Frater LYSIR

Magisches Kompendium - Alchemie


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muss. Wenn man sich die Prinzipien der Alchemie anschaut, wenn man diese dann auch wahrlich verstanden hat, ist man dann wirklich überrascht, dass eine Analyse des eigenen Ichs – also eine Psychoanalyse - mit den Arbeiten der Alchemie parallel läuft? Eigentlich doch nicht, oder? Gut, für C.G. Jung war es beinahe ein historischer Beweis, dass seine Methode bzw. seine Grundidee schon unter anderen Umständen verwendet wurde – egal, welche Vokabeln und Fachbegriffe verwendet wurden. Jung erkannte, dass die Imagination und die alten Texte und Bilder der Alchemisten selbstverständlich den menschlichen Geist beflügelten und er im Grunde die Urbilder und die Quintessenz der verschiedenen Archetypen hierdurch aus einem anderen Blickwinkel verstehen konnte.

      C.G. Jung sah die Alchemie als spirituelle Unterströmung des Christentums, was jedoch falsch ist. Sicher, die europäische Alchemie hat viele christliche Elemente erhalten, da Europa eben christlich war und (noch) ist. Doch es wäre vollkommen falsch, wenn man die Alchemie nur auf Europa bezieht und den Orient sowie Asien vollkommen missachtet. Hierzu ist die Alchemie viel zu wertvoll, da diese magische und wissenschaftliche Disziplin wahrlich ein Schatzhaus der Symbolik, der Erkenntnis und auch der Erfindung war. Doch auch wenn dieser Punkt von Jung falsch eingeschätzt oder betitelt wurde, erkannte er dennoch, dass die Alchemie sehr eng mit der Psyche des Menschen verbunden ist. Warum dennoch die Alchemie einen so schlechten Ruf (immer noch) hat, ist fraglich. Die „Blei-zu-Gold-Thematik“ wird gigantisch aufgeblasen, sodass alle anderen Errungenschaften verdeckt werden. Schade!

      Jung war hier zum Glück reflektierter, da er in seinen verschiedenen Analysen auch immer wieder die Traumbilder des Menschen mit den archetypischen Bildern und Darstellungen der Alchemie verglich. Stück für Stück wurden hierdurch historische Entsprechung und Arbeitsweisen der Alchemisten auf die Ebene der individuellen Persönlichkeitsreifung gehoben, sodass man weitere Erklärungsmodelle erschaffen konnte. Jung deutete es so, dass es im Menschen unbewusste Identitäten gab, welche man mit den Stoffen des Alchemisten vergleichen konnte. Durch sorgsame Arbeit und Selbsterkenntnis, konnten diese Stoffe bzw. diese Identitäten zu einer Ganzheit, zu einem „Stein der Weisen“ erschlossen werden.

      Mit Hilfe der Alchemie konnte C. G. Jung sehr gut die sogenannte „Psychologie der Übertragung“ veranschaulichen, da er hierzu verschiedene alchemistische Sinnbilder verwendete, um entsprechende Handlungsschablonen bzw. bekannte Begrifflichkeiten zu gebrauchen. Dies war ein sehr passender Schritt, denn natürlich gibt es in der Alchemie und in der Psychologie Vereinigungs- und Trennungsvorgänge. Die Analyse solcher Vorgänge können essenzielle Erkenntnisse auslösen, Erkenntnisse, die sich auf die Alchemie und auch auf die Psychologie beziehen. Zwischenmenschliche Beziehungen und alchemistische Reaktionen sind nicht so unterschiedlich, wie man es manchmal glauben mag. Oft sind zwischenmenschliche Interaktionen wie eine Reaktionsgleichung zu betrachten, welche man auflösen / aufschlüsseln kann, um das jeweilige Produkt / Ergebnis vollkommen zu verstehen. Wenn man allein durch die Beobachtung einer menschlichen Interaktion auf die Charaktere der beiden Protagonisten schließen kann – und nichts anderes war es, wenn man die Metapher der Reaktionsgleichung verwendet – ist dies ein wertvolles Erkenntniswerkzeug für den Alltag (und für die Arbeit, wenn man wie C.G. Jung arbeitet).

      C.G. Jung verwendete zum Teil auch die alchemistischen Farbzuordnungen, welche in der Alchemie für bestimmte Arbeitsschritte und Substanzen standen, für Jung selbst aber die Lebensstufen oder –abschnitte eines Menschen charakterisieren konnte. Es ging im Speziellen um die Schwärzung (Nigredo), die Weißung (Albedo), die Gelbung (Citrinitas) und die Rötung (Rubedo). Natürlich ist hier die „Schwärzung“ der Ausgangspunkt, es ist die Ursubstanz, die Prima Materia. Wenn man so will, ist dies der normale Mensch, der in den Tag hinein lebet, ohne zu wissen oder auch nur zu ahnen, warum erlebt bzw. was seine Aufgabe in dieser Inkarnation ist. Durch den alchemistischen Prozess der Waschung bzw. der Abwaschung, wird eine Transformation vollzogen, sodass eine Weißung einsetzt. Wenn man so will, kann man diesen Schritt als Selbsterkenntnis und Selbstreflexion erkennen, die zum Teil mit einer gewissen „inneren Erleuchtung“ vonstattengeht.

