Frank Solberg

EIN ZACKEN AUS DER KRONE


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sensibel auf Geräusche reagieren oder schlechthin allergisch sind gegen Kinderlärm (ausgenommen natürlich bei den eigenen Enkeln).

      Unsere Erst- und Einziggeborene war eigentlich ein pflegeleichtes Kleinkind. Gut, sie schrie, wenn sie Hunger hatte, wenn sie nass war, wenn sie sich einsam fühlte oder wenn ihr etwas nicht passte. Aber das war selten der Fall; im Durchschnitt gab sie drei bis vier Stunden pro Tag Ruhe. Wir hätten nicht unzufrieden sein müssen.

      Unsere kleine, schnuckelige Wohnung befand sich in einem Zweifamilienhaus. Die Vermieter waren nette ältere Leute, allerdings etwas lärmempfindlich, wie sie uns bei Unterzeichnung des Mietvertrages wissen ließen.

      In den ersten neun Monaten nach unserem Einzug lief alles recht glatt, wobei wir uns Mühe gaben, Geräusche zu vermeiden. Oberbetten und Kopfkissen wurden morgens nicht ausgeschüttelt, weil das ein leichtes dumpfes Knallen erzeugte. Wir entschieden uns für tägliches Wechseln der Bettwäsche, auch hygienische Gründe sprachen dafür.

      Zum Frühstück aßen wir ausnahmslos Schnittbrot, denn eine Schneidemaschine sorgt doch für eine höhere Phonzahl und selbst die Benutzung eines Messers, zumal in ungeschickten Händen, verursacht unangenehme Geräusche. Gleiches gilt beispielsweise für ausgiebiges Zähneputzen (mit anschließendem Gurgeln) und für viele andere unnütze Angewohnheiten des täglichen Lebens.

      Kurzum, wir waren die idealen Mieter, und es wäre alles störungsfrei und friedlich weiter gelaufen, hätten wir nicht Nachwuchs bekommen. Natürlich freuten sie sich mit uns die Vermieter; sehr süß die Kleine und so lieb – und so ruhig. Kunststück, unsere Tochter schlief, als wir sie ins Haus trugen.

      Das Drama begann etwa zehn Minuten später, als sie aufwachte. Hunger, nasse Windeln, Einsamkeit, die ungewohnte Umgebung? Wir wussten es nicht, aber es war auch gleichgültig.

      Das arme Kind hatte kaum den Mund aufgemacht, da läutete es. Draußen stand der Vermieter, zornesrot im Gesicht. Ob es denn nicht etwas leiser ginge? Seine Frau habe sich gerade hingelegt und jetzt dies. Man könne ja schließlich Rücksicht erwarten. Dann dampfte er ab.

      Die Besuche an unserer Wohnungstüre häuften sich und unsere Beziehungen kühlten merklich ab. Der Fall eskalierte. Unsere Tochter konnte gar nicht so schnell plärren, wie geklingelt wurde.

      Es war ein abwechslungsreiches Spiel. Mal brachte er, der Vermieter die Proteste vor, mal seine Frau. „Die bleiben“, so mutmaßte mein Eheweib, „bestimmt im Flur stehen, damit sie sofort reagieren können.“

      Die Vermutung erwies sich als annähernd zutreffend. Das Vermieterpaar hatte sich organisiert; einer von beiden befand sich immer auf Horchposten, direkt vor unserer Wohnungstür, ausgerüstet mit Klappstuhl, Klapptisch, Kofferradio und Warmhaltekanne.

      Das Ganze bekam also System. „Reine Schikane“, befand meine Gattin, „die wollen uns raus ekeln, weil sie uns nicht kündigen dürfen.“

      Aber was sollten wir dagegen unternehmen? Wir erwogen gerichtliche Schritte, etwa gegen Verletzung der Intimsphäre. Jedoch, war das eine Lösung? Die Wohnung war uns zu wichtig, wir brauchten sie und wollten sie behalten.

      Wir beschlossen zu kämpfen. Als es das nächste Mal klingelte, blieben wir standhaft. „Die sollen schellen, bis sie schwarz werden“, entschied ich. „Wir öffnen einfach nicht mehr. Vielleicht geben sie auf oder es trifft sie der Schlag.“

      Es funktionierte. Nach einer guten Stunde hatte der Spuk ein Ende.

      Seit dieser Zeit haben wir die Wohnung nicht mehr verlassen. Ich betreibe jetzt Heimarbeit und wir kommen ganz gut zu recht. Versorgt werden wir per Hubschrauber aus der Luft. Manchmal vermissen wir unsere Verwandten und Freunde, aber zum Glück gibt es ja Skype.

      Mit den Haubesitzern haben wir uns arrangiert. Sie läuten ihre tägliche Beschwerdestunde pflichtschuldig ab – und wir ignorieren das Gebimmel.

