Ute-Maria Graupner

Wüste als Mahal


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Junge nannte, begegnete ihm später wieder, als er allein und verletzt in der Wüste lag, und der Akku seines Handys leer war.

      2) Dhula: Rachenbeutel, ein aufblasbarer, rosa Sack, der als Zeichen der Gattungsbereitschaft, um Weibchen anzulocken und um Dominanz anderen männlichen Tieren gegenüber zu behaupten aus dem Maul des Dromedars hängt. Wenn er aufgeblasen ist, ähnelt sie einer langen, geschwollenen, rosa Zunge. Quelle: Erklärung der Beduinen direkt.

      Sein Onkel und die anderen Tierhüter konnten damals nicht zulassen, dass die Hengste so lange mit miteinander kämpften, bis nur ein Bulle unbesiegbar übrig blieb. Das wäre der Ruf der Natur, um nur das Erbgut mit Genen der meisten Kraft zu verbreiten. Sie hätten riskiert, dass die zwei besiegten Männchen instinktiv in die Wüste geflüchtet wären. Mit ihrer Fähigkeit, sich mit 65 Kilometern in der Stunde davonzumachen, wären sie nicht mehr einzuholen gewesen. Sie mussten sogar mit lebensgefährlichen Verletzungen oder dem Tod eines der männliche Tiere rechnen. Heute nehmen die Tierhüter nur einen Hengst mit in die Wüste, wenn die Weibchen begattet werden sollen. Wenn dieser es nicht schafft, alle zu befruchten, dann erst holen sie das nächste Männchen aus dem Dorf.

      Seinerzeit war es Ibrahims Oheim und den anderen Chameliers gelungen den Hengst, der auf dem Bullen des Onkels lag von ihm herunter zu treiben. Sie bewarfen ihn mit Steinen und bohrten einen Stock in sein Hinterteil. So gelang es dem unterlegenen Tier dann doch noch, sich zu befreien. Es war knapp gewesen für das Kamel seines Onkels, jedoch erholte es sich bald wieder.

      Gerade weil Dromedare ihm die Nähe zwischen Leben und Tod von Kindesbeinen an vor Augen geführt haben, empfindet Ibrahim Faszination für diese großen Wüstentiere. Als junger Kerl mit 15 Jahren begann er, die wild lebenden Stuten des reichen Mohamed Ben Naser und des alten Said zu betreuen. Die paar Dinar, die er dafür bekam, sammelte er in der alten Hirtentasche seines Großvaters. Gott hab ihm selig. Eines war sehr bald klar: Ibrahim wollte sein eigenes Dromedar. Vor drei Jahren und sechs Monaten in der vierten Woche des Ramadans erfüllte Allah ihm seinen Wunsch. Er konnte sich mit dem Inhalt der Hirtentasche seinen eigenen Hengst leisten. Nur diesen einen wollte er.

      Ibrahim streift mit seiner breitflächigen Hand über den Hals seines geliebten Tieres. Schon kurz nach der Geburt, als es das erste Mal auf seinen vier Beinen stand, durchfuhr es Ben Nadir. Er spürte die Manneskraft in dem frisch geborenen Kalb. Es war wertvoll, es war teuer. Aber Allah Akbar hat ihn bei seinen Plänen unterstützt. Zwei Wochen half er täglich bei der Dattelernte des reichen Mohameds und zusätzlich bezahlte er die übliche Kaufsumme, um seinen Jungbullen zu bekommen.

      Er, der Sohn von Nadir Ben Chemel, wurde bewundert. Auf seinen stattlichen Hengst wurde er im Café und auf der Straße angesprochen. Die meisten seiner Freunde wollten ihm beim Domestizieren helfen. Jetzt würde es wieder so sein. Ibrahim würde der Stärkste sein, weil sein Bulle der Stärkste ist. Die Jungs im Café werden ihn umarmen und bewundernde Worte zurufen. Der Hirte beginnt zu summen. Er wird heiraten. Er ist sich sicher. Es wird eine der schönsten Beduininnen aus seinem Dorf sein, nein aus allen Dörfern, die es bis hin zur Stadt gibt. Gleich, wenn die Wochen der Begattung vorbei sind, wird er die schöne Aminah fragen.

