Axel Birkmann

Der Mann, der den Weihnachtsmann erschoss


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die auf einmal doch Interesse an den Ausführungen des Fotografen zeigte.

      »Gibt es auf dem Rechner ein Fotobearbeitungsprogramm?»

      »Ja! Warum fragen Sie?«

      »Weil die Bilder keinen Namen haben, sondern nur die JPEG Daten DSC und eine Nummer. Er hat sich nicht die Mühe gemacht, die Bilder umzubenennen, geschweige denn die Namen der Frauen zu verwenden. Es ist alles anonym. Ich würde gerne versuchen an die Mediadaten der einzelnen Bilder heranzukommen. So könnten wir feststellen, wann sie aufgenommen worden sind und auch mit welcher Kamera. Die neueren Digitalkameras speichern diese Informationen zu jedem Bild. Vielleicht hat er sogar noch Informationen manuell hinzugefügt?«

      »Ja, das gibt es. Photoshop Elements. Meinen Sie so etwas?«

      »Ja, Frau Schütz. Das meine ich. Das schauen wir uns später noch an. Im Moment kann ich nur soviel sagen, der Fotograf arrangierte die Damen nur an zwei unterschiedlichen Locations, einmal am Marzlinger Weiher und die zweite Location ist eine Lichtung in einem Wald. Wo das ist, das weiß ich nicht, das kann überall sein. Um Freising herum gibt es ja einige schöne Waldflächen. Und es handelt sich um etwa 20 verschiedene Frauen. Von jeder hat er ein paar Dutzend Aufnahmen geschossen. Und die Aufnahmen sind absolut nicht vulgär.«

      »Was meinen Sie damit?«, fragte Melanie.

      »Ich will damit sagen, er hat die Mädchen natürlich und sinnlich dargestellt. Nicht bei einer Selbstbefriedigung oder als eine Masturbationsvorlage für Männer, niemals mit den Fingern in ihren Geschlechtsteilen oder mit weit gespreizten Beinen, oder auch sexistische Nahaufnahmen. Der Fotograf hatte ein Auge für Erotik und Sinnlichkeit. Das sind alles keine pornografischen Bilder. Das ist echte Kunst.«

      Alois und Melanie staunten über die Worte ihres Gastes.

      »Sie müssen es ja wissen. Herr Werner, wir haben auch noch ein paar andere Bilder entdeckt. Die möchte ich Ihnen auch noch zeigen.« Alois klickte auf den zweiten Ordner.

      Das erste Bild, das auf der Wand erschien, war eine schwarzweiß Aufnahme einer jungen Frau, die auf einer Terrasse eines Gartenhäuschens lasziv an der Tür lehnte. Mit einer Hand bedeckte sie ihren rechten Busen, die andere bedeckte einen Teil ihrer Scham. Trotzdem war ihre schwarze Schambehaarung zu sehen. Sie lächelte fröhlich in die Kamera. In diesem Stil ging es weiter.

      Simon Werner lachte auf als er die ersten Bilder sah.

      »Das ist grandios. So etwas habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Diese Frauen, wie sie ohne jegliche Scham freundlich in die Kamera lächeln. Und auf allen Bildern sieht man ihre Gesichter. So etwas macht man heute nicht mehr. In der modernen Aktfotografie wird zwar auch immer wieder schwarzweiß belichtet, aber die Gesichter sieht man immer seltener. Heute werden Details bevorzugt: eine Brustwarze, die Oberschenkel, nackte Füße und lange Beine, die Scham und der Körper wird oftmals in unnatürliche Posen verdreht. Außenaufnahmen entstehen auf Industrieanlagen, in leerstehenden Häusern, an knochigen Bäumen und im Wasser. Es gibt einen Fotografen, der knipst die Mädchen nur unter Wasser und zwar allesamt nackt.«

      »Was denken Sie, von wann sind die Bilder und wo sind sie aufgenommen?«

      »Ich tippe auf die Jahre Anfang 1970 bis Ende 1980. Man sieht es zum Teil an den Frauen. Die sehen heute anders aus. Außerdem sind das keine Digitalbilder. Das sehen Sie am Weißabgleich. Das sind Kleinbildfilme, die gescannt und somit digitalisiert wurden. Das sind auf jeden Fall fotografische Highlights. Die Bilder sind auch alle in der freien Natur gemacht worden. Keines davon im Atelier. Der Fotograf war also ein Naturalist. Und alle Bilder sind nicht nachbearbeitet worden. Der Fotograf muss ein gutes Auge für Motiv und Beleuchtung gehabt haben.«

      »Wir dachten an Dänemark oder Schweden?«, sagte Alois.

      »Wie bitte?«, fragte Werner.

