Hans W. Schumacher

Der Diplomatenkoffer


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um sie mit Informationsmaterial und Büchern zu versorgen. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie vor seiner Tür auftauchen würden.

      Er lief zum Vorhang, zog ihn ein Stückchen zur Seite und lugte durch den Spalt zum Parkplatz hinüber. Dort stand sein kleiner Fiat mit der italienischen Nummer, ein sicheres Zeichen, dass er anwesend war. Der musste weg. Aber was sollte das? Es gab genügend Leute auf dem Hochschulgelände, die seinen Verfolgern sagen konnten, wo er zu finden war.

      Schließlich beruhigte er sich: Sollen sie mich doch erwischen! Ich gebe ihnen das Geld, erkläre ihnen, dass ich mit allem nichts zu tun hatte, dass es mir nur in den Schoß gefallen ist....

      Er hielt inne. Das klappte nicht, sie würden ihn trotzdem umbringen. Er wusste zuviel. Er könnte beteuern, dass er sich an den Mann im Trenchcoat nicht erinnerte, sie würden ihm nicht glauben. Er spürte das Messer schon an der Kehle, den scharfen Schnitt, den Schwall heißen Blutes, der herausschoss. Die Mafia machte gern reinen Tisch.

      Unsinn, sagte er sich, ruhiger geworden. Sie würden Dutzende von Leuten brauchen, um allen Spuren nachzugehen, sie müssen erst herauskriegen, wie und wo sie suchen sollen.

      Aber der Zufall könnte sie ihn als ersten finden lassen, so wie der Zufall ihm zu seinen Millionen verholfen hatte. Und er fragte sich verwundert, warum er sich nicht auf der Stelle in Sicherheit brachte.

      Warum nur?

      Er war zu träge, er konnte sich nicht an die Vorstellung gewöhnen, dass er vom Augenblick an, in dem er ahnunglos das Aktenköfferchen in die Hand genommen hatte, ein Gejagter war. Er betrachtete sich noch immer als einen gewöhnlichen, gesetzestreuen, unschuldigen Bürger, dem nichts Schlimmeres passieren kann, als dass ihm jemand eine Tasse Kaffee über den Anzug gießt.

      Plötzlich kam große Erleichterung über ihn, sein Fieber legte sich: er hatte die Lösung gefunden. Er würde den Koffer mit seinem kapitalen Inhalt zum nächsten Polizeirevier bringen und damit hatte es sich. Ruhe, Friede, Feierabend! Er setzte sich aufs Bett, nahm langsam ein Päckchen nach dem anderen und legte sie in ordentlichen Reihen in das Köfferchen. Er warf zum Abschied noch einen langen Blick auf die braunen Scheine mit den vielen Nullen hinter der eins und drückte den Deckel zu.

      Dann saß er eine Weile stumpf neben dem Schatz, den ihm der Zufall zugespielt hatte, und konnte sich nicht entschließen aufzustehen und hinauszugehen.

      Was? Er sollte aus reiner Bequemlichkeit und Feigheit das Glück, das ihm der Name seiner Cleopatra gebracht hatte, von sich weisen? Wie sollte sie ihre Schulden bezahlen, wie sollten sie jemals auf einen grünen Zweig kommen, heiraten, eine Familie und einen Hausstand gründen können? Gott hatte ihm den Schatz doch nicht in den Schoß geworfen, damit er sich davonstahl aus seiner Verantwortung als Sohn, Liebhaber und Ehemann?

      Zum Teufel, was war er doch für ein Spießer, dachte er plötzlich verwundert. Da lagen drei Millionen vor ihm, damit konnte man anderes anfangen, als sich eine Mietwohnung in der Neustadt von Pitigliano zu kaufen. Und der innere Vorhang hob sich vor einer barocken Bühne: Gärten voller Statuen und rauschenden Fontänen, Feste in prächtigen Palästen mit schönen Frauen, Musik, Tänzern und Sängern, Meerfahrten auf der eigenen Yacht und Cleo, die Schöne, um die ihn jeder beneidete, immer neben ihm....

      Das Glück lag im Koffer, so schön kompakt, und auch noch so dauerhaft, weil vermehrungsträchtig. Was konnte er allein mit den Zinsen anfangen, wenn er es richtig anlegte? Er drückte das Köfferchen an die Brust. Nein, er wäre ein undankbarer Idiot, wenn er nicht darum kämpfen würde.

      Da klopfte es an der Tür.

      Er erschrak, antwortete nicht, nahm das Köfferchen, warf es in den Wandschrank, schloss ab und steckte den Schlüssel ein.

      "Herr Martini“, tönte plötzlich leise Danielles Stimme aus dem Schlüsselloch, "machen Sie auf. Ich muss Ihnen etwas Wichtiges sagen."

      Er starrte auf die Tür und konnte sich nicht von der Stelle rühren. War Danielle eine Spionin, die man vorgeschickt hatte. Er schwieg.

      "So öffnen sie mir doch!" flüsterte es durch das Schlüsselloch, "ich weiß doch, dass Sie da sind."

      Wenn er nur wüsste, ob hinter ihr jemand mit einer Baseballkeule stand?

      "Sie wollen Ihnen Ihr Geld stehlen", lispelte die Stimme, "ich habe es zufällig gehört."

      Endlich gelang es ihm, seine Erstarrung zu überwinden, er schritt zur Tür, drehte den Schlüssel um, öffnete einen Spalt, sah sie allein im Flur, legte ihr den Arm um die Schulter, zog sie hinein und schloss ab.

      "Wer will mich bestehlen?" fragte er und wunderte sich über ihre entzückende Aufmachung - sie hatte ihre braunen Haare hochgesteckt, das Kleid gewechselt und eine leichte Seidenbluse mit kurzen Ärmeln und statt der Jeans einen engen Rock angezogen, der ihre Hüften betonte. Er forderte sie auf, sich aufs Bett zu setzen und ließ sich neben ihr nieder.

      "Barrault und Poil de carotte", flüsterte sie und brachte ihr Gesicht näher an seins heran.

      "Aber woher wissen die, dass es bei mir etwas zu holen gibt?" fragte er sie verwundert. Ihre grüngrauen Augen starrten ihn ängstlich und verlangend an. Er sah auf ihren roten Mund und die weißen Zähne und fühlte sich beklommen und erregt zugleich.

      "Der blöde Rude hat überall herumgetratscht, dass Sie einen ganzen Koffer voller Geldbündel mitschleppten."

      "Quatsch, ich habe euch doch gesagt, es sind nur 90.000 NF für die Anzahlung."

      "Er behauptet, er hätte eine ganze Reihe von Geldscheinpäckchen gesehen. Nach seiner Rechnung wären das mindestens 3 Millionen."

      "Quatsch!" wiederholte er mit schwacher Stimme. Nach kurzer Überlegung fuhr er fort: "Na ja, ich habe euch nicht ganz die Wahrheit gesagt, ich hatte Angst, du verstehst jetzt. Tatsächlich habe ich anderthalb Millionen dabei, das ist nicht die Anzahlung, sondern der Preis für das ganze Appartment."

      "Wow", sagte sie bewundernd, "dann lohnt es sich also doch."

      "Was soll sich lohnen?"

      "Na, der Überfall. Ich kam am Fenster von Barraults Zimmer vorbei, es stand halb offen und da hörte ich, wie er sich mit Poil de carotte beriet."

      "Und wie wollen sie vorgehen?"

      "Sie wollen zum Fenster einsteigen, wenn Sie schlafen, und Ihnen den Koffer stehlen. Wenn es geschlossen ist, wollen sie Ihnen morgen, wenn Sie in die Stadt zurückfahren, im Wäldchen von Montfort auflauern. Da ist eine scharfe Kurve, vor der man abbremsen muss, dort werden sie mit ihrem Wagen den Weg blockieren, und wenn Sie anhalten, kommen sie mit Strumpfmasken überm Kopf ans Fenster und halten Ihnen eine Pistole an die Schläfe."

      "Besitzen die denn eine richtige Pistole oder werden sie nur eine Attrappe benutzen, eine Gas- oder so eine Spielzeugpistole?"

      "Ich weiß nicht, sie sprachen nur von der Pistole."

      Julio hob den Oberkörper, den er vorgeneigt hatte, um ihr Flüstern zu verstehen, und nickte in sich gekehrt: "Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll."

      "Gib mir nur einen Kuss!" antwortete sie zu seiner Überraschung.

      Sie war ein hübsches Mädchen, das musste er zugeben, deswegen lag in dem Opfer, das er den Millionen und Cleopatra zuliebe brachte, gar kein moralisches Verdienst. Er neigte sich zu ihr hinüber und küsste sie zart auf die roten Lippen. Sie schloss die Augen, drückte sich schmachtend an ihn, ihre Hände glitten unter seinen Achseln hindurch an seinen Hinterkopf und wühlten in seinem Haar. Langsam sank sie ins Kissen und zog ihn mit sich. Julio war verblüfft und beunruhigt. Als ihre Atemzüge immer heftiger und kürzer wurden, fühlte er sich unwillkürlich miterregt. Sie musste es spüren, denn sie schlang ihre Beine um seine und ihre Zunge stieß zwischen seine Zähne vor. Plötzlich riss er sich los.

      "Entschuldigung", sagte er ungeschickt, als sie ihn entgeistert anblickte, "wer weiß, wo das hinführt, wenn wir so weitermachen."

      "Ich liebe dich", sagte sie flehend und streckte ihre Arme nach ihm aus, "hast du das nicht gewusst?"

      "Nein",