Axel Birkmann

Der Mann, der den Weihnachtsmann erschoss


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dafür verantwortlich, dass es in der letzten Zeit einschließlich heute drei Morde gab. Und wenn schon Statistik, dann doch bitte die, dass jeder Mord aufgeklärt worden ist. Wir haben keine ungeklärten Fälle wie zum Beispiel die Kollegen in München oder in Augsburg. Und wir schließen den Markt nicht. Das ist versprochen. Aber lassen Sie uns bitte unsere Arbeit machen. Und noch einmal zum Todesfall Wirth. Hätte ihr feiner Herr Stöckl, vom Ordnungsamt, nicht die Hand aufgehalten, dann wäre das alles nicht passiert.«

      Diesmal holte Eschenbacher tief Luft und wollte etwas sagen, doch Melanie fiel ihm ins Wort.

      »Und wenn schon Schuld, dann ist es meine Schuld«, sagte sie. »Ich habe schließlich meinen Kollegen überredet, mit mir den Weihnachtsmarkt zu besuchen. Und dass ausgerechnet heute Abend, ein durchgeknallter Täter den Weihnachtsmann erschießt, das konnten wir beileibe nicht erahnen. Und dass Sie ihn kennen, das wussten wir auch nicht. Das heißt ja, Sie können uns sagen, wie er heißt und wo er wohnt?«

      Eschenbacher holte erneut Luft und wollte darauf etwas antworten, als sich eine stämmige weibliche Gestalt in einem Kunstpelzmantel an ihm vorbei schob und sich vor die beiden Kommissare stellte. Frau Staatsanwältin Lehner.

      »Entschuldigen Sie bitte, Herr Oberbürgermeister«, säuselte sie sanft den Politiker an, während sie zu den beiden Polizeibeamten in scharfer Stimme sagte: »Sie werden den Markt nicht schließen, da muss ich darauf bestehen. Und ich erwarte umgehend einen Bericht. Es kann ja wohl nicht angehen, dass in unserer heiligen Domstadt jemand ungesühnt den Weihnachtsmann ermordet. Ich möchte gar nicht an die Schlagzeilen am Montag in der örtlichen Presse denken.«

      »Natürlich Frau Lehner«, sagten Alois und Melanie fast zugleich.

      »Und der Fall muss bis Heiligabend abgeschlossen sein. Ich möchte nicht ins Neue Jahr mit einem offenen Fall hinüber rutschen. Kann ich mich da auf Sie beide verlassen? Tun Sie was Sie tun müssen. Aber der Fall ist spätestens am 24.12. gelöst. Und geben Sie Gas. Ich muss Ihnen ja wohl nicht extra sagen, dass die ersten 24 Stunden bei einem Mordfall entscheidend sein können.«

      Alois und Melanie nickten ehrfürchtig. Eschenbacher hatte dem Ganzen belustigt zugeschaut. Und so wie sie gekommen war, so dampfte die Lehner wieder ab. Ein kurzes »einen schönen Abend noch Herr Eschenbacher« und schon war sie verschwunden, zwei Kommissare mit hochrotem Kopf allein hinter sich zurück lassend.

      Tobias Eschenbacher hatte sich als Erster wieder unter Kontrolle: »Eine kolossale Frau, beachtlich, dass ich sie früher niemals kennenlernen durfte. Kolossal!«, schwärmte er.

      »Sie ist unsere Chefin. Ihr Sitz ist in Landshut. Solange wir immer noch Erding unterstellt sind, wird sich das auch nicht ändern«, klärte Melanie ihn höflich auf.

      »Erding, so, so, Erding, kolossal, beeindruckend.«

      Der Bürgermeister hatte gar nicht richtig zugehört. Er sah dem Pelzmantel hinterher, wie er sich herrisch seinen Weg durch die Schaulustigen bahnte. Dann drehte er sich wieder den beiden Kommissaren zu.

      »Sie haben es ja gehört« sagte er feierlich. »Klären Sie den Fall auf! Auch von mir haben Sie nun den offiziellen Auftrag, alles Menschenmögliche zu tun, um diesen heiklen Fall zu lösen. Und falls Sie in der Lage sein sollten, Ihre Kompetenzen überschreiten zu müssen, kommen Sie zu mir, ich werde Ihnen sicher helfen können. Das müssen Sie mir glauben. Und nun ans Werk, ich will Sie nicht länger aufhalten. Und? Heiligabend! Das ist doch ein Wort, oder?«

      »Haben wir nicht etwas vergessen, Herr Oberbürgermeister?«, fragte Melanie.

      »Vergessen?« Eschenbacher sah sie überrascht an.

      »Na, den Namen und die Anschrift Ihres Mitarbeiters.«

      »Wie bitte?«

      »Herr Eschenbacher, Sie haben gerade eben gesagt, Sie hätten ihn höchstpersönlich engagiert.«

      »Ach ja richtig, den Weihnachtsmann. Warten Sie bitte!«

      Er kramte in seiner Manteltasche und zückte ein Smartphone. »Einen Moment bitte!«

      Er durchforstete seine Kontakte.