      »Na ja, wir dachten die Bilder könnten in Dänemark oder Schweden gemacht worden sein?«

      »Wie kommen Sie denn darauf?«

      »Die meisten Frauen sind blond. Und vor allem Sie haben kein Problem, ihre Nacktheit natürlich zu präsentieren.«

      Werner dachte nach. Er schritt nach vorne an die Wand und schaute das letzte Bild genauer an.

      »Das glaube ich nicht. Können Sie bitte mal dieses Bild etwas vergrößern. Geht das?«

      Alois versuchte es, bekam es aber nicht hin. Melanie rollte mit ihrem Stuhl neben ihn und sagte: »Lass mich bitte mal versuchen.«

      Das Bild vergrößerte sich.

      »Wollen Sie einen speziellen Ausschnitt?«, fragte Melanie.

      »Ja bitte. Zeigen Sie mir das Stück Wiese neben dem Kopf des Mädchens.«

      Melanie vergrößerte den gewünschten Ausschnitt. Simon Werner trat nun einen Schritt zurück, um das Bild von weitem anzuschauen.

      »Das ist nicht Skandinavien. Das ist in Deutschland. Nur wo?«

      »Deutschland? Wie kommen Sie darauf?«

      »Diese Bäume. Das sind Schwarz-Pappeln, die sind am Häufigsten in den neuen Bundesländern speziell im Norden verbreitet. Die Schwarz-Pappel wächst als Flussbegleiter in den gemäßigten Klimabereichen weiter Teile Europas mit Ausnahme von Skandinavien. Und sie ist in größeren Beständen auch an den großen europäischen Flüssen wie Loire, Rhône, Po, Donau, Elbe, Rhein und Weichsel beheimatet. Da diese Bilder nicht aus Frankreich kommen, können Sie nur noch in Deutschland aufgenommen worden sein. Und zwar in der damaligen DDR. Vielleicht wurden sie in einem FKK-Club aufgenommen. Da gab es ja mehrere. Die FKK-Bewegung kommt zwar nicht direkt aus der DDR, fand aber dort ihre größte Anhängerschaft. Bis heute verteidigen die Ostdeutschen ihr Recht auf Nacktbadestrände.«

      »Bilder aus der DDR?«, fragte Melanie. »Ich komme aus der DDR. Aber haben sich denn die Frauen dort vor knapp 30 Jahren schon so frei fotografieren lassen?«

      »Das hat etwas mit der Geschichte des FKK in der DDR zu tun. Da müssten Sie sich eigentlich auskennen.«

      »Ich bin Mitte der Siebziger geboren. Als diese Aufnahmen gemacht wurden, da bin ich noch in den Kindergarten gegangen. Wir waren oft an der Ostsee im Urlaub. Stimmt und FKK war Programm.«

      »Anfangs der 50er-Jahre war es noch unüblich, sich hüllenlos am Strand zu zeigen. Es gab sogar ein offizielles Nacktbadeverbot der Volkspolizei«, erzählte Werner.

      »Davon hatte mir meine Mutter erzählt«, sagte Melanie. »Aber wir DDR-Bürger setzten uns durch. Nacktbaden wurde Privatsache und so widerstanden wir der Staatsmacht.«

      »Richtig. Es wurden von Jahr zu Jahr mehr, die FKK zu ihrer Urlaubsnormalität machten.«

      »Wir waren immer in Prerow, ein Zeltplatz in den Dünen, dort entwickelte sich ein kleines Paradies für Nacktbader aller Altersstufen.«

      »Ich kenne Prerow, Frau Schütz. Das ist im Darß. Zwischen Warnemünde und Stralsund.«

      »Stimmt. Wann waren sie da?«

      »Leider erst nach der Wende. Der öffentlichen Prüderie, die sich beispielsweise in der Reglementierung von Nacktfotos in Zeitschriften zeigte, stand der private ungezwungene Umgang mit der eigenen Nacktheit gegenüber. Ein berühmter DDR-Aktfotograf war zum Beispiel Klaus Ender.«

      »Klaus Ender?«

      »Ja, ich habe ihn leider erst nach der Wende kennenlernen dürfen. Er wohnt mit seiner Frau auf Rügen. Ein Meister der Aktfotografie. Einige dieser Bilder hier erinnern mich an seine Werke. Der Fotograf muss ihn gekannt haben, vor allem seine Bilder. Und er hat ihn teilweise kopiert.«

      »Wurden Klaus Enders Bilder denn schon zu DDR-Zeiten veröffentlicht?«, fragte Melanie.

      »Ja, ja!«, antwortete Werner. »Seine Aufnahmen für die DDR-Zeitschrift „Das Magazin“ machten Klaus Ender schließlich berühmt. Im Jahr 1975 organisierte Ender die von mehr als hunderttausend DDR-Bürgern besuchte Ausstellung „Akt & Landschaft“, die die Aktfotografie in der DDR salonfähig machte und ihm auch international