Axel Birkmann

Der Mann, der den Weihnachtsmann erschoss


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haben musste. Alois schloss die Wohnungstür auf und schritt voran. Vorsichtig sicherten sie zuerst die Räume. Doch die Wohnung war leer. Sie bestand aus einem Wohnzimmer mit Esszimmer, einem Schlafzimmer, einem kleineren Arbeitsraum, Küche und Bad.

      Sie teilten sich auf. Rainer kümmert sich um das Schlafzimmer, Schurig um die Küche und den Keller, Melanie um den Wohnraum und Alois um das Arbeitszimmer. Nach einer halben Stunde wollten sie sich wieder im Esszimmer treffen, es sei denn, es würde jemand auf etwas Außergewöhnliches stoßen, doch wie das Außergewöhnliche auszusehen hatte, das konnten sie noch nicht definieren.

      Alois begab sich ins Arbeitszimmer, einen etwa 10 Quadratmeter großen Raum, mit einem Schreibtisch, ein paar Wandregalen und einem alten Bauernschrank. Alois begann den Schreibtisch zu untersuchen.

      Auf einer ledernen Schreibtischunterlage hatten sich mehrere Briefe und Schreiben angesammelt. Nichts Verdächtiges: Etwas Werbung, ein Schreiben von einer Bank wegen der zu erwartenden Kontonummernumstellung, ein Schreiben von einer Versicherung und eine Rechnung über ein Navigationssystem. Rechts davon stand ein relativ neuer Laptop. Alois schaltete ihn an. Doch der Bildschirm war gesperrt. Den würden sie mitnehmen müssen und in der KTU versuchen den Code zu knacken. Am Kopf des Tisches standen mehrere Bücher und Bildbände über Flugzeuge: Düsenjets, Tarnkappenbomber und Segelflugzeuge. Sascha Krüger musste wohl ein Fan für diese Technik gewesen sein.

      Alois öffnete den Schrank hinter sich. Fein säuberlich waren hier Pappkartons diverser Modellbaufirmen gestapelt: Revell, Robbe, Airfix, Italieri und ein paar von japanischen und russischen Herstellern. Die meisten Modelle waren Militärmaschinen. Krüger war wohl ein Modellbauer, insbesondere von Flugmodellen. Wenn hier die Schachteln waren, wo waren dann die Modelle, fragte sich Alois.

      Er schaute im Raum umher, doch es war nichts zu erkennen. Alois zog eine Schachtel heraus, eine Junkers Ju-87 Sturzkampfbomber von der Firma Trumpeter im Maßstab 1:32. Das Modell sollte eine Länge von über 35 cm haben und eine Spannweite von knapp 50 cm. So ein Modell konnte man nicht so ohne weiteres verstecken. Alois öffnete hob den Deckel ab und blickte überrascht hinein. Das Flugzeugmodell lag in allen Einzelteilen unverbaut in der Schachtel. Alois öffnete ein paar weitere. Überall lagen die Einzelteile ungenützt darin.

      Alois wunderte sich. Der Krüger hatte zwar eine stattliche Sammlung dieser Bausätze, aber er baute sie nicht zusammen. Er sammelte sie nur im Neuzustand. Alois schüttelte den Kopf, schob die Pappkisten wieder in den Schrank, schnappte sich den Laptop und machte sich auf den Weg zu Melanie ins Wohnzimmer.

      »Und?«, fragte er sie, »schon etwas gefunden, was uns helfen könnte?«

      »Eigentlich nicht«, sagte sie knapp und untersuchte die Fächer und Schubladen der Schrankwand im Wohnzimmer. »Und du?«

      »Ich habe hier seinen Laptop, sonst nichts. Er hatte wohl einen Fabel für Flugzeuge - insbesondere für Bausätze - aber er baute sie nicht zusammen, er sammelte sie im Neuzustand. Und nebenbei gesagt, er hat einen ganzen Schrank voll davon.«

      Melanie drehte sich um und sah ihren Kollegen entgeistert an. »Aber deswegen wird man nicht erschossen, oder?«

      »Wahrscheinlich nicht.«

      »Hier ist auch alles normal. Vielleicht kommen wir mit dem Laptop weiter. Der Krüger hatte so weit ich das erkennen kann, keine Schulden, verdiente ein gutes Geld mit seinen Weihnachtsmannauftritten und in den Sommermonaten bekam er sein Geld von einer Firma mit dem Namen LSV, vor 2010 von einer mit dem Namen FCM. In beiden Fällen circa 2000 Euro netto pro Monat.«

      »Woher hast du diese Informationen, Melanie?«

      »Aus seinen Kontoauszügen. Er heftete sie alle ordentlich ab.« Melanie legte ihrem Kollegen ein Auszugsheft auf den Tisch.

