Ralf J. Schwarz

Weg, einfach weg


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Schnur gezogen, folgte der Mercedes dem matschigen Feldweg. Nach etwa fünfzig Metern verließ er gemächlich seine Spur, geriet immer mehr auf das abschüssige Ufer und schließlich rutschte das Auto ins Wasser. Nie hätte Hartmut gedacht, dass das riesige Fahrzeug so schnell von den Wassermassen mitgerissen werden könnte und nach nur wenigen Sekunden war die ganze Fuhre in der Mulde verschwunden. Hartmut atmete erleichtert auf. Die Erleichterung dauerte aber nur wenige Augenblicke an, wich schlagartig aufkommender Panik als das Fahrzeugdach wie Phönix aus der Asche nun wieder aus den Wellen auftauchte.

      »Scheiße, ich hab vergessen die Fenster aufzumachen!« dachte er noch, während er dem schwimmenden Auto nachsah. Vor allem, wie konnte bei einem Unglücksfall der Fahrer aus dem Wageninnern heraus geschwemmt werden? Ein fataler Fehler im sonst so perfekten Plan.

       Ohne zu zögern griff sich Hartmut einen der umherliegenden Feldsteine und spurtete dem davon schwimmenden Wagen nach. Atemlos gelang es ihm auf die gleiche Höhe zu kommen, aber immer wenn er zum Werfen stehen bleiben musste, legte der Wagen scheinbar schlagartig an Fahrt zu und verschwand aus der Wurfdistanz. Resigniert blieb Hartmut stehen und blickt dem Wagen nach. Aus lauter Frust über seine fehlende Sportlichkeit schleuderte er den mehr als faustgroßen Stein in Richtung Auto und erstarrte. Unter mächtigem Geklirre zersprang die Rückscheibe in tausende, blinkende Stückchen und gab sekundenlang die Sicht ins Wageninnere frei. Danach verschwand der Wagen im Wasser.

      Kapitel 5

      Scheinbar endlos klingelte das Telefon. In einer schier unendlichen Dauerschleife summte es die gleiche Tonkombination, einen Ohrwurm aus den Siebzigern, der sich unauslöschlich in die Windungen der Gehirne einbrannte. May reagierte nicht auf den Anruf, hatte sich in seinem modernen Bürostuhl zurückgelehnt und war bereit, seinen Tag ruhig enden zu lassen. Ein Anruf um diese Zeit bedeutete nichts Gutes. Und vor allem, wer hatte den Anrufer eigentlich zu seinem Anschluss durchgestellt. Er beschloss, nicht weiter zu reagieren und nach geraumer Zeit verstummte das Telefon endlich. Toll, ausgestanden! Nun stand einem ruhigen Feierabend nichts mehr im Weg. Heute wollte er die sich in den letzten Monaten so rar gemachte Sonne genießen und seinen Gedanken nachhängen. Easy Living eben!

       Noch war er in seinen Gedanken verstrickt, eingefangen wie ein Insekt, das dem Netz der Spinne so viel verlockendes entnehmen konnte und dann nicht mehr weg kam, als seine Bürotür abrupt aufgerissen wurde. Schwer atmend stand Reinhard Meierling, sein engster Mitarbeiter hier in Frankfurt, die gute Seele des Hauses und gleichzeitig Mädchen für alles in der Tür, den Mund schon zu sprechen geöffnet. Volker May ahnte, dass seine Freizeitträume gerade eine deutliche Neigung zum Platzen zeigten.

       »Ei Volker, warum gehsche dann net ans Telefon? Unn hol eemol die Fies vum Disch. Das geheert sich net uff eme Polizeirevier.« Reinhard sprach im tiefsten hessischen Akzent, wenn er nicht gerade sein Telefon benutzte. »Do hatt jemand aus Sachse angerufe, ich glaab mol aus Sachse, Grimma leihd doch in Sachse, oddaa? Do is die Nummer, Du sollcht gleich noch zerickrufe. Un jetzt awwa hurtisch!« Sekunden später war May wieder alleine in seinem Büro.

       »Ich hab es gewusst. Immer kommt noch irgendetwas kurz vor Feierabend. Andererseits, was will Grimma schon wollen, die sind weit weg. Sicherlich eine Anfrage auf dem kleinen Dienstweg. Die kann ich nach dem Anruf auch bis morgen verschieben« murmelte er vor sich hin. Ein kurzer Blick auf den handgeschriebenen Zettel und schon wählte er die Nummer des Grimmaer Polizeireviers. Noch hatten die Klingelzeichen nicht richtig das Ohr des Frankfurter Hauptkommissars erreicht, als schon die Stimme eines Mannes ertönte: »Polizei Grimma, Ulrich Andrä am Apparat«. Volker musste lächeln. Zwischen den Worten Andräs schwang ganz deutlich sein sächsisch geprägter Akzent mit. Und Sächsisch empfand May wohl als unerotischste Sprache der gesamten Menschheitsgeschichte. Wie die Sachsen sich so fortpflanzen konnten war ihm ein Rätsel.

