Hans W. Schumacher

Der Diplomatenkoffer


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ersten Mal in den Hörsaal getreten bist", fuhr sie fort und nestelte an den Knöpfen ihrer Bluse. Er streckte die Rechte aus, um sie daran zu hindern, aber sie nahm sie und legte sie auf ihre linke Brust. Er spürte die Spitze durch den dünnen Stoff hindurch und ihn durchzuckte eine süßer Schauder. Er musste sich zurückhalten, um nicht geradezu über sie herzufallen.

      "Aber wie kannst du es nicht gewusst haben? Ich habe dir eine Karte aus den Ferien geschrieben, darin habe ich es doch gestanden."

      Er erinnerte sich zwar dunkel an die Karte, aber an ein Liebesgeständnis entsann er sich nicht.

      "Du hast es wohl zu gut verklausuliert."

      "Ich fürchte auch. Ihr Männer könnt nicht lesen."

      "Du bist sehr attraktiv, zu attraktiv", er versuchte schmeichelnd den Rückzug einzuleiten, "aber du weißt ja, ich bin verlobt."

      "Ist das nicht auch gelogen?"

      "Nein, das ist die Wahrheit."

      "Ist sie schön?" fragte sie und richtete sich auf.

      "Sehr schön", versicherte er, konnte sich jedoch nicht enthalten, in ihre halb geöffnete Bluse zu starren.

      "So schön wie ich?" sie öffnete weitere Knöpfe, schüttelte die Bluse von ihren Schultern, sie trug einen jener raffinierten Büstenhalter, die mehr ent- als verhüllen. Mit einer anmutigen Bewegung griff sie mit beiden Armen hinter sich und öffnete den Verschluss.

      Sie sah den Blitz des Begehrens in seinen Augen, streckte die Arme aus und zog seinen Kopf an ihren Busen.

      Da klopfte es an der Tür.

      Julio vernahm es zugleich bestürzt und erleichtert. Er hob den Kopf von den warmen Hügeln, legte den Finger auf die Lippen und flüsterte: "Wir müssen verschwinden. Zieh dich sofort an!"

      Er stieg leise aus dem Bett, ging zum Wandschrank, öffnete ihn, zog den Diplomatenkoffer hervor und ging zum Fenster, während sie eilends den Büstenhalter anlegte und die Bluse über die Schultern zog. Er öffnete den Vorhang ein Spalt weit und schaute hinüber zum Parkplatz. Es war inzwischen dunkel geworden. Spärliches Laternenlicht erhellte ihn und die Fahrwege. Neben Julios Fiat stand eine dunkle Gestalt und leuchtete mit einer Taschenlampe in das Innere.

      Ihm war, als ob ihn ein Tiefschlag erwischt hätte. Sie waren schon da, und er hatte gedacht, es würde noch tagelang dauern. Die Taschenlampe erlosch und der Mann, der den Wagen untersucht hatte, verschwand aus dem Blickfeld.

      Es klopfte wieder. Julio sah, dass die Klinke sich langsam nach unten bewegte. Dann hörte er ein stocherndes Geräusch, man versuchte wohl, einen Dietrich in das Schloss einzuführen, doch zum Glück hatte er den Schlüssel steckenlassen. Er zog Danielle, die ihn entsetzt ansah, zu sich ans Fenster, schwang die Beine über das Fensterbrett, ließ sich, das Köfferchen in der Rechten haltend, auf die Erde fallen, streckte die Arme aus und fing sie an den Hüften auf, als sie sich zu ihm herabgleiten ließ.

      Er wies ihr die Fluchtrichtung, geduckt liefen sie unter den Erdgeschossfenstern vorbei und schlugen vom Wohnheim aus den Weg durch die Spalierobstboskette zum Wald hin ein. Als sie sich weit genug aus der Gefahrenzone bewegt hatten, hielt Julio hinter einem Geräteschuppen an, lehnte sich im Dunkeln an die Mauer und zog Danielle neben sich.

      "Ich muss dir die Wahrheit sagen", flüsterte er schwer atmend, "ich bin da in eine gefährliche Sache geraten, ich darf dich nicht mit hineinziehen. Da sind auch noch andere Leute hinter mir her."

      "Wer sind die?"

      "Ich weiß es nicht."

      "Und was wollen sie von dir?"

      Jetzt wurde es schwierig.

      "Es ist besser, wenn du es nicht weißt. Es könnte dich gefährden", warnte er, und er meinte es ehrlich.

      "Hängt es mit dem Geld zusammen?" lispelte sie ahnungsvoll.

      "Ja", sagte er widerwillig.

      "Es gehört dir nicht", flüsterte sie nahe an seinem Ohr, und der warme Atem strich über seine Wange.

      Wie antwortet man auf eine solche Frage?

