Axel Birkmann

Der Mann, der den Weihnachtsmann erschoss


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hatte ihnen keines gegeben. Unwahrscheinlich, denn die Fotos wurden nirgends vermarktet. Es war die persönliche Erinnerungskartei des Toten. Nur auf seinem Rechner. Keines der Bilder wurde ins Internet gestellt oder anderweitig verkauft.

      Rache? Rache könnte ein Motiv gewesen sein. Oder unerfüllte Liebe, Eifersucht und Hass. Eine abgewiesene Frau? Der Prozentsatz der Menschen hingegen, die aus reiner Lust am Töten morden, war sehr gering. Die Methode, wie jemand umgebracht wurde, sagte dabei viel über seinen Mörder aus. Es war ein Unterschied, ob jemand sein Opfer anfassen musste, um es durch Erwürgen langsam zum Tode zu bringen, oder ob er es vergiftete, beziehungsweise aus der Distanz erschoss. Und Krüger war erschossen worden. Der Täter brauchte das Opfer nicht anzufassen. Und das wollte er auch so. Ihn anzufassen hätte den Täter angewidert. Aber wer wusste ganz genau wer unter diesem Kostüm steckte?

      Natürlich wusste Kreithmeier, dass die Mehrzahl aller Morde ohnehin Beziehungsdelikte waren, bei denen Opfer und Täter sich kannten. Doch wenn eine Person erwürgt wurde, war ziemlich sicher, dass sie mit dem Täter in irgendeiner Art von Beziehung stand. Jemandem mit den eigenen Händen den Hals zuzudrücken und ihm dabei ins Gesicht zu sehen, erforderte nicht nur ein erhebliches Maß an Kraft, sondern auch eine wahnsinnige Wut, sinnierte Alois über die Tat nach. Diese Art von Zorn empfand man kaum gegenüber einer fremden Person. Manche Arten zu töten setzten einfach andere Fähigkeiten voraus – sowohl körperliche, als auch charakterliche.

      Und so war ein einfacher Schuss immer eine saubere Sache. Der Täter kam nicht mit dem Blut des Opfers in Kontakt. Ein Herzschuss war meistens tödlich. Und der Täter brauchte das Opfer nicht anfassen, ein wichtiger Punkt, vor allem, wenn man sich vor dem Opfer ekelte. Und selbst die Entsorgung einer Leiche machte oftmals erhebliche Mühe. Wohin damit? Versenken? Zerstückeln? Auflösen? Einbetonieren? Auf den Kompost? Alois lachte zynisch als er seine eigenen Gedanken erfasste.

      Der Täter in seinem Fall brauchte nur zu töten. Unblutig. Sich keine Gedanken um die Leiche machen. Einfach nur unerkannt weglaufen. Mitten durch die Menge. Eigentlich einfach und unproblematisch. Der Täter war ein Ästhet. Er wollte sich mit dem Mord nicht beschmutzen. Er wollte effektiv sein. Der Mord war geplant. Und es war Rache. Eine sehr starke Rache.

      Krüger hatte jemandem etwas Böses angetan. Das muss so schlimm gewesen sein, dass derjenige beschlossen hatte seinen Widersacher zu töten. Und er hat sich ihm sicher noch vorher zu erkennen gezeigt, bevor er diesen tödlichen Schuss abgegeben hat. Ihm einmal kurz in die Augen geschaut, damit das Opfer weiß, wer ihn tötet. Das muss für den Täter die größte Genugtuung gewesen sein. Das Opfer sollte wissen, wer und warum. Und das konnte Jahre zurück liegen. Ein Fall aus Krügers Vergangenheit. Doch wie weit zurück? Achtziger Jahre? Die 90er? Oder seit Krüger in Freising lebte?

      Doch im Moment war Krüger für sie noch ein Mann ohne Vergangenheit. Wenn er wirklich aus der DDR aus Weimar kam, dann sollte es äußerst schwierig sein, seine richtige Identität zu erfahren. Und wenn, dann müsste es doch so etwas wie eine Stasi-Akte über ihn geben? Wenn denn sein jetziger Namen echt war?

      Alois sah auf seinen Schreibblock. Obwohl er introvertiert ganz für sich, seinen Überlegungen hingegeben hatte, musste er nebenbei im Unterbewusstsein Protokoll darüber geführt haben, denn sein Block war voll geschrieben. Alles, was er leise gedacht hatte, hatte er hier schwarz auf weiß zu Papier gebracht. Er sah auf und blickte Rainer und Melanie an.

      »Und was habt ihr?«, fragte er sie.

      Rainer und Melanie sahen auf. »Wie bitte?«, fragte Melanie zurück.

      »Na, was habt ihr denn bis jetzt?«

      »Nicht viel.«

      »Ich zwar auch nicht, aber ich bin mittlerweile der festen Überzeugung, dass das Tatmotiv Rache ist.«

      »Und wieso?«, wollte Melanie wissen.

