze zu“, rief Travniczek mit sonorer Stimme und betont langsam in den Raum. „Dann gehen wir.“

      „Nichts da! Bullen raus! Wir wollen nichts hören!“

      „Seid doch vernünftig“, unterbrach Dr. Wollzogen das sprachliche Durcheinander. „Hören wir uns an, was er zu sagen hat. Dann sind wir ihn los.“

      Es wurde doch noch einmal still. Travniczek sprach ganz ruhig und leise.

      „Erstens: Ich bitte Sie, jetzt einfach nach Hause zu gehen.

      Zweitens: Wir oder einer unserer Kollegen werden Sie noch im Laufe des Abends besuchen, um Sie zu den vorhin erwähnten Taten zu befragen.

      Drittens: Wer nicht angetroffen wird oder die Aussage verweigert, erhält zeitnah eine staatsanwaltschaftliche Vorladung ins Polizeipräsidium Heidelberg.

      Schönen Abend noch.“

      Er drehte sich um und verließ mit Brombach das Lokal.

      13

      Als sie zurück in die Wohnung von Maurischat kamen, hatten sich sechs Kollegen des KDD eingefunden. Zusammen mit den beiden Streifenbeamten sollten sie jetzt mit den Befragungen beginnen. Brombach hatte die nötige Adressenliste mitgebracht.

      „In einer halben Stunde geht’s los“, bestimmte Travniczek.

      Wolfgang Maurischat kochte für alle Tee.

      Es klingelte. Breithaupt kam mit seinen Technikern zurück. Sie hatten draußen die Spuren aufgenommen.

      „Habt ihr was Interessantes gefunden?“, fragte Travniczek.

      „Nicht viel“, entgegnete Breithaupt, der sich mit ausgestreckten Beinen auf der Couch lümmelte, die Hände über seinem beeindruckenden Bauch gefaltet. „Die Arbeit war nahezu Zeitverschwendung. Draußen war so gut wie gar nichts zu machen. Der starke Schneefall unmittelbar nach dem Anschlag hat fast alle vorhandenen Spuren ausgelöscht. Es ist leider ein sehr trockener Schnee, bei dem nichts unterhalb der obersten Decke erhalten bleibt. Was wir ziemlich sicher sagen können: Zwei Personen sind wohl bis ganz an das eingeschlagene Fenster herangegangen. Ob sie groß oder klein, schwer oder leicht waren, ist aus den Spuren nicht mehr zu ermitteln.“

      „Wenigstens etwas“, kommentierte das Travniczek. „Denn wenn der Stein von dort geworfen wurde, musste der Werfer wissen, dass nur der alte Maurischat im Wohnzimmer war.“

      „Ja, wenn er von dort geworfen hat“, gab Breithaupt zu bedenken. „Aber das ist keinesfalls sicher. Es kann natürlich auch sein, dass der Werfer erst nach dem Wurf ans Fenster gegangen ist, um zu sehen, was er da eigentlich angerichtet hat.“

      Travniczek schüttelte missmutig den Kopf. Er hatte sich mehr von Breithaupts Untersuchungen erhofft.

      „Es gibt eine kleine Chance, doch noch etwas mehr herauszufinden. Wir haben alle Scherben der Fensterscheibe fein säuberlich eingepackt und vorher fotografiert, wie sie lagen. Wir werden morgen den ganzen Tag Puzzle spielen und die Fensterscheibe wieder zusammenlegen. Dann können wir – hoffentlich – den Aufschlagwinkel des Ziegelsteins und seine Wurfgeschwindigkeit annähernd bestimmen und daraus die Wurflinie errechnen. Dabei könnte – mit viel Glück – herauskommen, von wo der Stein genau geworfen wurde und wie groß der Werfer war. Eines kann ich aus der Lage der Glassplitter jetzt schon schließen: Der Stein war nicht sehr schnell. Also, den amtierenden Weltmeister im Kugelstoßen könnt ihr als Verdächtigen streichen. Ansonsten haben wir nur noch am Ziegelstein Spuren von Fingerabdrücken gesichert. Ob man die so aufbereiten kann, dass wir damit jemanden identifizieren können, ist zweifelhaft. Das sehen wir morgen im Labor. Mehr haben wir nicht zu bieten.“

      Er und seine Mitarbeiter tranken noch einen Tee und verabschiedeten sich dann.