      "Ja....vielmehr nein", stotterte er.

      "Wieviel ist es denn nun wirklich?" fragte sie, lehnte sich an seine Brust und versuchte ihm in der Finsternis in die Augen zu schauen.

      "Drei Millionen", sagte er, "und sie gehören der Mafia."

      "Du machst Witze", meinte sie, "Mafia, das gibt´s doch gar nicht."

      Er erklärte ihr geduldig, wie er an den Koffer gekommen war und was das bedeutete. Sie nickte, nun hatte sie verstanden.

      "Hör' mal", sagte er unruhig, "die Zeit drängt. Ich muss verschwinden, und du musst zurückgehen und niemand wissen lassen, was eben geschehen ist. dass wir uns kennen, darf niemand ahnen, sonst bist du dran."

      "Und wie willst du weg? Vorne heraus geht es nicht und deinen Wagen kannst du auch nicht benutzen."

      "Ich schleiche mich durch den Wald und steige über die Mauer auf der anderen Seite. Dann gehe ich nach Les Roques und versuche, noch einen Bus zu bekommen oder ich rufe mir ein Taxi."

      "Gut", sagte sie, "ich tu, was du verlangst. Aber versprich mir, dass du mir Nachricht gibst, wenn du in Sicherheit bist."

      "Versprochen", antwortete er und gab ihr unaufgefordert den Kuss, auf den sie aus war. Sie umarmte ihn fest und ließ ihn erst nach einer langen Weile wieder los.

      "Du hast nicht wieder geschwindelt?" fragte sie ängstlich.

      "Nein", beruhigte er sie, meinte aber "ja", legte ihr den Arm um die Schultern, drückte sie noch einmal an sich und wandte sich ab, um davonzueilen.

      Ein wilder Sturm der Gefühle tobte in ihm, Cleo, Danielle, das Geld, drei Mächte, die um die Vorherrschaft stritten. Dachte er an seine Geliebte und den freudigen Schreck, den er ihr bereiten wollte, kam ihm Danielles nackter Busen dazwischen, und er hatte das Gefühl, dass er sie sofort zu sich rufen würde, sobald er sich im Versteck des nächsten Hotels eingerichtet hatte; kaum war er soweit, dachte er wieder an die Gefahr, der er ausgesetzt war, wenn er sich ans Licht der Öffentlichkeit traute. Zuerst sollte er sein Aussehen verändern, das Geld irgendwo deponieren, wo es sicher war, in einer Bank...., aber würde man nicht misstrauisch werden, wenn er drei Millionen Euro einzahlte?

      Ein Gedanke purzelte über den anderen, endlos, während er davoneilte.

      Julio kannte sich im Wald hinter dem Schloss gut aus. Neben dem Fahrweg, der auf die andere Seite des Parks führte, zogen sich andere mehr oder minder offizielle Pfade durch das Unterholz. Zwei davon führten zu Steinbrüchen, in denen die Studenten aus der lockeren Erde versteinerte Muscheln und Schnecken aus der Kreidezeit kratzten.

      Julio hielt von Zeit zu Zeit an und horchte angestrengt, ob jemand in der Nähe war, doch er vernahm nur das leise Rauschen des Windes im den dunklen Baumkronen. Zuweilen wurde es heller, wenn die Wolkendecke aufriss und ein wenig vom blassvioletten Westhimmel freigab. Vom Schloss her kam leise das Geräusch startender Autos. Er schlich sich an den Fahrweg heran und schaute hinüber, aber er konnte keine Scheinwerfer erkennen. Beruhigt setzte er sich in Trab, nahm den nächsten Pfad, der auf einen Hügel mit einem barocken Tempelchen als Aussichtspunkt zuführte, von wo aus ein weiterer Weg an die westliche Grenze des Universitätsgeländes ging. Dort wollte er an einer günstigen Stelle über die Umfassungsmauer steigen.

      Die Mitte des Waldes nahm ein kleines Gebäude in der Form eines antiken Tempels ein. Es erhob sich von einem rustikalen Unterbau, zu dem eine breite Treppe hinaufführte. Die Vorhalle hatte vier korinthische Säulen, eine runde Kuppel über der Cella, dem Innersten des Heiligtums, wurde von der einstmals vergoldeten Skulptur der Göttin Fortuna bekrönt. Julio erwies ihr seine Reverenz, indem er sich auf altfranzösische Weise vor ihr verneigte und dabei den Geldkoffer ausladend schwenkte. Dabei schoss ihm ein warnender Gedanke durch den Kopf. Er durfte nicht den ganzen Schatz mit sich nehmen. Sollte ihm etwas mit dem, was er bei sich hatte, passieren, dann konnte er noch immer auf den versteckten Rest zurückgreifen.

      Nach