Helmut Höfling

Das Pulver


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Verfahren. Mit dem Grafen von Castelmehor, der einige Jahre der eigentliche Regent von Portugal gewesen war, gesellte sich eine weitere wichtige Persönlichkeit zu dem Dreierbund. Er habe ihm, so erklärte Bachimont, das Geheimnis der roten Glasfarbe enthüllt.

      Chasteuil und seine Genossen suchten den Stein der Weisen, dessen Berührung die Metalle in Gold verwandeln sollte und die meisten Alchimisten in der Verdichtung des Quecksilbers zu finden hofften. Die Anhänger der „hermetischen Philosophie“ entdeckten, dass die Metalle zusammengesetzte Körper sind, deren Zusammensetzung identisch ist und sich nur voneinander unterscheiden durch die verschiedenen Proportionen der Elemente, die sie zusammenfügen. Durch ein Agens, das diese Proportionen versetzt, konnte man von nun an die Körper untereinander austauschen - zum Beispiel das Quecksilber in Silber, das Blei in Gold verwandeln -, und dieses Agens sollte der Stein der Weisen sein, das Quecksilber, nicht das gewöhnliche, für den Alchimisten nur ein verkümmertes Metall, sondern das Quecksilber der Philosophen, auch „grüner Löwe“ genannt.

      Doch nicht nur der Verdichtung des Quecksilbers, das den Stein der Weisen hervorbringen sollte, suchten Chasteuil und seine Mitarbeiter auf die Spur zu kommen, sondern auch das Gold zu verflüssigen und damit, so glaubten sie, ein Universalmittel zu erhalten. Nach den Vorstellungen der Alchimisten stelle das flüssige Gold, aurum potabile, Gesundheit und Kraft wieder her, gebe den Greisen die Fülle der Gestalt zurück, nehme den jungen Mädchen die Bleichsucht, heile von der Pest und dergleichen fromme Wünsche mehr. Da sie jedoch kein verdichtetes Silber besaßen, um die Metalle zu verwandeln, suchten sie jene Projektionspulver oder Öle, von denen zu jener Zeit so viel die Rede war.

      Nachdem sich die kleine Schar um Chasteuil 1676 in Paris niedergelassen hatte, stießen noch weitere bedeutende Gleichgesinnte zu ihnen: der Empiriker Rabel, ein berühmter Arzt; der reiche Bankier Cadelan, Sekretär des Königs, sowie der junge Advokat des Parlamentsgerichts Jean Terron du Clausel, der, was allen wichtig schien, eine sogenannte Lizenz zum Destillieren besaß. Das Heilwasser, das er erfand, bestand aus einer Mischung von Alkohol und Schwefelsäure: ein zusammenziehendes Mittel bei starken Blutungen. Gemeinsam mit Vanens wohnte er im Petit Hôtel d’Angle­terre in der Rue Anjou. Rabel hatte ein anderes Elixier gebraut, dessen Vorzüge er durch marktschreierische Anzeigen in Prosa und Versen anpries, und Cadelan war deshalb willkommen im Bund, weil er seine Geldmittel beisteuerte. Wenngleich die Alchimisten heilkräftige Öle und Wasser zu bereiten verstanden und äußerst gelehrt von den Eigenschaften der Metalle und deren Verwandlung sprachen, so waren sie trotz allem Falschmünzer. Das berühmte Silber, das Vanens und Chasteuil mit Kupfer herstellten, war nichts anderes als Neusilber, also Silberersatz. Eine Barre dieses angeblichen Silbers, die Vanens geschmolzen und Bachimont auf die Stadtmünze gebracht hatte, wurde infolge eines Versehens des dortigen Beamten angenommen. Kein Wunder, dass dieser Erfolg in ihnen allen die größten Hoffnungen weckte, die jedoch jäh zerschellten, als Louis von Vanens Anfang Dezember 1677 verhaftet wurde. Statt einen Spion erwischt zu haben, wie man anfangs noch glaubte, stellte sich heraus, dass es sich um einen Alchimisten handelte, und bald darauf wurde die ganze Sippschaft festgenommen, außer Chasteuil, der bereits verstorben, und Rabel, der nach England gezogen war.

      Von allen Gefangenen war Vanens, der junge Edelmann aus der Provence, die Persönlichkeit, die am anschaulichsten zeigte, wie weit verästelt die Verderbnis der Moral, die alles zersetzende Fäulnis schon bis in die höchsten Gesellschaftskreise vorgedrungen war. Er unterhielt ausgezeichnete Beziehungen zum Hof, wo er mit der stolzen Mätresse des Königs, der Marquise von Montespan, auf vertrautem Fuße stand und ihr Ratschläge zur Beseitigung ihrer Rivalin erteilte, derentwegen man ihn, wären sie ruchbar geworden, hätte zum Tode verurteilen und vierteilen lassen können. Außerdem war er ein häufiger Gast der Voisin, einer der berüchtigtsten Giftmischerinnen, eine Zeitlang sogar ihr „Meister“: ein Beweis für die enge Verbindung der Alchimisten zu den Zauberinnen. Als eifriger Anhänger hatte er, begleitet von seinem Diener und einem Geistlichen, eines Nachts im Wald bei Poissy unter Beschwörungen und Anrufung des Bösen nach Schätzen gegraben. In die Bastille, wo er mit mehreren Gefangenen in einem Raum leben musste, hatte er seinen Windhund mitnehmen dürfen, auf dessen Bauch er um Mitternacht Gebete und Segenssprüche herzusagen pflegte. Dazu nahm er ein Gebetbuch, in dem die Heilige Jungfrau abgebildet war, hielt dieses Bild gegen den Hintern des Hundes und sprach:

      „Erscheine, Satan, sieh hier deine Vielgeliebte!“

      Auf die Bedenken seiner Mitgefangenen über diese Gotteslästerung gab er zur Antwort, dass weder Gott noch der König ihn an seinem Tun hindern könne, so sehr war er von der Macht des Teufels überzeugt, obwohl er genau wusste, wo er sich befand und dass solche Anrufungen des Höllenfürsten ihn auf den Scheiterhaufen bringen konnten.