      Die Anderen begannen jetzt mit den Vernehmungen. Zweier­teams sollten alle Bewohner des Ortes befragen, wie der Drohbrief entstanden sei und ob sie sachdienliche Hinweise zu der Attacke auf Maurischat machen könnten.

      Travniczek und Brombach selbst wollten Adalbert und Waldemar Schittenhelm vernehmen, da sie die beiden nach ihrem Auftritt in der Jägerstube für die Wortführer im Ort hielten. Und natürlich wollten sie dabei auch gleich die Zeugen im Prozess gegen Wolfgang Maurischat kennenlernen.

      Sie gingen wieder über die tiefverschneite Dorfstraße, die parallel zur Steinach taleinwärts führte. An ihr lagen fast alle Häuser. Viele waren wohl schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg errichtet worden. Doch die meisten hatte man aufwendig modernisiert und zum Teil auch großzügig erweitert. Dazu kamen einige prächtige neuere Villen.

      „Das Dorf scheint wohlhabend zu sein“, meinte Brombach. Travniczek nickte.

      Kurz hinter dem Ortszentrum, wo für eine kurze Strecke das Steinachtal so breit wurde, dass sich zwischen Kirche und „Jägerstube“ die Straße zu einem kleinen Marktplatz erweitern konnte, mussten sie in eine der wenigen Stichstraßen einbiegen. Dort lag das Haus von Adalbert Schittenhelm, architektonisch sehr ungewöhnlich gestaltet.

      Es war kurz nach halb zehn. In mehreren Zimmern brannte noch Licht. Brombach läutete. „Jetzt bin ich gespannt.“

      Doch schon wenige Sekunden später wurde im Flur Licht gemacht. Adalbert Schittenhelm öffnete persönlich und gab sich betont freundlich.

      „Nochmals guten Abend, die Herren, kommen Sie doch bitte weiter. – Meine Frau muss ich leider entschuldigen. Sie ist krank und muss das Bett hüten.“

      Die beiden Kommissare sahen sich etwas verwundert an. So einen Empfang hatten sie nicht erwartet. War der plötzlich vernünftig geworden?

      Sie durchquerten den kurzen Flur und traten dann in das saalartige Wohnzimmer, das über beide Stockwerke des Hauses reichte. Zum Garten hin hatte es eine reine Glaswand. Über die drei anderen Wände lief auf halber Höhe eine Galerie mit einem Holzgeländer, der Zugang zu den Zimmern des oberen Stockwerks.

      „Nehmen Sie doch bitte Platz“, forderte Schittenhelm die Kommissare auf und wies auf einen großen runden Holztisch, der zusammen mit sechs Stühlen vor der Glaswand stand.

      „Schön haben Sie’s hier“, sagte Travniczek anerkennend. „Haben Sie das Haus selbst bauen lassen?“

      „Ja, als ich vor dreizehn Jahren geheiratet habe.“

      „Eine interessante Anlage.“

      „Freut mich, dass sie Ihnen gefällt. Habe ich selber entworfen. Ich bin ja gelernter Architekt, wenn ich auch zurzeit nicht in diesem Beruf arbeite.“

      „Darf ich fragen, was Sie beruflich machen?“

      „Ich bin stellvertretender Leiter des Planungsamtes der Stadt Heidelberg.“

      „Also Beamter?“

      „Ja, sicher.“

      Da sah Travniczek im Augenwinkel einen Jungen im Schleichgang die Treppe von der Galerie herunterkommen. Er blieb drei Stufen oberhalb des Bodens unschlüssig stehen. Er schien eigentlich etwas sagen zu wollen, traute sich aber wohl nicht. Als Schittenhelm ihn bemerkte, schnauzte er ihn an: „Alf, was machst du hier? Es ist nach halb zehn. Du musst längst schlafen. Sofort ab ins Bett!“

      „Aber