       »Hauptkommissar May, Polizei Frankfurt-Mitte, Sie haben um meinen Rückruf gebeten! Wie kann ich ihnen helfen?« »Hallo Herr May, Polizeiobermeister Andrä, wie bereits erwähnt. Es geht um einen Bürger Ihrer Stadt, wir haben seinen Wagen im Wasser der Mulde entdeckt und geborgen. Anscheinend ist er vom Wasser mitgerissen worden. Und in eben dieser Mulde haben wir einen Mercedes-Kombi mit einer Frankfurter Nummer gefunden. Ist alles recht demoliert und kaputt, aber nach unserer Halterabfrage haben wir nun die Befürchtung, das ein Unglück geschehen ist.« »Entschuldigen Sie, Herr Kollege«, diese Anrede benutzte May immer wenn er sich den Namen seines Telefonpartners nicht merken konnte oder einfach nicht merken wollte, »vielleicht wurde der Wagen einfach nur geklaut. Liegt Grimma nicht auf der Polenroute, der bevorzugten Strecke um gestohlene Autos über die Grenze nach Polen zu schaffen? Da liegt doch solch ein Verdacht nahe, oder?” »Die zum Auto gehörende Person haben wir nicht gefunden”, sprach Andrä weiter ohne sich aus dem Konzept bringen zu lassen. »Könnten Sie mal die Gegebenheiten vor Ort checken? Sie wissen schon, so bei den Haltern nachfragen ob alles in Ordnung ist, ob der Wagen gestohlen ist oder, oder.« Andrä gab May die genauen Daten des Halters und des Wagens. »Ja sicher, werde ich morgen früh gleich machen, so lange wird es ja wohl warten können. Ich rufe Sie dann morgen gleich zurück!« »Au, morgen hab ich frei, da müssten Sie mit einem Kollegen sprechen. Aber der weiß dann nicht so genau Bescheid und so weiter. Sie kennen ja sicher die Probleme. Wenn es heute noch möglich wäre, könnten wir den Fund abschließen. Oder macht Ihr schon so früh Schluss bei Euch? Und denken Sie auch an die Familie falls ein Unglück geschehen ist. Die sollten doch…«

       »Ok, ich werde es klären. Aber wenn alles so weit in Ordnung scheint, rufe ich erst morgen zurück. Und nun schönen Feierabend!« Ohne eine Antwort abzuwarten hatte Volker May aufgelegt. Nun riefen die auch schon aus Sachsen an und verplanten seine so hart verdienten freien Stunden. Aber wenn er auf dem Heimweg bei der angegebenen Adresse vorbeifuhr, sollte sich alles schnellstens aufgeklärt haben. Was dachten sich diese Sachsen nur. Ein Mercedes-Kombi mit Frankfurter Nummer kurz vor der polnischen Grenze im Wasser eines Flusses. Da mussten selbst die Sachsen Lunte riechen.

       Als Volker im Stadtteil Sachsenhausen vor dem Haus des Ehepaars van Geerden parkte, machte sich ein Erstaunen in ihm breit. Er stand vor einem riesigen Anwesen mit einem Haus, das verloren in der Mitte einer parkähnlichen Grünfläche stand, geschützt von einer riesigen, sichtverdeckenden Hecke, in deren Mitte ein schmiedeeisernes Tor den Zugang verwehrte. Eine Reihe uralter Eichen stand wie eine Armee grüner Bewacher vor dem Anwesen und bildete so einen fast undurchdringbaren Sichtschutz. Lediglich der Blick durch das Tor offenbarte die andere, eine Welt scheinbar ohne finanzielle Sorgen und Nöte, die dahinter lag.

       Mit spitzen Fingern drückte Volker May den Klingelknopf und hatte dabei das Gefühl, in eine fremde Welt eindringen zu wollen. Nach kurzer Zeit erklang eine weibliche Stimme aus der Türsprechanlage, begleitet von einem summenden Geräusch das von der schwenkbaren Kamera stammen musste, die in einem der Bäume installiert war.

       »Ja bitte?” fragte die Frauenstimme die Volker aufgrund ihres Klanges einer etwa vierzigjährigen Frau zuordnete. »Guten Tag, mein Name ist Volker May, Kriminalhauptkommissar Frankfurt Mitte. Kann ich bitte Frau van Geerden sprechen. Es ist wichtig!” Stille trat ein. Nach einer schier endlos anmutenden Wartezeit, in der May an seinen Feierabend dachte, wurde der Türsummer gedrückt und gab die ebenfalls schmiedeeiserne, mit Ornamenten und eisernen Blumen verzierte Eingangstür frei. »Die sind aber auch gut auf die Füße gefallen, da fehlt ja wirklich nichts” dachte May als er mit weiten Schritten über den mit roten Platten ausgelegten Weg zum Haus ging. Noch bevor er oben angekommen war, wurde die Tür geöffnet und eine Frau erschien im Eingang. Schwarz und wellig fielen ihr die Haare weit über die Schultern, rahmten das schöne Gesicht ein, verdeckten aber auch die ersten Falten die sich um die Augen gebildet hatten.

       »Guten Tag, Volker May von der Polizei Mitte. Sind Sie Frau van Geerden?” Volker reichte ihr seine Hand. Zögernd erwiderte sie nach einer kurzen Weile seine Begrüßung. »Ja, ich bin Ute van Geerden. Darf ich nach dem Grund Ihres Besuchs fragen? Ist etwas passiert?” Nervös, so als erwarte sie eine schlechte Nachricht, sah sie den Fremden an. »Frau van Geerden, ist Ihr Mann zu Hause? Ich müsste ihn kurz sprechen.” »Nein, er ist leider nicht da. Er ist auf einem Termin und kommt erst in zwei Tagen zurück. Hat er etwas angestellt oder warum suchen Sie ihn? Oh, ich bin unhöflich, kommen Sie doch bitte herein.”

       May folgte der schlanken,