      Aus der Weißung heraus können sich alle Farben ergeben – im alchemistischen Sinne wird hier vom Pfauenschwanz gesprochen, vom „Cauda Pavonis“. Es ist ein Zustand der Reinheit. Gleichzeitig beinhaltet dieser Zustand aber auch alle anderen Farben, da Weiß letztlich alle Farben beinhaltet. Nach der Weißung – die auch als ein Erreichen des Silber- oder Mondzustandes beschrieben wird – wird aber der Fall in die Nacht kommen. Im magischen Sinne natürlich der Mors Mystica, sodass der Mensch in seinen Grundfesten erschüttert und zum Teil auch vollkommen zerlegt wird. Es ist der Zustand der Nacht, welchen man auch manchmal als (geistige) Umnachtung deuten kann. Doch nach jeder Nacht erfolgt auch die Dämmerung, das Aufgehen der Sonne. Ob man diese Dämmerung nun als „goldene Dämmerung“ oder als „Morgenröte“ definieren will, ist im Grunde sekundär. Fakt ist, dass ein neuer Mensch geboren wurde, der eine echte Transformation durchlebt hat. Er ist der Phönix, der aus seiner Asche emporsteigen kann, er ist der Mensch, der für sich die Königswürde annehmen kann, als König oder Königin über sich zu regieren.

      Die Alchemie deutet das Weiße und auch das Rote als Symbol des Herrschertums – egal, ob diese Herrschaft nun von einem König oder einer Königin ausgeht, da letztlich die chymischen Hochzeit (eine energetische Hoch-Zeit) der Zielpunkt ist.

      Natürlich ist die chymischen Hochzeit das Erreichen eines echten Idealzustandes. Die Praxis sieht hier natürlich oft anders aus. Der Mensch stellt sich gern selbst ein Bein, egal, ob es nun rein gedanklich und fiktiv oder auch materiell ist. Materiell? Wie soll man sich denn selbst ein Bein stellen? Das ist ja so, als ob man sich vergiften würde! Stimmt! Als ob man sich vergiften würde, z. B. mit Quecksilber. Die Alchimisten arbeiteten und experimentierten sehr viel mit Quecksilber, da sie bei ihren Untersuchungen davon ausgingen, dass dieses Element eine der essenziellen Grundlagen für den Stein der Weisen war. Daher wurde das Element Quecksilber auch sehr schnell selbst zu einem „magischen Ingredienz“, obwohl die Giftigkeit des Quecksilbers und dessen Dämpfe sehr gefährlich waren. Viele starben an den Folgen der Vergiftungen, die wirklich nicht schön sind. Dieser Umstand bescherte der Alchemie einen gewissen „gefährlichen Ruf“ und den Alchemisten einen kleinen Helden- oder auch Narrenstatus – je nachdem, was für ein Blickwinkel eingenommen wurde.

      Da die Alchemie im Grunde die gesamte Naturwissenschaft, Teile der Geisteswissenschaft und auch Fragmente der Sozialwissenschaft beinhaltete, war es nicht einfach, die Alchemie „kurz und bündig“ zu erklären, da es immer wieder Bereiche, Disziplinen und Abteilungen gab, die sehr spezifisch arbeiteten. Manchmal ist die Alchemie wirklich die mittelalterliche Chemie und Pharmazie, dann ist es aber auch die Astrologie und die Physik, die Mathematik und Biologie, aber auch die Religion, die Psychologie und die Soziologie. Natürlich hatte die damalige Zeit sehr viel Kurioses zu bieten, dennoch waren die Grundideen klar formuliert und durch den unermüdlichen Forschungsgeist und den neugierigen Wissensdurst, wurden sehr viele Entdeckungen gemacht, die der gesamten Menschheit dienten.

      Dass man hier manchmal auch einen falschen Weg einschlagen konnte und sich auch manchmal in bestimmten Dingen verrannte, lag u. a. daran, dass der Wissensstand auf einem anderen Niveau als heute war, bzw. dass die Möglichkeiten der Erkenntnis, der Beweisführung und der peniblen Erforschung einfach nicht in diesem Ausmaß vorhanden waren, wie sie es heute sind. Daher ist es verständlich und auch nachvollziehbar, dass der Gedanke früher existierte, dass man „neue Stoffe“ – also auch Gold – erschaffen konnte, indem man zwei oder mehr Komponenten reagieren ließ.

      Dass dies nicht die chemische Realität zu 100% widerspiegelt, war damals einfach nicht bekannt. Chemische Prozesse funktionieren nicht einfach dadurch, dass man Substanz „A“ mit Substanz „B“ mischt und sich ggf. eine Farbveränderung einstellt, sodass man plötzlich einen vollkommen neuen Stoff oder sogar ein vollkommen neues Element hat. Dieser Glaube wurde dann natürlich auch auf die Adligen und Könige übertragen, sodass es ein logischer Schritt für den Glauben der damaligen Zeit war, dass man aus Substanz X auch echtes Gold erschaffen konnte. Wer von der Philosophie, der Alchemie, Ahnung hatte und sich dazu auch noch mit den naturwissenschaftlichen Dingen auskannte, erkannte sehr schnell, dass dieser Glaube, dass man einfach nur Substanzen mischen musste, ein Irrglaube war. Wer mehr auf Schein als auf Sein baute, der mischte fleißig irgendwelche Stoffe und hoffte auf bunte Farben.