      3

      Ein Laboratorium wie all die anderen Alchimisten mit Tiegeln, Retorten, irdenen und gläsernen Gefäßen, Destillierkolben, Mörsern, tausenderlei Pulvern, Pasten und Tinkturen besaß Sainte-Croix in der Sackgasse Place Maubert gleichfalls, wenn auch nicht in solchen Ausmaßen wie Chasteuil und Konsorten. Aber den Stein der Weisen und damit die Formel, Gold zu machen, hatte auch er nicht gefunden. Im Gegenteil, mit Schulden überlastet war er gestorben. Zur Sicherung des Erbes wurden seinen wenigen Habseligkeiten Amtssiegel aufgedrückt, die erst eine Woche später Kommissar Picard im Beisein des Gerichtsdieners Creuillebois entfernte sowie zweier Notare, des Vermögensverwalters der Witwe des Verstorbenen und eines Sachwalters, den die Gläubiger bestellt hatten. Von einer Kassette, die der Marquise von Brinvilliers als erstes bei der Nachricht vom Tod ihres Liebhabers eingefallen war, fehlte jede Spur, ja niemand sonst wusste überhaupt etwas davon.

      Das änderte sich jedoch, als nach den ersten drei Sitzungen, die ohne Zwischenfall verlaufen waren, ein Karmelitermönch erschien und den Schlüssel zu dem Geheimkabinett überreichte, in dem sich der Schmelzofen befand. Neugierig, was sich hinter der Tür wohl verbarg, schloss man sie sofort auf und erblickte auf dem Tisch eine Papierrolle mit der Aufschrift: „Meine Beichte“. Ohne zu zögern, erklärten alle Anwesenden, zur Wahrung des Beichtgeheimnisses dürfe man die Rolle nicht öffnen, sondern müsse sie unverzüglich verbrennen.

      Bei der eingehenden Durchsuchung des geheimen Kabinetts entdeckte man schließlich in einem ebenso geheimen Fach eine länglich geformte, rote Kassette mit einem dranhängenden Schlüssel. Was zuerst ins Auge fiel, als man sie aufschloss, waren mehrere Arzneifläschchen, die einen mit einer wasserhellen, die anderen mit einer rötlichen Flüssigkeit gefüllt, sowie verschiedene Pulver. Außerdem lagen darin Briefe der Marquise von Brinvilliers an Sainte-Croix, ferner zwei von der Marquise nach dem Tod ihres Vaters und ihrer beiden Brüder unterschriebenen Schuldscheine sowie schließlich noch eine Quittung und eine Vollmacht über den Betrag von zehntausend Livre, die Pennautier, der Obersteuereinnehmer der Geistlichkeit, durch Vermittlung von Sainte-Croix Herrn und Frau von Brinvilliers geliehen hatte. Diese Quittung und Vollmacht steckten in einem versiegelten Briefumschlag mit der Aufschrift: „Papiere, dem P. P. Pennautier, Obersteuereinnehmer des Klerus, als dessen Eigentum zurückzuerstatten, und ich bitte jene, denen sie in die Hände fallen, angelegentlich, sie ihm im Falle meines Todes zu übergeben, da sie für niemanden außer ihm Wert besitzen.“

      Die Kassette selbst mitsamt ihrem übrigen Inhalt hatte Sainte-Croix mit folgenden Worten für die Marquise bestimmt:

      „Ich bitte jene, in deren Hände diese Kassette gelangt, ergebenst, sie persönlich der Frau Marquise von Brinvilliers, wohnhaft Rue Neuve-Saint-Paul, übergeben zu wollen in Anbetracht dessen, dass alles, was sie enthält, nur diese allein angeht und ihr allein gehört und überdies niemandem von Nutzen wäre, ihr eigenes Interesse ausgenommen; und im Falle sie vor mir sterben sollte, bitte ich, die Kassette mit allem, was darin ist, zu verbrennen, ohne etwas zu öffnen oder zu verändern. Und damit man nicht Unwissenheit vorschützen kann, schwöre ich vor dem Gott, zu dem ich bete, und bei allem, was es Heiligstes gibt, dass ich nichts sage, was nicht auf vollster Wahrheit beruhte. Wenn je meinen Bestimmungen, die bei völlig gesundem Verstand gegeben wurden, zuwidergehandelt werden sollte, falle es in dieser und in einer anderen Welt auf ihr Gewissen, zur Entlastung des meinigen, und ich erkläre hiermit, dass dies mein Letzter Wille ist.

      Gegeben zu Paris am 25. Mai nachmittags im Jahre 1670.

      Unterzeichnet: