Ute-Maria Graupner

Wüste als Mahal


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geben, dass der ausgewählte Bulle seinem Status, auserwählt zu sein, gerecht wird.

      Die Geräusche verlieren sich allmählich und im selben Tempo kehrt die Stille an den Ort zurück. Bald wird sich der Raum wieder in ihr verlieren und nichts auf die Unruhe gelungener Begattungen hinweisen. Die zurückbleibenden Dromedarstuten erheben ihre langen Hälse, wenden sich ab von den wenigen Weizenkörner, die Ibrhaims Bulle nicht in Begattungsenergie umgesetzt hat. Den weiblichen Tieren sind sie nicht als Nahrungsmittel vertraut, weil es sie in der Freiheit der Wüste nicht gibt. Sie blicken der sonderbaren Karawane hinter her. Zwischen Wüstentieren schlürfen Männern in Jeans und weiten Wollgewändern, die bis eben noch über das starke Kamel gesprochen haben! Bei Allah Ibrahims Hengst hat alle Weibchen bestiegen! Ein schon kaum mehr hörbares Mofa quetscht sich durch rutschigen Sand. Die drei Transportkamele von Rajid schaukeln gemächlich durch die Dünen. Vor ihnen trottet ohne Packtaschen Ben Nadirs sichtbar dünn gewordener Dromedarhengst. Seine Dhula ist nicht mehr zu sehen. Vorbei das Schaumgestöber und die Brunftschreie!

      Die begatteten Weibchen verschmelzen wieder mit ihrem vertrautem Terrain der beruhigenden Eintönigkeit. Sie werden sich und ihre Frucht von pieksenden Sträuchern und trockenem Blattwerk ernähren, während sie in kleinen Gruppen abwandern, in verschiedene Richtungen streben, je nachdem von welchen Salzpflanzen und grün schimmernden Dornengestrüpp sie sich verlocken lassen, oder aus Gott weiß welcher Richtung sie dem Geruch des bis zu 30 Kilometer entfernt liegenden Wasser folgen.

      Im Laufe des unendlich langen Jahres werden die Hirten ab und zu in die Wüste gehen, nur mit der Kleidung, die sie auf dem Leib tragen, und der Hirtentasche aus Ziegenwolle voll mit Proviant. Wenn sie Grüppchen der Huftiere gefunden haben, deren Brandzeichen sie kennen, schauen sie nach, ob sie trächtig sind. Und die Stuten werden ihnen vertrauen, weil auch sie die Männer am Geruch wieder erkennen. Die Chameliers begrüßen die neue Generation, die 13 bis 14 Monate nach der Saison d'amour das Licht der Wüste erblickt. Sie wissen, dass sie bei den Geburten nicht benötigt werden. Der einzige Feind trächtigen Stuten, der Schakal, ist selten geworden. Er hatte auch nie viel Chancen an die Neugeborenen heranzukommen. Und die Kamelhüter werfen einen Blick auf die Säuglinge, ob sie sich gut ernähren können und auf die Jungtiere, wie weit sie in ihren ersten zwei Lebensjahren durch ihre kleine Gruppe weiblicher Dromedare geschützt werden. So war es schon immer, so ist es, und inshallah so wird es auch morgen noch sein.

      ÜBERRASCHUNG unerwarteter Gefühle

      „Ja, ist gut, ich komme. Ich organisiere einen Wagen, um euch abzuholen", sagt Omar am Telefon.

      Eine innere Aufregung, als Esthes seine Stimme hört. Nein, das kann nicht sein. Sie muss sich getäuscht haben.

      Sie hatte Ihre Frauen oder Mädels, so wie sie ihre Reisebegleiterinnen bezeichnet, zu ihrem geliebten Campingplatz im Wüstensand geführt. Dort wollen sie sich für den Gang in die Wüste vorbereiten und an das fremde Klima gewöhnen.

      Aber Ria hat Migräne. Hilde ist es zu viel Betrieb. Sylvia mag generell keine Campingplätze und hat sich nur angeschlossen unter der Voraussetzung vor Ort „nein“ sagen zu können. Karla passt sich grundsätzlich der Meinung von Gudrun an, die sich selten äußert. Anne ist zu müde, um irgendeine Entscheidung zu treffen und überhaupt... Also ruft Esthes bei Omar an, dass er einen Wagen kommen lassen möge, damit sie in das einfache, ruhige Hotel des Beduinendorfes umziehen können.

      Esthes sitzt mit einigen der Mädels bei einem Büchsenbier in ihrem Zimmer, wie Mohamed der wichtigste Mann am Platz, die kleine Sitzecke unter den Palmenwedeln nennt. Dort hatte die von der Region begeisterte Frau schon mehrere Wüstenaufenthalte vorbereitet und auf der Bank der Sitzecke ihr Bett aufgeschlagen. Auf Esthes Lieblingscampingplatz ist trotz Islam und Ramadan Billigbier erhältlich. Esthes weiß in diesem trockenen, alkoholfreien Land dieses Getränk besonders zu schätzen. Die anderen trinken Tee oder Wasser. Ria sitzt in irgendeiner Dunkelheit und versucht, ihre Migräne so unbelastet wie möglich vorüberziehen zu lassen. Karla erforscht die Campingplatz-Umgebung.

      Omar kommt also. Esthes wird ihn schon heute Abend sehen und nicht erst morgen früh zur Besprechung ihres Vorhabens. Ein kleiner Schmetterlingsschlag in ihrem Brustkorb. Hat sie ihn überhaupt bemerkt? Sie wird die alten Themen souverän übergehen. Sie wird nicht einmal erwähnen, dass es alte Themen gibt. Wie ein sich anschleichendes Tier taucht das fast schwarze Gesicht von Omar im Lichtkegel auf. Hilflos lächelnd erhebt sich Esthes, um die Begrüßungszeremonie der vier Rechts-Links-Küsschen zu vollziehen. Der Beduine riecht nach Dromedar, Tabak und Männerschweiß. Seine Haut sieht gegerbter aus. Er hat offensichtlich viel im Freien gearbeitet. Seine Härte der Gesichtszüge wird unterstrichen durch die viel zu kurzen Haare. Es bedarf keiner Nachfrage, so wie früher. Was zwischen ihm und ihr war, es ist vorbei. Die blauen Augen der Europäerin wandern in dem vertrauten Gesicht umher. Diese Selbstverständlichkeit besteht noch immer. Ruhig hält der Mann mit den braunen Augen ihrem Blick stand, sagt kein Wort bis sie damit zu Ende ist. Sein Sweatshirt mit den durchgewetzten Stellen passt in Esthes Augen nicht zu seinen ordentlichen Jeans. Es ist egal. Es geht sie nichts mehr an. Sie weiß, sie kann sich als Guide auf ihn verlassen, das reicht.

      Sie gehen zum Wagen und beginnen die vielen Taschen und Rucksäcke aufzuladen. Die Frauen sind müde. Omar und Esthes arbeiten allein. Sie hebt die Hände, um ein weiteres Gepäckstück aufzunehmen und es zum Kofferraum zu tragen. In dem Moment streckt auch Omar seine Hände aus, drückt sie an die ihren. Er lacht wie bei seinen geliebten Raufspielen und schiebt sie sanft nach hinten. Sie lacht auch und erschrickt. Ganz selbstverständlich hat sie mitgemacht, als hätte es das letzte Jahr nie gegeben. Okay, Freundschaft, das ist sicher angemessener als ein reines Arbeitsverhältnis...

      Die Frauen steigen in den Kleinbus. Omar steht davor, als Esthes in die Sitzreihe hinter dem Fahrer klettert. Er setzt sich nach vorn. Tut nicht weh. Das war ja klar, dass dieser Platz nicht leer bleibt. Früher saß sie immer neben ihm bei solchen Fahrten. Sie gibt die Wünsche der Mädels für den Aufenthalt in der Wüste an ihn weiter. Er versteht schlecht, muss sich immer zu ihr umdrehen. Sie erhebt sich und zwängt sich durch den schmalen Zwischenraum zwischen Fahrer- und Beifahrersitz nach vorne. Der Beduine grinst, so wie er es immer getan hat, wenn sie deutlich ihren Willen zeigte. Das hat er geliebt. Das hat ihn heraus gefordert. Darüber ist sich Esthes im Klaren.

      Das Organisatorische ist schnell abgeklärt. Esthes bleibt neben dem dunkelhäutigen Manne sitzen. Sie nimmt Witterung auf. Unerwartet löst sein animalischer Geruch wieder Wärme in ihr aus.

      „Ich muss mit dir reden", sagt sie unvermittelt. So unvermittelt, dass sie selbst überrascht ist. Sie war sich doch so sicher, dass sie das nicht wollte. Der Wunsch zu reden war ihr in Europa noch wie eine Art Liebesbeweis vorgekommen. Liebe wäre das Letzte gewesen, was sie hätte beweisen wollen, nachdem sie sich so benutzt gefühlt hatte.

      „Willst du auch mit mir reden?“ hört sie ihre Stimme.

      „Ja", flüstert Omar, „unbedingt.“

      Am Hotel angekommen werden Taschen mit der Kleidung für die Familien der Beduinen sortiert, viele Fragen müssen beantwortet werden, das Einchecken an der Rezeption benötigt Übersetzungshilfe und noch immer gibt es eine leichte Sorge um Ria wegen ihrer Migräne. Ehe Esthes noch zur Ruhe kommt, steht Omar an ihrer Seite und raunt: „Der Fahrer will nach Hause!“ Die Europäerin bezahlt den Fahrer. Sie mag diese Handlung nicht, vor Omar mit dickem Geldbeutel Trinkgeld zu geben.

      Die Stille der Nacht ist angenehm. Esthes lauscht und lauscht. Einfach nichts. Sie lauscht noch einmal. Jetzt stellt sich die Sicherheit ein, dass wirklich Stille herrscht. Sie kann sich den Lärm schon nicht mehr vorstellen, der sonst in ihren Kopf allabendlich dröhnt. Die weiße Frau hat diesmal ein Zimmer für sich allein. Sie lässt die Tür des Bungalows offen, so dass sie den Schein des fast runden Mondes sehen kann. Während der Nacht gibt es nur die wenigen Geräusche, die sein dürfen, ohne dass sie Esthes' Gefühl von Stille wieder wegnehmen. Ein paar Hunde, die bellen, und das Rauschen der Palmen vor der Tür. Endlich Frieden. Frieden muss aus der Stille geboren worden sein.

      Nach der vierten Tasse dünnen Morgenkaffees und vielen Überlegungen,