Lars Gelting

Mit der Wut des Überlebens


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Anhang: Cover zu „Die Gier und der Schmerz“:

      ©iStockphoto LP ID 51438766 O.Vizerskaya

      Graphische Gestaltung: Melanie Altenhoff

      www.altenhoff-design.de

      1. Teil Das Vermächtnis des Söldners

      Mit einem Ruck wurde die Eingangsplane zurückgeschlagen, wurde die Stille zerrissen, die sich für einen Augenblick im Zeltinneren ausgebreitet hatte. Zerzaust und triefend erschien die rote Mähne in der Eingangsöffnung, schob sich Mikola vorgebeugt herein. In der Hand den aufgeweichten Hut, ließ er den klammen Filz von der Schulter rutschen.

      „So, jetzt haben wir den Pocher erst mal fest angepflockt.“

      „Hoffentlich acht Fuß über dem Boden und mit dem Kopf nach unten! Dieser Mistbock!“ Zita, die Ellbogen auf den Knien, den Kopf in beiden Händen abgestützt, sagte das leidenschaftslos, überzeugt davon, dass das Problem „Pocher“ damit erledigt war.

      Er nickte vor sich hin, grinste dabei sein schräges, von der Narbe abgebremstes Grinsen. Hakte den nassen Hut und den schweren Filz auf einen der vorstehenden Astzapfen, die aus den Ständern rings um das Feuer absichtsvoll hervorragten.

      „Ist aber schon ein zäher Bursche, wirklich!“ Er ging vor dem Feuer in die Hocke und rieb die Hände gegeneinander. „Wäre uns fast noch entwischt, der alte Schinder!“ Übers Feuer hinweg sah er zu Franz, „Wirklich! Den darfst du nicht aus den Augen lassen!“ Von der Seite angelte er sich zwei dünnere Holzscheite und legte sie so in die Glut, dass gleich die Flammen an ihnen hochzüngelten.

      „Der kleine Hermann hatte wohl einen Augenblick nicht aufgepasst,“ zu Zita gewandt, „hinten, an der schmalen Stelle, wo wir vom Lager zum Platz rübergehen, zwischen den Bäumen.“ Er sah wieder zu Franz, der ihm mit zusammengekniffenen Augen folgte, „Mit einem mal schrie der Kleine auf. Als wir uns umdrehten, war der Kerl schon weg. Wie eine Katze!“

      „Ihr wart doch zu viert oder fünft?“

      „Ja, Ja. Aber zwischen den Bäumen ist der Weg schmaler. Die beiden sind hinterher gegangen, und da hat er dem Kleinen so kräftig gegen das Bein getreten, dass er ihm gleich das Knie zerlegt hat.“

      Therese, die Arme immer noch um die Knie geschlungen, schob ihm fragend den Kopf entgegen.

      „Wirklich! Das ist so einer, der gibt erst dann auf, wenn er endlich am Strick hängt!“ Sein Gesicht nahm einen schelmischen, amüsierten Ausdruck an, „Aber, ich glaube, der Dallinger hat nur auf so eine Gelegenheit gewartet. Der war sofort hinter ihm her, hat ihn aus dem Busch gezogen, ihn eigenhändig bis auf den Platz geschleppt und ihm dann seine Knotenschnur umgelegt.“

      Therese stöhnte auf, verzog schmerzhaft das Gesicht. Mikola grinste noch schräger als sonst, erhob sich aus der Hocke, „Mädchen, das hättest du dir angucken sollen. Du wärest jetzt zufrieden.“

      „Was ist eine ´Knotenschnur´?“

      Mikola hielt sich an einem der Ständer fest, sah grinsend zu Stefan hinunter, „Du kannst sie dir ja morgen mal vom Dallinger umlegen lassen, dann weißt du es. …Und du vergisst es nie mehr!“ Einen Augenblick sah er Stefan lächelnd an, schüttelte dann den Kopf, „Nein! Tu´s lieber nicht!“

      Er löste sich vom Balken, „Das ist eine kräftige Schnur, auf der, immer im Abstand von zwei Fingern,“ er zeigte den Abstand mit dem Zeige- und dem Mittelfinger, „feste Knoten gezogen wurden. Wohl dreißig Stück auf der ganzen Schnur. Diese Schnur legt er hier über die Stirn,“ er fuhr mit beiden Zeigefingern von der Nasenwurzel über die Augenbrauen, am Kopf entlang über die Ohren bis zum Hinterkopf, „bis hier hinten hin. Du hast dann Knoten an Knoten am Kopf anliegen. Am Hinterkopf dreht er dann die Schnur mit einem Knebel langsam immer enger.“ Er machte eine Pause, sah Stefan vielsagend an, „Wenn dir noch nie der Schädel brummte, dann tut er es – falls dir Dallinger nicht den Schädel sprengt. Es ist ziemlich gemein!“

      „Wer ist jetzt bei ihm?“ Zita hatte ihre Haltung nicht verändert, sah nur mäßig interessiert zu ihm herüber.

