Axel Birkmann

Der Mann, der den Weihnachtsmann erschoss


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Form weiter zum Schambein.

      »Nun was fällt Ihnen denn auf?«, wiederholte sie ihre Frage.

      Die Drei starrten immer noch auf den toten Körper.

      Frau Nagel schüttelte verständnislos den Kopf.

      »Eine Obduktion kann auf verschiedene Weise erfolgen«, klärte sie die Beamten auf. »So gibt es eine äußere und eine innere Besichtigung. Zu Beginn der Autopsie wird von mir die Leiche der verstorbenen Person genau inspiziert. Dabei halte ich Gewicht, Größe, Hautkolorit und Ernährungszustand fest. Ebenfalls vermerke ich Farbe und Lokalisation der Totenflecke sowie die Aus-prägung der Totenstarre. Das Gleiche gilt für Veränderungen der Haut wie Pigmentflecken, Wunden, Narben und Tätowierungen. Zu diesem Opfer ist zu sagen, er ist etwa 57 bis 62 Jahre alt. Gut genährt, keine Tätowierungen oder anderweitige Hautveränderungen. Mitteleuropäer. Gewicht 100 Kilogramm. Nur zwei Narben, eine auf der Brust und eine auf dem Rücken. Der Eintritt der tödlichen Kugel vorne und der Austritt hinten. Kleines Kaliber....«

      »....6,35 mm!«, unterbrach sie Rainer Zeidler.

      »Richtig. Das sage ich doch, also Kaliber 6,35 mm. Schuss aus nächster Nähe, deshalb die Schmauchspuren an seiner Jacke und an seinem Hemd. Der Tod ist etwa gegen 20 Uhr eingetreten. Die Zähne sind des Toten sind soweit gepflegt und gesund. Natürlich ist eine genaue äußere Beschreibung bei einer gerichtsmedizinischen Obduktion besonders wichtig. So liegt bei mir das Augenmerk auf eventuellen Verletzungen wie Stichwunden, Schusswunden oder Würgemalen. Eine große Rolle spielen zudem Bekleidung und Schmuckstücke des Toten. Durch diese äußere Besichtigung lassen sich zudem Hinweise auf äußere Einwirkungen finden. Wie schon gesagt, Tod durch einen Herzschuss. Muss sofort tot gewesen sein.«

      Frau Nagel beobachtete eingehend ihre Gäste. Es war spät und sie waren dem Anschein nach müde. Immer wieder huschte ein leichtes Gähnen über eines ihrer Gesichter. Trotzdem widmeten sie dem Vortrag der Ärztin ungeteilte Aufmerksamkeit. Und keiner stellte wie sonst bei anderen Untersuchungen eine dumme Frage. Sie lauschten andächtig und hingen an ihren Lippen.

      Frau Nagel fuhr fort: »Im Rahmen meiner inneren Besichtigung werden die Schädelhöhle, die Bauchorgane sowie die Brust- und Halsorgane der Leiche untersucht. Der Paragraph 89 der Strafprozessordnung sieht sogar vor, dass alle drei Körperhöhlen und die Organe bei einer gerichtsmedizinischen Obduktion freigelegt werden müssen. Nach dem Freilegen beurteile ich dann die Organe nach ihrer Farbe, Form, Größe, Kohärenz und Konsistenz. Liegen Veränderungen vor, die von der Norm abweichen, müssen diese in meinem Obduktionsbericht vermerkt werden. Von wichtigen Organen entnehme ich kleine Proben für weitergehende mikroskopische oder mikrobiologische Untersuchungen. Für rechtsmedizinische Gutachten erfolgen auch Blut- und Urinentnahmen der Leiche für toxikologische Untersuchungen. Ich kann Ihnen letztendlich nur sagen, der Mann war clean, keine Drogen, kein Alkohol. Aber er war ein Raucher. Kein Starker, eher ein Schwacher. Ansonsten kern gesund. Und er hatte vor kurzem noch Geschlechtsverkehr. Ich habe Samenspuren in seiner Unterwäsche gefunden. Wenn wir davon ausgehen, dass er sie täglich, höchsten aber zweitäglich, wechselt, dann hatte er in den letzten 24 Stunden noch Verkehr.«

      »Aha!«, sagte Alois. »Eine verschmähte Liebe.«

      »Oder ein eifersüchtiger Ehemann«, fügte Zeidler hinzu.

      »Da machen Sie es sich zu einfach. Da Sie, im Moment alle ziemlich neben der Kappe stehen, will ich Ihnen ein wenig helfen. Deshalb nochmal meine Frage an Sie, wie ist er gestorben?«

      »Ein Schuss ins Herz. Er war sofort tot«, antwortete Melanie brav wie einer Lehrerin in der Schule.«

      »Eine Eins und setzen!«, spielte die Pathologin das Spiel mit.

      »Und wo ist der Einschuss?« Sie sprach sehr langsam und ließ die Frage im Raum stehen. Die drei Beamten blickten auf den entblößten Leichnam und antworteten fast synchron: »Rechts!«

      »Richtig! Und wo ist das Herz normalerweise?«

      »Links!«, kam es erneut aus den drei Mündern geschossen.

