Christine Feichtinger

Vergängliche Licht und Schatten in den Uhudler Bergen


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die Industrie angekurbelt werden sollte.

      Toni Ertl wurde mit Stefan Resner und seinen Freunden wie viele burgenländische Bau- und Landarbeiter aus kinderreichen Familien über das Arbeitsamt oder NS-Kanäle als „Gastarbeiter“ nach Deutschland vermittelt, wo sie die großen Aufbauleistungen des NS-Regimes kennenlernten und vorgeführt bekamen. Sie wurden dort beim Autobahnbau und in der Rüstungsindustrie benötigt. Sie schwärmten von den Fortschritten – wie bei vielen seiner Freunde war auch in ihm der Traum vom eigenen Volkswagen geweckt worden – und waren nach ihrer Heimkehr die besten Befürworter Hitlers.

      Und als Toni Ertl mit Stefan Resner und seinen Freunden vor der für den 10. 4. 1938 von Hitler beschlossenen Volksabstimmung, welche die Verschmelzung der Nationen und des Nationalsozialismus vollziehen sollte, zurückkam, war ein anderer Toni heimgekehrt, gereift, entschlossen, die große Armut in seiner Heimat zu lindern und die Ziele seines Führers zu unterstützen und zu erreichen. Toni, Stefan Resner und seine heimgekehrten, halb erwachsenen, fast wehrpflichtigen Kameraden versuchten ihre Eltern und alle Verwandten und Bekannten zu überreden, für den Anschluss Österreichs an Deutschland zu stimmen, in der Überzeugung, ein besseres Leben zu erwirken, nicht wissend, was ihnen bevorstand.

      Toni bedauerte nur, dass er zu wenig Geld verdient hatte, um sich einen Volkswagen zu kaufen. Wie gerne hätte sich Toni einen Volkswagen gekauft und wäre wie zum Beweis des Wohlstands in Deutschland unter Adolf Hitler damit stolz heimgefahren, um den Dorfleuten zuhause vor Augen zu führen, wie gut es den Deutschen geht.

      Stefan Resner, Toni Ertl und seine Freunde organisierten für die NSDAP Parteikundgebungen sowohl in deutscher, ungarischer als auch in kroatischer Sprache in jenen Orten, wo sich anderssprachige Bevölkerungsschichten befanden. Die Post und die Schüler, auch Zwumpl, brachten riesige Mengen Propagandamaterial als Wahlwerbung ins Haus. Ein Radio kam kostenlos in das Gasthaus, damit die Propagandareden des Führers gehört werden konnten.

      Als Redner bei den Parteikundgebungen wurden die neuen NS-Machthaber, Stefan Resner und Toni Ertl, nicht müde, für den Anschluss zu werben. Stefan Resner betonte: „Bei uns wird es ohne Hitler keinen Aufschwung, keinen Fortschritt, keine Arbeitsplätze geben, ohne ihn werden wir immer arm bleiben. Österreich kann alleine nicht bestehen und ist nicht lebensfähig.“ Er sprach sowohl von den Segnungen der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), welche die Ämter Organisation, Finanzverwaltung, Wohlfahrtspflege und Jugendhilfe, Volksgesundheit, Propaganda und Schulung bekleidete, vor allem im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit tätig war, bedürftige Familien unterstützte und Kindergärten betrieb als auch von der NS-Frauenschaft (NSF), welche wirtschaftliche und krankenpflegerische Tätigkeiten ausübte.

      Quasi als lebenden Beweis rief Stefan Resner Toni Ertl, der den Fortschritt in Deutschland persönlich genauso wie er wahrgenommen hatte, an das Rednerpult. Toni las die selbst geschriebene Rede von der Innenseite seines Kappls ab und erklärte, dass er in Deutschland gearbeitet hatte und den Fortschritt gesehen hatte. „Ich habe die großen Aufbauleistungen und wie gut es in Deutschland wirtschaftlich steht, mit eigenen Augen gesehen. Der Führer ist bestrebt, dass jeder Deutsche einen Volkswagen haben soll.“ Im nächsten Moment sprach er von der politischen Organisation KdF (Kraft durch Freude), welche Reiseveranstaltungen, Wandern, Seereisen, Bunte Abende, Gymnastik-, Schwimm- und Nähkurse, Konzerte, Erwachsenenbildung etc. für die Bevölkerung veranstaltete. Dass damit gleichzeitig ein körperlich gesundes, kriegstüchtiges Volk gemacht werden sollte, konnte er nicht wissen. Dann hämmerte er seinen Zuhörern ein, dass die Juden allein an der wirtschaftlichen Not, an allem Elend und aller Verzweiflung der Jahrzehnte vorher schuld seien.

      Mit erhobener Stimme rief Toni, dass nur Hitler den Wirtschaftsaufschwung in Deutschland gebracht habe, dass auch hier ein Hitler gebraucht werden würde, um denselben Aufschwung zu ermöglichen, um der Armut ein Ende zu bereiten. Dies würde nur mit Hitler gelingen. Ohne Hitler würden die Errungenschaften der neuen Zeit niemals hier eintreten.

      Gewöhnlich schloss er die Rede mit den drohenden Worten, dass alle Skeptiker durch ihr Nein den Aufschwung verhindern würden und dies vor ihren Kindern zu verantworten hätten.