      »Sascha Krüger!«, rief er plötzlich. »Der Mann heißt Sascha Krüger. Wohnt angeblich in der Kochbäckergasse 19. Seine Telefonnummer ist die 778865. Freisinger Vorwahl. Mehr habe ich auch nicht. Im Moment. Arbeitet alleine. Soviel ich weiß also nicht über eine Agentur. Er ist eine Empfehlung von einem Stadtrat. Die Auftragsbestätigung habe ich im Rathaus. Das wird doch fürs Erste reichen? Weihnachtsmann neben Freisinger Dom erschossen. Was für eine Schlagzeile? So, wenn dann nichts mehr ist, dann verschwinde ich wieder. Auch meine Familie wartet auf mich und ich hatte leider noch keine Zeit eine Bratwurst zu essen oder einen Glühwein zu trinken. Wenn Sie mich dann bitte entschuldigen würden?«

      Tobias Eschenbacher ließ die beiden Kommissare verdutzt stehen und schritt zurück zur Absperrung. Alois und Melanie sahen ihm nach. Dann war er im Torbogen verschwunden wie zuvor Staatsanwältin Lehner.

      »Und was war das jetzt?«, fragte Alois seine Kollegin.

      Melanie schüttelte den Kopf.

      »Wem unterstehen wir eigentlich«, fragte sie, »dem Staatsanwalt oder dem Bürgermeister? Ist auch egal. Alois, wir haben bis Heiligabend Zeit. Du hast es gehört. Heute ist der 7. Das heißt wir haben gerade noch 11 Arbeitstage. Das könnte knapp werden. Ich denke wir müssen etwas Druck ausüben. Spurensicherung und Gerichtsmedizin. Hilfe vom BLKA? Nein, darauf können wir sicher verzichten. Und wir können nicht bis Montag warten. Wir brauchen heute noch Ergebnisse. Komm, schauen wir mal, wie weit die Dame und die Herren bereits sind.«

      Rainer Zeidler puhlte gerade die Kugel aus dem Mauerwerk und Josef Schurig fotografierte den Tatort. Und Frau Dr. Nagel untersuchte den Leichnam.

      »Kann man denn schon etwas sagen, Frau Doktor?«, fragte Kreithmeier die Ärztin höflich. »Und bitte sagen Sie nicht wieder nach der Obduktion. Wir hatten gerade ein nicht ganz so erfreuliches Gespräch mit dem Oberbürgermeister und der Staatsanwaltschaft. Und sie haben uns Zeit bis Heiligabend gegeben, den Fall zu lösen. Und da brauchen wir natürlich recht schnell erste verwertbare Hinweise auf einen mutmaßlichen Täter.«

      Frau Dr. Nagel erhob sich und sah dem Kommissar direkt in die Augen. »Ich kann es mir denken. Trotzdem ist der Fall nicht ganz so einfach. Eines kann ich Ihnen aber mit absoluter Sicherheit sagen, der Mann ist erschossen worden und zwar etwa vor maximal einer Stunde. Und das aus nächster Nähe. Der Schuss war aufgesetzt. Kleines Kaliber. Die Kugel hat ihr Kollege Zeidler entdeckt. Doch alles andere später. Aber ich mache Ihnen beiden einen Vorschlag. Da Sie mir meinen Samstagabend sowieso schon verdorben haben, werde ich für Sie, und nur für Sie, eine Nachtschicht einlegen. Lassen Sie den Toten abtransportieren, ich bin hier fertig. Und es ist sicher gut für den Markt, wenn Sie die Sperrung aufheben. Es ist schon genug Unruhe hier. Kommen Sie heute Nacht gegen Mitternacht in die Pathologie ins Klinikum. Ich werde dann mit der ersten Untersuchung fertig sein. Ist das okay für Sie?«

      Melanie und Alois nickten.

      »Mitternacht in den Katakomben. Wir kommen«, sagte Alois und sah in das finster dreinblickende Gesicht von Frau Nagel. Sie wusste, er hasste die Pathologie.

      Um 23 Uhr trafen sich Melanie Schütz und Alois Kreithmeier mit ihren Kollegen Rainer Zeidler und Josef Schurig, im Keller der Polizeiinspektion in der Haydstraße in Freising in den Räumen der Spurensicherung. Rainer Zeidler gab einen ersten Bericht ab.

      »Der Mann ist mit einer tschechischen Pistole erschossen worden. Das ist die Kugel, die wir im Mauerwerk am Dom gefunden haben. Kaliber 6,35 mm Browning.«

      »Woher wisst ihr dass es ein Pistole war?«, fragte Melanie.

      Rainer nahm eine kleine Plastiktüte vom Tisch und hielt sie vor Melanies Nase.

      »Wir haben auch eine Hülse, eine Patronenhülse gefunden. Nicht weit vom Tatort entfernt. So etwas passiert bei Revolvern nicht. Also folglich eine Automatik. Kleines Kaliber. Und sie gehört zu einer recht seltenen Waffe, die hauptsächlich im Ostblock verkauft wurde: eine CZ Modell Z. Sie war auch eine Zeitlang die Dienstwaffe der Kriminalpolizei