      Melanie hatte es als Erste verstanden: »Aber dann«, stotterte sie, »dann ist ja bei diesem Mann das Herz ......« Sie wagte ihre Vermutung nicht auszusprechen.

      »Ja, das stimmt. Der Tote hat das Herz auf der rechten Seite. Ein äußerst seltenes Phänomen.«

      Rainer und Alois starrten die Ärztin betroffen an.

      »Ja, da staunen sie. Das Herz ist hier rechts. Man spricht dabei auch von Dextrokardie, das heißt übersetzt Rechtsherzigkeit, abgeleitet vom griechischen dexios, das bedeutet rechts und kardia steht für Herz. In der Kardiologie wird dieses Phänomen so bezeichnet, bei dem sich das Herz ständig oder zeitweilig in der überwiegend rechten statt in der linken Brusthöhle befindet. Eine Dextrokardie kann zum Beispiel angeboren sein und als Folge eines sogenannten Situs inversus auftreten, bei dem im Brustkorb oder auch im ganzen Körper sämtliche Organe spiegelverkehrt angelegt sind. Bei unserem Toten ist es nur das Herz, das auf der anderen Seite ist. Sonst ist alles in Ordnung bei ihm.«

      Melanie dachte laut nach und sagte wie in Trance: »Das bedeutet ja, dass der Mörder sein Opfer sehr gut gekannt haben muss. Denn sonst hätte er ja auf die linke Seite des Brustkorbes gezielt. Er wusste ganz genau, dass der Mann unter dieser Anomalität litt. Und hat ihn so gezielt töten können.«

      »Sie haben völlig Recht, Frau Schütz. Der Täter kannte das Opfer sehr genau. Denn ich denke, nicht jeder geht mit so einer Eigenschaft öffentlich hausieren.«

      »Ist denn dieses Dextrodingsbums.....«, stotterte Alois.

      »... Dextrokardie«, korrigierte ihn Frau Nagel.

      »Ist denn diese Dextrokardie gefährlich, lebensbedrohend, Frau Nagel?«

      »Nein, das ist sie nicht. Das Herz arbeitet auch auf der anderen Seite ordentlich. Es gibt auch Menschen, bei denen alle inneren Organe spiegelverkehrt sind. Die Lebenserwartung dieser Menschen ist genauso hoch wie bei normalen mit dem Herz auf der linken Seite. Ich wollte eigentlich nur mit dieser Tatsache hinweisen, dass der Täter das Opfer außerordentlich gut gekannt haben muss. Und dass das Opfer sicherlich schon in seiner Kindheit bei Ärzten mit seinem anormalen Phänomen bekannt gewesen sein muss. Warum dieser Mann ermordet worden ist, das kann ich mit meiner Obduktion leider nicht herausfinden, aber noch mal für alle, der Täter wusste von seiner Anomalität.«

      »Vielen Dank Frau Dr. Nagel, ich weiß im Moment noch nicht, wie uns das alles helfen kann, aber ich freue mich und bin Ihnen wirklich dankbar, dass Sie sich heute Nacht noch die Zeit genommen haben, den Leichnam zu obduzieren«, sagte Kreithmeier und klopfte der Ärztin sanft auf die Schulter.

      »Den schriftlichen Bericht bekommen Sie aber erst am Montag. Seine Sachen lasse ich zu Ihnen in die KTU bringen, Herr Zeidler. Außer seiner Kleidung, diesem Leinensack mit den Geschenken und dem Stock haben wir nichts gefunden«, sagte die Ärztin und entwand sich vorsichtig aus Kreithmeiers Berührungen. »Morgen muss ich mich wirklich um meine Familie kümmern. Wir wollen aufs Tollwood nach München.«

      »Das kann ich verstehen, vom Adventszauber haben Sie erst einmal die Nase voll.«

      Frau Nagel sagte nichts darauf. Sie deckte den Leichnam mit dem Leinentuch zu und verabschiedete ihre Gäste.

      »Sie haben doch noch den Schlüsselbund?«, fragte Rainer Zeidler.

      »Ach ja.« Frau Nagel beugte sich über den Tisch und nahm die Schlüssel in die Hand. »Die brauchen Sie wohl. Sieht so aus als ob es Wohnungsschlüssel und Schlüssel für einen Wagen sind. Seat steht auf einem. Hier bitte nehmen Sie. Den Rest lasse ich wie gesagt am Montag zu Ihnen bringen. Ich bin erst einmal fertig damit. Gibt es eigentlich Verwandte?«

      »Bis jetzt haben wir nichts herausgefunden«, gab Zeidler zur Antwort. »Wir haben im Moment nur seinen Namen: Sascha Krüger. Seine Adresse. Sonst nichts. Keinen Ausweis, kein Mobiltelefon und kein Portemonnaie. Und er trägt keinen Ring. Wahrscheinlich unverheiratet oder geschieden. Sein Alter und sein Gewicht haben wir von Ihnen. Mehr haben auch wir nicht.«

      »Dann gehen wir mal, gute Nacht«, verabschiedete