      Während der Besitzer die Kordel zwischen den Vorderbeinen seines Deckhengtes löst, zerren alle Chameliers, die auf dem Sammelplatz am alten Brunnen anwesend sind, an den Stricken mit Hilfe derer Ibrahims Tier noch von den Weibchen zurück gehalten wird. Nachdem sie ihn losgelassen haben, trottet der brüllende Bulle auf die Dromedarkühe zu, richtet sich in all seiner Stattlichkeit auf. Die Erweiterung des Gaumens ist aufgeblasen und hängt als rot-weiß ovaler Ballon aus dem schäumenden Maul. Riesig ist die Dhula, 36 cm lang. Ben Nadir hat sie gemessen. Der brunftige Bulle riecht hier und da an den Hinterleibern brünstiger Weibchen. Immer wieder blickt er in die einsame Stille, als ob ihm von dort andere Hengste seine Stuten streitig machen würden und schleudert den vermeintlichen Rivalen aus der Weite des Sandes tiefe Urlaute entgegen. Es ist seine Herde, zumindest für diese Paarungszeit. Und sie umfasst weit mehr als jene fünf bis sieben Weibchen wie damals, als alle Dromedare noch wild lebten. Er ist der Stärkste für diese Paarungszeit. Er allein wird diese Weibchen besteigen, zumindest einen Teil davon. Einige Stuten präsentieren ihre Geschlechtsteile. Der Speichelschaum zieht lange Fäden zwischen dem männlichen Maul und den Stellen, die das Tier beim Schnüffeln berührt. Weibchen grunzen, schreien aus heiserer Kehle. Zwei der Weibchen knien, um dem Deckhengst anzulocken. Er dagegen stupst gegen eine stehende Kuh, treibt sie vorwärts, will gerade sie besteigen. Die Auserwählte läuft ein paar Schritte. Der Bulle hinterher, sie bleibt stehen. Der Hengst drückt unsanft seinen Kopf gegen den Rumpf. Die Dame kniet sich nicht, läuft weiter, Ibrahims Tier wieder hinter her. Die Doula wackelt im Rhythmus seines Gangs. Endlich kniet sich das Weibchen, lässt ihn an sich heran. Ohne Eile steigt der Bulle auf. Wie ein Kind, das zum ersten Mal auf seinem Schaukelpferd reitet, sitzt er auf der Dromedarkuh. Seine Deckbewegungen sind gemächlich, wie der Gang dieser Wüstentiere, wenn keine Paarungszeit ist. Jetzt drückt sich sein Oberkörper dicht an den weiblichen Leib. Der Rumpf, der lange Hals und der Kopf bilden eine gerade braune Linie vor dem hügeligen Hellgelb des Sandes. Sein Blick erforscht, ob andere männliche Tiere in der Nähe sind. Denn dann müsste er sich unmittelbar nach dem Höhepunkt dem Kampf mit dem Rivalen stellen. Es kommt keine Eile in ihm auf, obwohl er auch die anderen Weibchen noch decken muss. Dreimal reckt sich der Körper des Kamels bildet diese lange Linie vom Rumpfende bis zum Kopf. Die für die erste Begattung im Leben von Ben Nadirs Dromedar auserwählte Stute wirft den s-förmig gebogenen Hals zurück. Die Köpfe der beiden berühren sich. Der Akt ist zu ende. Der Bulle rutscht von der knienden Kuh. Sie sitzen nebeneinander, schauen sich an wie ein altes Ehepaar.

      Nach einer Weile erhebt sich Ibrahims Tier und kommt auf seinen Chamelier zu. Sein Gang ist erhaben. Ben Nadir ist stolz. Die Paarung ist geglückt. Auf dem leeren Getreidesack häuft er Weizen für sein Dromedar auf, damit es genug Energie zur Verfügung hat, um alle Stuten zu decken. Seine Beduinenfreunde drücken ihre Körper gegen die nahenden Stuten. Das Korn ist für den Deckhengst und nur für ihn! Und nur für ihn hat Ibrahim Säcke voll mit Weizen von Aboullah mit dem Pick-Up heran schaffen lassen. Vielleicht bekommt davon auch Abdoullahs Zuchtkamel. Aber nur dann, wenn sein Hengst nicht genug Kondition für alle weiblichen Tiere hat oder kein Interesse mehr an ihnen zeigen sollte und abgelöst werden muss.

      Ben Nadirs ausersehener Bulle trottet gesättigt durch die Herde. Schaumspuren ziehen den langen gebogenen Hals hinunter. Auf seinem Maul thronen Schaumkrönchen, als ob Rasierschaum nicht vollständig entfernt wurde. Die Dhula baumelt im Gleichklang seiner Hufe. Er ist der Größte, bei Allah man sieht es an seinem Gang! Ibrahim Ben Nadir Ben Chemel beboachtet, mit welcher Ruhe sich das Tier seiner Aufgabe widmet. Es schnuppert wieder bei welchen Weibchen es sich lohnt, das Liebesspiel erneut zu beginnen. Es wurde zu Recht als Deckhengst ausgewählt, und auch der Besitzer fühlt sich auserwählt. Allah ist auf seiner Seite. Sein Bulle weiß, was zu tun ist. Er kann die weiteren Paarungen der Natur überlassen. Der Gigant beginnt erneut das Liebesspiel, jagt eine Stute, deren Duftnote Bereitschaft signalisiert, stupst gegen sie, drückt sie nach unten, bis sie zu Boden geht. Durch die Trockenheit ertönen gurgelnde Geräusche, als ob Luft in ein mit Wasser gefülltes Gefäß geblasen wird. Ibrahims Dromedar beginnt den nächsten Aufritt, ebenso gemächlich wie jenen davor. Wie ein Tourist am Spätnachmittag in einer Hollywoodschaukel wiegt er sich in den Höhepunkt hinein, bleibt auf seiner Kuh sitzen, schaut sich immer wieder um. Irgendetwas in ihm erinnert ihn stets daran, dass normalerweise in der Natur konkurrierende Bullen auftreten können. Dann gleitet er von der Begatteten herunter, schwingt sich in den Stand, trottet zum Wassertrog und schlürft ihn in kürzester Zeit leer. So wie es die Herdentiere tun, die zwei Wochen lang trockene Sandregionen durchquert haben, und an einem Wasserloch in weniger als zehn Minuten 100 Liter Wasser in sich hinein saugen können!

      Wieder durchquert er das Rudel der Stuten, bleibt hier und da stehen, untersucht schnüffelnd weiblichen Urin auf Empfängnisbereitschaft. Er frisst von dem aufgehäuften Weizen! Das ist ein gutes Zeichen! Bei Allah! Die Chameliers wissen davon zu berichten, dass oft Bullen nach zwei Wochen Saison d'Amour völlig ausgemergelt sind, weil sie ein Drittel ihres Gewichts verloren haben. Doch dieser Dromedarhengst verfügt über Ruhe. Sie wird die Kraftquelle seiner Deckungsarbeit sein. Denn sein Instinkt leitet ihn an, erst dann wieder zu schlafen, wenn alle Weibchen befruchtet sind. Die Tierhüter jedoch können