      „Josche!“ Er drehte sich und kam um das Feuer herum zu seinem Platz neben Zita, „Der wird ihn nicht aus den Augen lassen! Aber ich könnte jetzt einen heißen Tee oder einen Becher heißes Honigwasser gebrauchen.“ Er sah fragend von Zita zu Margret. Und während Zita weiterhin sinnend geradeaus sah, als hätte sie gar nichts gehört, erhob sich Margret, schwenkte den Kessel über das Feuer, legte noch zwei Scheite auf, goss Wasser aus einem Krug in den Kessel und setzte sich ruhig wieder auf ihren Platz.

      „Dieses verdammte Magdeburg! Jetzt hat es uns wieder!“ Zita warf einen kurzen Blick zur Seite, wo sich Mikola wieder eingerichtet hatte und sie mit gerunzelter Stirn ansah, „Wir sprachen gerade darüber, als du reinkamst.“

      Vom hellen, flackernden Feuerschein beleuchtet, sah Franz ihr Gesicht dicht vor sich, sah an den Hautverwerfungen, den Faltungen und Knotungen entlang, bis sich ihre Augen begegneten, einen Atemzug lang ineinander verhakten. „Das war auch in Magdeburg?“

      Sie nickte vor sich hin, sah ihn jetzt sinnend an, „Ich habe den gleichen Fehler gemacht wie dein Vater! Und mich hat es genauso erwischt – oder fast genauso!“

      „Hast du deinen Vater eigentlich noch gekannt?“ Mikola sah über Zita hinweg, die sich wieder nach vorn beugte, ihre Knie umschlang.

      „Als mein Vater mir versprach, bald wieder zurückzukommen, war ich zehn.“

      Mikola nickte versonnen vor sich hin, „Zwei Jahre waren wir, glaube ich, zusammen unterwegs. Zuerst in Wolgast. Hätte nicht viel gefehlt, dann wäre er damals zusammen mit Gregor und Chrischan zurückgegangen.“ Er bückte sich weit vor, griff einen kurzen Holzspan auf, der vor seinen Füßen auf dem Boden lag. „Aber so ist der Krieg: Du verfluchst ihn jeden Tag, aber du entkommst ihm nicht. Immer wieder gibt man dir das Gefühl, dass da noch etwas erledigt werden muss, dass du diese eine Sache noch für deine Leute ausfechten musst! Irgendwann ist das hier dein Leben. Du kannst dir nicht mehr vorstellen, in einer Stadt zu leben, immer das Gleiche zu tun, dich ständig nur noch an einem Ort aufzuhalten. Vielleicht dauert der Krieg auch deshalb so lange.“

      Von seinem Span aufsehend, „Bei deinem Vater war es anders. Er war ein guter Kamerad, wirklich! Ein wirklich guter Kamerad! Aber er wollte zurück zu seiner Familie. Das war ein richtiger Familienmensch. Aber er sah den Krieg als Möglichkeit, als Zeit der Neuverteilung von Besitz und Reichtümern. Er wollte vermögend aus dem Krieg zurückkehren. Deshalb ist er damals auch nicht mit Gregor zurückgekehrt.“

      Franz zog die Augenbrauen hoch, zweifelnd.

      „Lass mal Junge!“ Mit seinem Span pickte er in gleichmäßigen, kurzen Abständen zu ihm hinüber, „Bei einigen hat das geklappt. Und ich glaube, er hätte das auch geschafft. Wirklich!“

      „Er hat es geschafft! Oder besser: Er hätte es geschafft, wenn er zurück gekommen wäre.“ Therese, den Ellenbogen auf den angezogenen Knien, den Kopf in der Hand abgestützt, sagte es einfach so in den Raum. „Die Grundlage für all das, was wir in den letzten Tagen verhandelt haben, hat er geschaffen, nicht ich!“

      „Und der Schlüssel dazu war das Kreuz, das du ihm abgenommen hast?“ Margret erhob sich und kramte mehrere Holzbecher aus einer Kiste, die direkt hinter ihr stand.

      „Das habe ich aber nicht geahnt. Ich habe es monatelang mit mir herumgetragen, einfach so.“ Sie richtete sich auf, verschränkte die Arme über den Knien, „Es war etwas von ihm, und das wollte ich bei mir haben. Mosche hat mich dann wieder darauf gebracht.“

      „Hört sich jüdisch an: Moshe!“ Franz war aufgestanden, stand jetzt auf der anderen Seite des Feuers vor dem Kessel und damit Margret gegenüber.

      Sie sah zu ihm auf, „Ich habe doch von den beiden Juden erzählt, die im Wald vor Nürnberg in die Falle gegangen waren, Vater und Sohn.“ Er nickte, sich erinnernd, sah zu ihr herüber. „Moshe war der, der sich fast erhängt hätte. Er hat mich aus Magdeburg herausgeholt.“ Sie