Rita Kuczynski

Die gefundene Frau


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fragte der Verkäufer.

      Agnes@on-line., sagte ich und wußte nicht, wie ich darauf gekommen war.

      Der Verkäufer meldete den von mir gewünschten Namen an. Kaum war die Anmeldung bestätigt worden, kam die Nachricht: “Sie haben Post.”

      Der Verkäufer bat mich, die Post selbst abzuholen.

      “Falls das Netz überfordert ist und du nicht weißt wohin. Wir sind schon unterwegs. Moses”

      Überrascht und erfreut über die Nachricht, bezahlte ich schnell meine Rechnung. Wegen der Homepage komme ich wieder, versicherte ich dem Verkäufer und verließ den Laden.

      10

      Ich lief in den Nachmittag. Die Tragetasche, die ich für meinen Laptop gekauft hatte, hielt ich fest unter dem Arm. Ich war zufrieden, einen ganz neuen Bezugspunkt gefunden zu haben, einen, der allen früheren überlegen war, auch weil er nicht mehr gebunden war an einen festen Ort, an den meine früheren Wohnadressen noch gebunden waren. Denn egal, wo ich mich nun befand, wenn ich nur einen Telefonanschluß hatte, konnte ich weltweit Zuhause sein. Wenn ich dann noch eine Homepage haben werde, bin von überall her erreichbar. Eine Homepage im Netz könnte ein einzigartiges Zuhause werden. Von jedem Ort der Welt werde ich an jedem Ort der Welt Post bekommen können. Ich kann verbinden und jeder Zeit verbunden sein.

      Es war beinahe dunkel geworden. Auf den Gehwegen wurde es glatt. Das Wasser des in der Mittagsonne geschmolzenen Schnees, war wieder überfroren. Ich lief und lief, denn auf das Laufen allein kam es mir in diesem Moment an. Erst, als ich vor der Gedächtniskirche auf dem Kurfürsten Damm angekommen war, blieb ich stehen. Die fliegenden Händler hatten ihre Stände schon abgebaut. Die Straßenmusikanten waren auf dem Weg, ihr Spiel in den Kneipen fortzusetzen. Obdachlose begannen, den Platz um die Gedächtniskirche einzunehmen. Ich suchte unter den Passanten nach Moses Grossman, obwohl ich wußte, daß es keinen Grund gab, warum er hier sein sollte. Er hatte eine Spielerlaubnis für die Unterführung im U-Bahnhof Stadtmitte. Die Miete für einen Spielplatz rund um die Gedächtniskirche war sehr hoch. Und trotzdem horchte ich in den Abend, ob ich seine Orgel nicht hörte.

      Ich lief an der Drogenszene vor dem Europacenter vorbei und hielt meinen Laptop fester. Langsam ging ich auf den Wittenberg Platz zu. Ein bißchen war ich enttäuscht und gestand mir auch ein, Moses Grossman hier nicht zu finden. Kurz vor dem Kaufhaus des Westen hatten Obdachlose in einem Papierkorb Feuer gemacht. Der Papierkorb stand unweit von dem China-Imbiß, der erst vor einigen Wochen hier aufgemacht hatte. Sie wärmten ihre Hände am Feuer über dem Korb. Ich blieb zwei drei Meter vor dem Feuer stehen und sah in die hellen Flammen. Weil Kunststoffteller vom Imbißstand in dem Feuer brannten, waren die Flammen sehr gelb. Es war ein kräftiges und schönes Feuer. Erst nachdem ich schon eine ziemliche Weile in die Flammen gesehen hatte, und ihrem Weg folgte, auf dem sie nach oben stiegen, um danach wieder zurückzufallen in den brennenden Mittelpunkt, fiel mir auf, daß sich das Feuer nicht verzehrte. Denn der Papierkorb, in dem es brannte, war zu klein, als daß er ein solch kräftiges und langandauerndes Feuer hätte halten können, egal, wieviel Kunststoffteller in ihm brannten. Ich trat noch näher auf dies wundersame Feuer zu. Da rief eine Stimme.

      Agnes?

      Für einen Augenblick meinte ich, sie käme aus dem Feuer.

      Ja, sagte ich und ging noch einen Schritt auf das Feuer zu.

      Tritt nicht näher heran, kam die Stimme nun vom Kaufhaus des Westens.

      Wer bist du?

      Geh nur, du bist schon auf den Weg.

      Ich meinte, die Stimme, die ich da gehört hatte, war die von Moses Grossman. Ungläubig sah ich von einem Ende des Wittenbergplatzes zum anderen. Sah zum China-Imbiß. Aus dem eisernen Papierkorb stiegen die Flammen noch höher über seinen Rand hinaus. Sie wechselten ihre Farbe hin zu einem helleren Gelb. Das Feuer hatte eine beträchtliche Höhe erreicht. Die Flammen stiegen und stiegen gen Himmel. Von fern her waren Martinshörner zu hören. Passanten hatten die Feuerwehr gerufen.

      Ich umfaßte meinen Laptop fest und bahnte mir einen Weg durch die Menschenmenge, die sich inzwischen um dieses wundersame Feuer versammelt hatte. Ich ging zum Wohnheim.