      »Weil die Tat geplant war. Mitten in der Altstadt, ein gezielter bewusster Schuss. Rache für eine Demütigung, die auch einige Zeit zurück liegen kann. Eine Frau, die er sexuell abhängig gemacht und gequält hat. Oder abgewimmelt. Verletzte Eitelkeit. Oder ein Mann, dem er seine Frau weggenommen und ihn gekränkt allein zurückgelassen hat. Wenn ich mich an jemandem rächen würde, ich würde ihm den Hals umdrehen oder zudrücken bis ihm die Augäpfel aus dem Kopf treten.«

      »Alois!«, rief Melanie überrascht auf.

      »Ja!« Alois nahm seine Hände und tat so als ob er jemandem den Hals zudrückte.

      »Nein! Unser Täter wählte eine saubere Art des Tötens. Er erschoss ihn mit nur einer Kugel, nicht mal mehrere Kugeln oder gar ein ganzes Magazin. Nein, nur eine einzige Kugel, ein kleines Kaliber. Wie kann er da sicher sein, dass diese Kugel auch tötet? Dass konnte er, weil er sie direkt in das Herz des Opfers schoss. Der Herzschlag endete abrupt und durch die Einschussöffnung strömte das Blut aus dem Herzen. Und das hatte zur Folge, dass der Blutdruck sofort zusammenbrach, was im Gehirn des Opfers zur Blutleere führte. Der Hirntod trat zwar erst nach etwa drei Minuten ohne Sauerstoffversorgung ein, aber der Getroffene wurde augenblicklich bewusstlos.«

      »Rache? Rache weswegen, Alois?«

      »Das weiß ich noch nicht. Nur die Fakten sprechen dafür. Wir müssen alles über den Toten erfahren, anders kommen wir nicht weiter. Was ist mit seinem Handy? Telefonate, Nummern, SMS. Was ist damit, Rainer?«

      Rainer blickte Alois an. »Nichts Auffälliges. Telefonate mit dem Rathaus, mit ein paar Familien, Termine wegen Weihnachtsmannbesuchen. Josef hat den ganzen Vormittag damit verbracht, während ich mich um den Laptop gekümmert habe.«

      »Frauen? Freundinnen? Sexkontakte?«

      »Nichts per Telefon.«

      »Was ist mit seinen Kontakten?«

      »So weit bin ich noch nicht.«

      »Und die Fingerabdrücke in seiner Wohnung, DNA Spuren?«

      »Bearbeitet Josef Schurig. Sind morgen fertig.«

      Alois stand auf und schritt unruhig durch den Raum.

      »Wir brauchen einen Fotografen, einen Profi, einen, der sich mit Aktaufnahmen auskennt und mit den Locations. Und wir brauchen einen, der sich mit den Stasi-Akten auskennt, falls Melanie mit Ihrer Vermutung Recht hat. Schicken wir das Bild des Toten ans BKA, ans BLKA, an den MAD und an den Bundesnachrichtendienst. Wenn er für die Stasi gearbeitet haben soll, dann muss doch jemand von diesen Organisationen etwas über ihn gesammelt haben. Und wir brauchen seine Arbeitgeber. Wie hießen die gleich?«

      »FCM und LSV«, antwortete Melanie.

      »Dann machen wir uns ans Werk. Rainer und Josef, ihr kümmert euch um die Fingerabdrücke, Kontoauszüge, Handy und dergleichen. Und lasst ein Programm über den Rechner laufen, das gelöschte Dateien feststellen kann. Melanie, du setzt dich bitte mit deinem Freund Burger vom BLKA in Verbindung und er soll seine Beziehungen spielen lassen. Es muss doch etwas über den Krüger geben. Und ich kümmere mich um den Fotografen. Jetzt sind es noch 10 Tage. Packen wir es an. Der Countdown läuft.«

      »Er ist nicht mein Freund, Alois.«

      »Wer ist nicht dein Freund, Melanie?«

      »Der Burger!«

      »Ach ich dachte bloß.«

      »Blödmann!«

      Der Fotograf

      Dienstagmorgen.

      Während Melanie sich im Keller mit Rainer Zeidler und Josef Schurig traf, um die Spuren aus Sascha Krügers Wohnung zu katalogisieren und mit den Datenbanken des BLKA und des BKA abzugleichen, erschien bei Alois im Büro ein Mann mittleren Alters: dunkelbraune ungekämmte Haare, braune Augen, eine eindrucksvolle Nase und einen Tagesbart. Der Mann trug eine abgewetzte Cordhose, ein kariertes Hemd und einen dunkelblauen Marinemantel. Um seine Schulter baumelte eine stabile Fototasche.

      »Guten Morgen«, sagte er, »ich suche einen Alois Kreithmeier, angeblich Hauptkommissar der Mordkommission. Bin ich hier denn richtig? Der