      Abends berieten sich die Eheleute Ertl im Ehebett flüsternd hinter verdunkelten Fensterbalken wie sie abstimmen sollten und wie immer lauerte Zwumpl, um etwas zu erhaschen und seinen Brüdern brühwarm weiterzuerzählen.

      Im Elternhaus von Karl gab es auf der vorderen Seite des Hauses das Schlafzimmer, sodass darin die Kinder und die Eltern auf Strohsäcken schliefen, darunter auch Zwumpl. Im Ehebett schlief auch ein Kind, in der danebenstehenden Wiege lag das kleinste Kind, welches durch die Sprießel (Gitterstäbe) schaute. Jeden Abend hutschelte (schaukelte) Viktor Ertl das kleinste Kind ein.

      Aus der Not geboren, gfretteten sich (improvisierten) die Leute in vielen Dingen. In der Wäschetruhe mit den vier Läden schliefen in jeder Lade, eingewickelt in selbst genähte Windel, ein Kind. Hatte sich das oberste Kind nass gemacht, wurden die darunter liegenden Kinder auch nass. Zwumpl lag mit drei anderen Kindern in einem Bett, wobei die Füße zweier Kinder in der Mitte des Bettes zusammenstanden. Wie immer stellte sich Zwumpl schlafend, um das Getuschel seiner Eltern zuerst neugierig zu belauschen und anschließend das seltsame Gerangel im quietschenden Bett zu verfolgen.

      Für Viktor und Anna Ertl hatte sich die neue Zeit wie ein Felsblock auf ihre Herzen gelegt. Was würde ihnen unter den Deutschen blühen?

      Stillschweigend und gottergeben hatten die Eheleute Ertl, wie so viele anderen Dorfbewohner – jene die ihre Arbeit verloren hatten – festgestellt, wie sehr sich die Menschen und das Dorfleben verändert hatten.

      Dort, wo früher alles Geschehen, jede Neuigkeit öffentlich diskutiert wurde, sowohl im Elternhaus von Karl als auch auf der Gasse, verstummte jetzt jede flüsternd geführte Diskussion, als ob sich hinter jeder Ecke Spitzel und Denunzianten befänden. Denunzianten, welchen die Bürgerpflicht eingetrichtert wurde, jede kritische Aussage gegen Hitler und das NS-Regime anzuzeigen, hatten ihre Augen und Ohren überall. Sogar auf den Streichholzschachteln stand „Feind hört mit“. Ständig fühlten sich die Leute beobachtet und belauscht. Misstrauen und Missgunst verbreiteten sich wie eine bösartige Krake.

      Geheimnisvoll wurden zwischen den Bauern im Dorf heiße Diskussionen geführt, ob man bei der Volksabstimmung am 10. April 1938 für den Anschluss sein sollte. Sobald ein Dritter dazukam, verstummte der Dischgur, genauso, als säßen die Spitzel im Schatten. Nur wenn im Elternhaus von Karl das Radio spielte oder die Kinder laut waren oder die grünen Holunderblätter mit ihrem Mund bespielten, oder mit der Maulwetz (Mundharmonika) spielten, traute man sich tagsüber leise sprechen.

      Während dieser Zeit der lähmenden Angst, Einschüchterungen, Unterwerfung, des bedingungslosen Gehorsams, traute sich keiner öffentlich seine Meinung sagen, sondern nur hinter vorgehaltener Hand immer beobachtend, ob keine Zeugen anwesend waren.

      Geschürt durch Misstrauen, Not und Neid wurden aus den besten Nachbarn Feinde. Vorherige Freunde, Verwandte, beste Nachbarn waren jetzt gespalten, bespitzelten und denunzierten sich als Feinde, viele in der Hoffnung, im neuen System Karriere zu machen und Macht über andere zu haben.

      Einige der Befürworter des neuen Systems lauerten im Hintergrund und verschwiegen vorerst vorsichtshalber ihre Sympathien für die neue Partei, wollten die Volksabstimmung abwarten, sich quasi ihre Gesinnung bestätigen lassen, um sich dann zu den Siegern zu zählen.

      Und so berieten sich die Eheleute Ertl im Ehebett flüsternd hinter verdunkelten Fensterbalken an jenem Abend, wie sie abstimmen sollten.

      Sie besprachen, wie die ihnen gut bekannten und geschätzten Herren Lehrer, Bezirkshauptmann, welche fähige Leute waren und sich verdient gemacht hatten für die Heimat, ebenso wie Viktor Ertl selbst als Bürgermeister, abgesetzt worden waren. Der Jude Isidor Holz, Inhaber der Greißlerei im Dorf, war vertrieben worden, andere Gegner des neuen Regimes hatten erfahren müssen, wie hart gegen sie vorgegangen wurde.

      Sie staunten, wie sich vorher unscheinbare Leute jetzt einschmeichelten und anbiederten, sich als Anhänger des neuen NS-Systems deklarierten und wie schnell Emporkömmlinge, Bücklinge, Wendehälse nun an die Macht drängten. Eben viele Leute, welche durch die Weltwirtschaftskrise arm und arbeitslos waren