      »LSV und FCM? Irgendeine Ahnung?«

      »Nicht dass ich wüsste. Muss ich noch googlen. Morgen im Büro.«

      »Die Wohnung ist meiner Meinung nach sauber«, sagte daraufhin Alois. »Es waren keine Besucher da, haben nichts durchwühlt oder angefasst. Rainer und Josef sollen dann in jedem Raum die Fingerabdrücke nehmen. Die können wir dann mit dem Toten vergleichen. Das komplette Team der KTU können wir uns hier sparen. Hast du etwas über eine mögliche Verwandtschaft herausgefunden? Ist er oder war er einmal verheiratet? Wie sieht es mit seinem Portemonnaie und seinem Handy aus? Etwas gefunden?«

      »Rainer hat die Sachen. Sie lagen im Schlafzimmer auf dem Bett. Entweder hat er sie schlicht und einfach dort vergessen, als er sich in seinem Gewand zum Domberg aufgemacht hat. Oder er hat sie mit Absicht dort gelassen. Wollte ungestört sein. Und eine Bratwurst hätte er sicher von einem der Stände umsonst bekommen können.«

      »Ich gehe mal zu Josef in die Küche. Vielleicht finde ich dort etwas.«

      Selbst in der Küche wurde Schurig nicht fündig. Alois sah sich auch noch um. Alles war ordentlich aufgeräumt, es gab kein schmutziges Geschirr, die Lebensmittel im Kühlschrank waren frisch. Nichts war abgelaufen. Und in keinem geheimen Fach konnten Alois und Schurig Waffen, Drogen, Geld oder andere verdächtige Dinge finden. Kein einziger Hinweis konnte in der Wohnung gefunden werden, warum ein kaltblütiger Killer den armen Krüger so brutal ermordet hatte.

      Zuletzt untersuchten sie den Wagen des Toten. Einen weißen Seat Ibiza. Doch auch hier gab es nichts Ungewöhnliches. Nur ein sauber gepflegter Wagen.

      Nach eineinhalb Stunden packte Alois den Laptop und sammelte sein Team ein. Es gab nichts mehr zu sehen. Hoffentlich öffnete der Computer ihnen ein paar Geheimnisse.

      »Josef und ich, wir nehmen seinen Rechner, die Geldbörse und das Telefon mit«, klärte Rainer seine Kollegen auf. »Mal sehen, was wir da alles darin finden kann. Der Sonntag ist jetzt sowieso gelaufen, da können wir auch gleich weiter arbeiten. Wir laufen zu Fuß ins Polizeirevier. Ist ja gleich um die Ecke. Und was macht ihr beiden Hübschen noch?«

      »Noch mal auf den Adventsmarkt, noch mal den Tatort bei Sonnenlicht begutachten?«, fragte Melanie und sah ihren Kollegen Kreithmeier bittend an.

      »Von mir aus«, knurrte der Angesprochene und folgte ihr zum Wagen. Mit einem mitleidvollen Lächeln auf den Lippen verabschiedeten sich Zeidler und Schurig von den beiden und marschierten Richtung Haydstraße.

      Im Tageslicht sah der Markt ganz anders aus. Keine Lampen brennten, keine Christbaumkugeln glänzten und bei den Temperaturen waren Glühwein und Feuerzangenbowle ganz einfach das falsche Getränk. Ein kühler Sprizz oder ein eisiger Caipi kamen der Sache schon näher. Auch das Besuchervolk hatte sich geändert. Jetzt waren es vermehrt Familien, die mit ihren Kindern durch die Budengassen zogen. Die trinkfreudigen Jugendlichen würden erst wieder nach Sonnenuntergang die Getränkebuden aufsuchen.

      Dass am gestrigen Abend hier ein blutiger Mord passiert war, das hatte sich wie ein Lauffeuer durch Freising verbreitet. Immer wieder standen Besucher in dem Innenhof zwischen Dom und Bibliothek um Blumen, Kerzen oder kleine Kränze an der Stelle nieder zu legen, an der der Weihnachtsmann den Abend zuvor sein Leben hatte lassen müssen.

      Alois konnte sich nur wundern. Die meisten, die hier eine Kerze oder dergleichen abstellten, hatten den Mann überhaupt nicht gekannt. Es sollte wohl nur ein Symbol der Pietät und der Anteilnahme sein.

      Ein Unbekannter erschoss den Weihnachtsmann. Erst morgen am Montag würde die Freisinger Presse voll damit sein und ihre eigenen Ideen und Fantasien für diese blutige Tat veröffentlichen. Da der Tote in seinem Kostüm abtransportiert worden war, konnte keiner der gestrigen Fotografen und Gaffer das eigentliche Gesicht des Toten vor die Linse bekommen haben. Außer dem Oberbürgermeister und der Polizei wusste niemand von der wahren Identität des Toten. Und der OB würde seinen Mund halten, das war gewiss. Einen Skandal wollte er auf jeden Fall vermeiden.

      »Oberbürgermeister schickt den Weihnachtsmann in den Tod«, dachte Alois.

      Das wäre eine grässliche Schlagzeile.

      »Lass uns bitte gehen, Melanie, ich mag nicht mehr. Einen Glühwein will ich nicht und Hunger habe ich auch noch keinen. Lass uns gehen, hier gibt es nichts mehr zu sehen. Ich denke, wir wissen morgen mehr, wenn wir die Daten vom Einwohnermeldeamt