Jutta Maschmeier

Stürme der Prärie


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Kuss! Ein Kuss! William, lass dir einen Kuss geben“, rief einer der Männer hinter ihm.

      „Ja“, sagte William leise, „das ist gar keine schlechte Idee.“

      Oh nein, auf gar keinen Fall! Sieh zu, dass du hier wegkommst, überlegte Karen. Sie wollte den Überraschungseffekt nutzen und einfach unter seinem Arm hindurchschlüpfen, doch William war schneller. Er packte sie an beiden Armen und stieß sie auf die Kühlerhaube ihres Jeeps. Mit einer Hand hielt er ihre Handgelenke über ihrem Kopf zusammen. Mit der anderen wanderte er nun über ihren Hals weiter hinunter bis zu ihrem Dekolleté. Karen versuchte, sich zu wehren. Sie wand sich hin und her. Nun versuchte sie, ihn zu treten, doch er drückte ihre Beine mit seinem Gewicht an den Jeep. Schließlich schloss er eine Hand um ihren Hals und sah ihr böse in die Augen.

      „Mach keinen Ärger, Mädchen. Ich möchte doch nur einen kleinen harmlosen Kuss.“

      Karen erkannte, dass sie gegen seine Kraft nichts aussetzen konnte. Der Druck an ihrem Hals nahm ihr den Atem. Sie rang verzweifelt nach Luft. Plötzlich sah sie den Lauf eines Gewehres auf Williams Kopf gerichtet und hörte eine vertraute Stimme:

      „Lass sie sofort los!“

      Derek sprach langsam und der Ton seiner Stimme sagte deutlich, dass er es ernst meinte. William und auch die anderen schauten verwundert auf, keiner hatte ihn kommen gehört. Karen konnte ihn nur aus dem Augenwinkel sehen, da sie ihren Kopf nicht bewegen konnte, doch sie erkannte gleich, wie wütend er war.

      „Lass sie los!“, wiederholte Derek, wobei er jedes Wort extra betonte.

      Langsam lockerte William seinen Griff. Karen rang erst einmal nach Luft. Dann machte er zwei Schritte nach hinten und hob abwehrend die Arme.

      „Hey, keine Panik. Ich tue ihr gar nichts. Sollte nur ein kleiner Spaß sein. Ist gar nichts passiert“, versicherte er.

      Karen rappelte sich auf, lehnte sich erschöpft gegen den Jeep und rieb sich ihren Hals.

      „Alles in Ordnung?“, fragte Derek, wobei er immer noch die Männer mit dem Gewehr in Schach hielt. Karen nickte nur.

      „Paul, fahr den Jeep beiseite. Aber keine Dummheiten“, befahl er jetzt.

      Den Männern war das Grinsen vergangen. Besagter Paul setzte sich in den Jeep und fuhr damit neben den Lastwagen.

      „Können Sie fahren?“ Derek schaute kurz zu Karen hinüber.

      Wieder nickte sie nur.

      „Dann fahren Sie jetzt weiter, o. k.?“

      Karen tastete sich am Jeep entlang zur Fahrertür und stieg ein. Sie wollte nur so schnell wie möglich fort von hier. Diese Männer nie wiedersehen. Ihre Hände zitterten noch immer und deshalb hatte sie Schwierigkeiten, den Wagen zu starten. Doch es gelang ihr schließlich und sie gab Gas. Im Rückspiegel sah sie, dass Derek wieder auf sein Pferd gestiegen war und mit den Baker-Brüdern sprach. Erst als diese nun auch wieder in ihre Fahrzeuge stiegen und losfuhren, atmete sie erleichtert auf. Der Abstand zwischen ihr und diesen fiesen Gesellen wurde immer größer. Die Anspannung der letzten Minuten fiel langsam von ihr ab. Trotzdem raste ihr Puls noch immer. Der Gedanke, dass dieser William sie angefasst hatte, ließ Ekel in ihr hochsteigen. Ob alles in Ordnung sei, hatte Derek gefragt und sie hatte genickt. Nichts war in Ordnung, sie fühlte sich furchtbar. Die Straße vor ihr begann plötzlich zu verschwimmen. Sie erkannte, dass sie erst mal anhalten und sich sammeln musste, sonst würde sie nie heil auf der Ranch ankommen. Karen ließ ihren Kopf auf ihre Hände am Lenkrad sinken und atmete erst einmal tief ein und aus. Du musst dich beruhigen, Karen, sagte sie sich selbst. Es ist nichts passiert. Tu so, als wäre nichts passiert. Doch sie sah immer wieder Williams Gesicht vor sich. Das Lachen der anderen hallte in ihren Ohren.

      „Karen, kommen Sie. Steigen Sie aus.“

      Erstaunt hob sie den Kopf. Derek hatte die Fahrertür geöffnet und stand nun direkt neben ihr. Er nahm ihren Arm und half ihr beim Aussteigen. Sie schaute ihm in die Augen. In ihrem Blick lag nur die eine Frage: warum? Derek schaute sich besorgt ihren Hals an, dabei zeigte sein Gesichtsausdruck so viel Mitgefühl, dass es plötzlich aus Karen herausbrach. Sie schluchzte laut auf. Dicke Tränen liefen über ihre Wangen. Im gleichen Moment zog Derek sie in seine Arme und wiegte sie sanft hin und her. Dabei sprach er leise auf sie ein, doch Karen verstand nicht, was er sagte. Doch der sanfte Klang seiner Stimme und das Gefühl, von jemandem gehalten zu werden, beruhigte Karen langsam.

      „Alles ist gut. Sie werden Sie nie wieder belästigen, das verspreche ich Ihnen.“

      Wie zärtlich seine Stimme klingen konnte. Das hätte Karen nie für möglich gehalten. Sie wünschte, er würde ewig so weitersprechen und sie nie wieder loslassen. Doch der Moment der Schwäche ging vorbei. Sie löste sich aus seiner Umarmung, wobei sie sich scheute, ihn anzusehen.

      „Besser?“, fragte er nur.

      Karen nickte und ließ sich von Derek zur Beifahrertür führen. Nachdem sie eingestiegen war, gab Derek seinem Pferd einen kräftigen Klaps auf das Hinterteil. Dann setzte er sich ans Steuer. Während der Fahrt hing jeder seinen eigenen Gedanken nach. Derek schien noch immer sehr wütend zu sein. Karen überlegte, was wohl geschehen wäre, wenn Derek nicht plötzlich aufgetaucht wäre. Ein Schauer überlief ihren Körper. Sie weigerte sich, diesen Gedanken weiter zu verfolgen. Derek parkte den Jeep direkt vor der Tür und rief einen Stallburschen heran, der den Wagen ausladen sollte. Dann öffnete er die Beifahrertür und führte Karen ins Haus. Betty kam ihnen verwundert entgegen.

      „Was ist denn passiert?“, fragte sie.

      „Die Baker-Brüder haben Karen überfallen. Kümmerst du dich um sie, ich glaube, sie hat einen Schock“, erklärte Derek kurz.

      „Oh mein Gott, diese Schufte! Kommen Sie, Kleines, setzen Sie sich erst einmal hin.“

      Betty nahm Karen in die Arme und führte sie ins Wohnzimmer. Sie drückte sie in einen der schweren Sessel. Dann hockte sie vor ihr und fragte besorgt:

      „Sind Sie verletzt, tut Ihnen etwas weh? Ich werde Dr. Cunningham rufen. Wie konnte das nur geschehen?“

      Karen schüttelte mit dem Kopf.

      „Nein, nicht nötig. Wirklich. Es geht mir gut, ich habe mich nur erschreckt.“

      Betty hatte nun die Würgemale am Hals entdeckt und nahm sie in Augenschein.

      „Und was ist das? Oh mein Gott, was haben die mit Ihnen angestellt?“

      Karen merkte, wie die Tränen in ihr hochstiegen, aber sie wollte nicht schon wieder weinen.

      „Sie haben mich gewürgt, aber es ist nicht so schlimm, wirklich. Ich würde jetzt nur gerne duschen und mich ein bisschen hinlegen.“

      „Natürlich, ich begleite Sie nach oben. Sind Sie sicher, dass Sie keinen Arzt brauchen?“, fragte Betty erneut, während sie durch die Halle zur Treppe gingen.

      Derek kam gerade aus dem Büro.

      „Ich habe den Sheriff benachrichtigt, er kommt später vorbei“, sagte er.

      Betty nickte und begleitete Karen zu ihrem Zimmer. Später brachte sie ihr noch einen Tee und vergewisserte sich, dass es ihr gut ging. Karen hatte ausgiebig geduscht und lag nur in ein Badetuch gewickelt auf ihrem Bett. Hatte sie das alles nur geträumt, oder war das wirklich passiert? Sie konnte es noch immer nicht begreifen, sie kannte diese Männer doch gar nicht, warum hatten sie es auf sie abgesehen? Irgendwann musste sie eingeschlafen sein, denn sie schreckte plötzlich hoch und sah, dass die Sonne sich bereits rot gefärbt hatte. Neben der Tür entdeckte sie ihre Einkaufstüten. Sie nahm eine Jeans und ein T-Shirt heraus. Zum Haare stylen fehlte ihr die Kraft. So steckte sie sie wieder hoch, doch die roten Flecken an ihrem Hals waren nun besonders gut zu erkennen. Also löste sie den Knoten wieder und kämmte sich die Haare so, dass sie locker um ihre Schultern fielen. Damit konnte sie die Male etwas verdecken. Dann legte sie noch etwas Make-up auf, denn sie sah wirklich blass aus. Na, kein Wunder, dachte sie, nach so einem Tag! Karen hörte schon in der Halle, dass einige Personen sich im Wohnzimmer