Christoph Wagner

Waldesruh


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zu können. Und daran hatte sich eigentlich bis heute nichts geändert.

      Lange hing er seinen Gedanken und Erinnerungen nach, ehe er ins Wohnzimmer ging, um Klavier zu spielen.

      „Jetzt spiele ich Bach. Sonst bekomme ich meinen Kopf nicht frei“, brummte er vor sich hin. Doch noch hatte er die Noten nicht aufgeschlagen, da war er mit seinen Gedanken schon wieder bei den Maurischats.

      Zum Tatzeitpunkt soll Berit bereits mit Waldemar Schittenhelm liiert gewesen sein. Das war das schwächste Glied der Indizienkette gegen Wolfgang Maurischat. Allein daraus ergab sich ein plausibles Mordmotiv: Eifersucht. Belegt wurde das aber nur durch die Aussage der beiden Schittenhelms. Wenn es gelänge, die Beziehung zwischen Waldemar und Berit begründet in Zweifel zu ziehen, würde die Mordanklage zusammenbrechen. Also musste er entsprechende Zeugen finden. Berits Eltern vielleicht? Die tauchten nirgends in den Ermittlungsakten auf. Eigentlich völlig unverständlich.

      Er beschloss, die Maurischats anzurufen. Hoffentlich wussten die, wo er Berits Eltern finden konnte. Und er musste ohnehin Wolfgang Maurischat endlich kennenlernen.

      Der Vater meldete sich. Travniczek merkte bei der Begrüßung sofort, wie bedrückt der war.

      „Herr Maurischat, zunächst eine gute Nachricht“, versuchte er ihn aufzumuntern. „Ich habe mir die Ermittlungsakte im Fall Ihres Sohnes durchgelesen. Es ist, so viel kann ich jetzt schon sagen, mindestens sehr, sehr schlampig ermittelt worden.“

      „Sie glauben also, dass man das neu aufrollen kann?“

      Travniczek schluckte. Konnte er das so ohne weiteres bejahen, obwohl er eigentlich noch viel zu wenig wusste? Aber er schob die Bedenken beiseite.

      „Ja, ich denke schon. Aber erst einmal die Frage: Ist Ihr Sohn jetzt zu Hause?“

      „Gestern ist er gekommen.“

      „Wie geht es ihm?“

      Maurischat zögerte etwas mit der Antwort.

      „Wie soll es ihm schon gehen? Schlecht natürlich. Vor allem, nachdem es gestern Abend schon losgegangen ist.“

      „Was meinen Sie mit ‚losgegangen‘?“

      „Das zu erwartende Mobbing.“ Er erzählte Travniczek von dem Gemälde und las ihm den Brief vor.

      „Das ist gut“, kommentierte das Travniczek und musste lachen.

      „Wie meinen Sie das? Wollen Sie sich über mich lustig machen?“, entgegnete Maurischat verwirrt.

      „Bewahre! Aber die Waldesruher Bürger haben uns einen großen Gefallen getan. Der Brief erfüllt den Tatbestand der schweren Nötigung. Alle Unterzeichner haben sich damit strafbar gemacht. Daher kann ich jetzt offiziell ermitteln. Ich würde Sie heute Abend gerne besuchen und dabei vor allem endlich Ihren Sohn kennenlernen. Dann können wir besprechen, wie es weitergehen kann.“

      „Oh, Herr Travniczek, ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.“

      „Ach, jetzt lassen Sie mal. Eine Frage können Sie mir vielleicht schon gleich beantworten. In den Ermittlungsakten kommen Berits Eltern gar nicht vor. Ihre Vernehmung wäre in so einem Fall eigentlich eine Selbstverständlichkeit gewesen. Haben Sie eine Idee, warum das unterblieben ist?“

      Maurischat schien eine Weile zu überlegen.

      „Nein, keine Ahnung. Aber zumindest der Vater hätte sicher nicht zu Wolfgangs Gunsten ausgesagt.“

      „Warum das?“

      „Er … mochte Wolfgang nicht. Er war gegen diese Beziehung.“

      Travniczek hörte schwere Atemzüge. Da kam wohl eine alte Bitterkeit wieder hoch.

      „Was hatte er an Wolfgang auszusetzen?“

      Fast höhnisches Lachen.

      „Offen sagte er, Berit sei noch zu jung für eine feste Bindung – die beiden hatten tatsächlich schon von Heiraten gesprochen –, aber eigentlich ging es ihm wohl um etwas ganz Anderes.“

      „Nämlich?“

      „Ach, wissen Sie, dem Herrn Universitätsprofessor war Wolfgang nicht gut genug für seine Tochter. Er hatte sich da wohl irgendwen aus der Heidelberger High Society vorgestellt.“

      Verachtung, ja Hass sprach aus diesen Worten.

      „Heißt das, dieser Waldemar Schittenhelm wäre ihm als Schwiegersohn sehr viel lieber gewesen?“

      „Mit Sicherheit. Ein angehender Rechtsanwalt, Neffe des großen Ansgar Schittenhelm – das wär‘s gewesen.“

      Travniczeks Gedanken arbeiteten fieberhaft. Er witterte einen Zusammenhang zwischen Berits Verschwinden und der Haltung ihres Vaters zu ihrem Verhältnis mit Wolfgang Maurischat. Er musste unbedingt an die Gerichtsakten kommen und herausfinden, ob und vor allem was Berits Vater vor Gericht ausgesagt hatte.

      „Hatten Sie nach dem Prozess noch einmal Kontakt mit dem Herrn Professor?“

      „Nein, es gab keine Veranlassung.“

      „Und Berits Mutter?“

      „Die kannte ich kaum. Wissen Sie, diese Familie war wohl schon seit langem völlig zerrüttet und Berit hatte sich im Grunde schon innerlich von ihren Eltern verabschiedet. Soweit ich mich erinnern kann, hat sie nie von ihnen gesprochen.“

      „Eine Frage noch. Wissen Sie, wo Berits Eltern jetzt wohnen?“

      „In Heiligkreuzsteinach jedenfalls nicht mehr. Mehr weiß ich leider nicht.“

      „Gut. Ich kann heute Abend gegen sieben bei Ihnen sein. Passt das?“

      „Ja, natürlich.“

      „Und Ihr Sohn ist dann auch da?“

      „Dafür werde ich sorgen.“

      „Dann bis heute Abend.“

      Tagebuch - 22.1.

      Vater hat mich angeschrien. Wenn ich nicht zugebe, daß ich die Vase runtergeworfen habe, schlägt er Mama tot. Ich habe es dann zugegeben. Vater hat Mama losgelassen und mich in sein Arbeitszimmer gezerrt. Ich mußte mich ganz ausziehen. Dann hat er mich fürchterlich mit dem Gürtel verprügelt. So schlimm war es noch nie. Überallhin hat er geschlagen. Er war ganz rot im Gesicht. Irgendwann stöhnte er ganz heftig. Dann hat er aufgehört zu schlagen. Er hat mich in den Keller geschleift und mich dort eingesperrt.

      11

      Zwanzig Minuten später saßen Travniczek und Brombach im Verhörraum Eins einem Herrn Sebastian Kärcher gegenüber.

      Er war nach dem Protokoll der Erstvernehmung durch den KDD sechsunddreißig Jahre alt, von Beruf Sachbearbeiter bei der Rentenversicherung und noch nie polizeiauffällig geworden.

      Travniczek fragte seine persönlichen Daten ab, ehe er ihn aufforderte, den Ablauf des Geschehens zu schildern. Bereitwillig, aber sehr umständlich berichtete Kärcher folgenden Sachverhalt:

      Am Tag vor Sylvester war seine Frau ohne Vorankündigung weggefahren, während er auf der Arbeit war. Sie hatte ihm einen Brief hinterlassen mit der Mitteilung, sie müsse einfach eine gewisse Zeit nachdenken. Am Tag