      Übermorgen wird unsere Tochter eingeschult. Sie freut sich schon auf den ersten Helikopterflug. Aber wir machen uns langsam Sorgen um unsere Vermieter. Seit zwei Wochen bleibt die Türglocke still. Es wird ihnen doch wohl nichts passiert sein?

      In der Sackgasse

       Schon die ersten Menschen hatten Ärger mit ihrem Vermieter. Da der Mieterschutz seinerzeit noch wenig ausgeprägt war, konnten sie die Räumungsklage und deren Vollzug durch schwerbewaffnete himmlische Cherubim nicht abwenden. Sie beschlossen sich unabhängig zu machen von der Willkür launischer Hausbesitzer und erwarben Eigentum an Grund und Boden. Ich frage mich nur: wie – um Himmels Willen – haben sie die Finanzierung bewerkstelligt?

      Die Pleite mit unserer ersten Wohnung bzw. den dazugehörigen Eigentümern gab uns zu denken. Wir würden uns ein neues Domizil besorgen, soviel stand fest.

      Unsere nächste Station war ein Hochhaus mit zwölf Stockwerken und 144 Mietparteien, das einer großen Baugenossenschaft gehörte. Dieser geniale Schachzug, so unsere Überlegung, würde Streitigkeiten mit sensiblen Vermietern von vornherein ausschließen. Allein, die Realität trübte unsere Annahmen. Die Gaus'sche Normalverteilung, nach der es, statistisch belegt, nicht nur intelligente, ruhige und besonnene Menschen gibt, schlug erbarmungslos zu. In diesem Haus ging es zu, wie im Taubenschlag. Da wurde ein- und und ausgezogen, dass es eine helle Freude war. Kaum, dass man einen Flurnachbarn richtig mit Namen kannte, war er schon wieder weg und ein neuer trat an seine Stelle.

      Da wurde die Nacht zum Tage gemacht und die hellhörigen Wände ermöglichten es spielend, morgens um 3 gleichzeitig fünf verschiedene Radio- und TV-Programme zu genießen, parallel dazu einem intensiven Familienstreit zu lauschen oder das genaue Gegenteil davon hautnah zu erleben – mit allen zugehörigen Lauten. Leider waren die Wände nicht dünn genug, um die Darbietungen auch optisch zu verfolgen. Es hätte keines Fernsehers mehr bedurft.

      Nach zwölf interessanten Monaten gaben wir entnervt auf. Wir gingen den goldenen Weg der Mitte und wechselten in ein Sechs-Familienhaus. Einige Jahre verbrachten wir in relativem Frieden. Die Hausgemeinschaft war intakt, Miete und Nebenkosten annehmbar. Da änderte sich schlagartig, als das Gebäude verkauft wurde. Die neuen Eigentümer, jung, dynamisch und habgierig, wollten offenbar mit Macht reich werden. Sie erhöhten den Mietzins so gewaltig, dass uns die Augen tränten.

      Die Schmerzgrenze war erreicht. „Wir werden“, so sprach ich zu meinem Weibe, „jetzt Konsequenzen ziehen und uns nach einem eigenen Haus umsehen.“

      „Und wovon“, erkundigte sich die Angesprochene, sie ist manchmal penetrant penibel in solchen Dingen, „werden wir das bezahlen?“

      Die Frage war berechtigt. Aber ich stellte die Beantwortung einstweilen zurück. „Wir werden sehen. Kommt Zeit, kommt Rat.“

      Und wirklich, wir haben gesehen, lange und mehr als genug, nur der erhoffte Rat wurde uns nicht zu teil. Ein halbes Jahr lang fuhren wir durch die Lande und betrachteten, begutachteten, beurteilten und bewerteten, was der Immobilienmarkt so anbietet. Und es ist nicht immer erbaulich, was da so alles für teures Geld gebaut, angebaut, umgebaut, zugebaut und verbaut wird.

      Irgendwann zeigte meine Frau erste Ermüdungserscheinungen. „Ich bin es leid“, dokumentierte sie ihren Unwillen, „meine Wochenenden in Wohnparks, auf Baustellen und mit unablässig redenden Maklern zu verbringen. Außerdem hast du mir bis heute noch nicht gesagt, ob und wie wir das überhaupt finanzieren können.“

      Sie brachte es auf den Punkt, wie immer. Ein spitzer Bleistift und ein Taschenrechner brachten es an den Tag, wir konnten es uns eigentlich gar nicht leisten, ein Haus käuflich zu erwerben. Ich verdiente zwar von Rechts wegen gutes Geld, der Haken ist jedoch, ich bekomme es nicht. Meine Vorgesetzten waren und sind hier eindeutig anderer Meinung als ich.

      Es war zwar nicht unmöglich, entsprechende Hypotheken zu erhalten, aber die laufende Belastung wäre nur tragbar gewesen, wenn wir uns im Keller eingenistet und die Wohnräume vermietet hätten. Das aber entsprach nicht ganz unseren Vorstellungen.

      Ich gab die Hoffnung trotzdem nicht auf und erbat mir noch eine letzte Chance. „Lass