      11

      Die Kisten müssen aus dem Abstellraum”, begrüßte mich der Pförtner, kaum, daß ich das Wohnheim betreten hatte. “Wir haben drei Neuzugänge, und es werden nicht die letzten sein in dieser Woche. Es ist erst Dienstag.”

      Er fuchtelte mit einem Zettel so dicht vor meinen Augen, daß ich nichts sah. Es war die Adresse eines Lagerhauses zur Aufbewahrung von Hausrat und Möbeln. Der Pförtner versicherte mir, daß ich in dieser Stadt nichts Preisgünstigeres fände.

      Ich steckte den Zettel ein und ging in den Abstellraum. Er war in den zwei Tagen, da meine Kisten dort standen, so vollgestellt worden, daß ich Mühe hatte, an sie heranzukommen. Auch wenn ich wenig Lust verspürte, an sie herankommen zu wollen, mußte etwas mit den Kisten geschehen. Denn auf keinen Fall wollte ich sie in meine neue Unterwohnung mitnehmen. Lieber wollte ich ein Entgelt bezahlen, um die Erinnerungen an einem Ort zu lagern, auf den ich nach eigenem Ermessen zugehen konnte. Einen Speicher zu finden, in dem ich das Vergangene kistenweise abstellen konnte, gefiel mir. Sie erst zu öffnen, wenn ich kräftig genug sein würde, mich meinen Erinnerungen auszusetzen. Das kam mir entgegen.

      Ich fragte den Hausmeister nach einer Zange. Die Speditionsfirma hatte viel zu große Nägel für die Kisten genommen. Ich mußte die Kisten noch einmal öffnen. In all den Wirren der Zwangsräumung hatte ich es nicht geschafft, die Kisten auch noch zu numerieren und ihren Inhalt zu vermerken. Ich suchte nach den Kisten, in denen sich Wäsche und Kleidung befanden. Ich wollte in der letzten Nacht hier im Wohnheim im eigenen Nachthemd schlafen. Ich erinnerte zwar, ich hatte die Nachtwäsche ziemlich weit oben in eine Wäschekiste getan. Aber das half mir nicht, denn ich wußte nicht, welches die Wäschekisten waren. Fünfmal Bettwäsche durfte man bei einer Zwangsräumung behalten. Das hatte ich mir gemerkt, denn ich besaß nur drei Garnituren und konnte daher noch zwei Badelaken mehr als meinen persönlichen Hausrat einpacken.

      Ich hatte gerade den ersten Nagel aus dem Holz der Kiste gezogen, da betrat Moses Grossman die Abstellkammer und fragte, ob er helfen könnte.

      Ich gestand mir ein, daß ich auf ihn gewartet hatte und gab ihm die Zange. In der Kiste, die er öffnete, war kein Bettzeug, sondern Bücher und Kopien von Texten, die ich unbedingt behalten wollte. Es waren vornehmlich Kopien von Texten und Büchern, die mir über die Jahre geholfen hatten. Da ich die Bücher, in denen sie standen, nicht endlos mit mir herumschleppen wollte, hatte ich mir angewöhnt, die wenigen Sätze und Seiten, die mir wichtig wurden über die Jahre zu kopieren. Irgendwann hatte ich die vielen Einzelblätter zu einem Buchbinder gebracht, damit sie nicht verloren gingen. Jahrelang suchte ich Zuspruch und Rat in diesen Blättern. Fünf Bände waren da zusammengekommen. Bände mit den wichtigsten Textstellen aus Büchern, in denen ich nachlesen konnte, was ich selbst so präzise, wie es dort stand, nicht zu sagen vermochte. Textstellen, die mir versicherten, daß vieles von dem, was ich nicht verstand, doch zu verstehen war, wenn ich es nur wieder und wieder las und mir einprägte, was ohne Prägung nicht zu begreifen war. Da viele der Bücher, aus denen ich die Textstellen kopiert hatte, längst vergriffen waren, waren mir die Bände besonders wertvoll.

      Nachdem Moses Grossman den ersten Band der Kopien aufgeschlagen hatte, begann er herzhaft zu lachen. Er meinte, die Idee, nicht mehr lesbare Texte zum Buchbinder zu tragen, um sie als Bücher zusammenstellen zu lassen, fände er großartig.

      Ich nahm ihm den Band aus der Hand. Die Schrift war tatsächlich nicht mehr zu lesen. Nur kleinere braun gewordene Buchstabeninseln deuten darauf hin, daß hier zu einer anderen Zeit einmal ein Text gestanden haben könnte. Ich nahm die anderen Bände, blätterte sie durch. Auch in ihnen war der Text nur stellenweise noch zu entziffern. Ich hatte Thermofaxpapier zum Kopieren genutzt. Normalpapier war damals, als ich die Textstellen zusammenstellte, noch nicht bekannt. Und als sich später die Copyläden durchsetzten, hatte ich aus Gewohnheit auch weiterhin mit Thermofaxpapier gearbeitet. Ich fuhr mit den Fingern über die Hieroglyphen, zu denen der Text über die Jahre geworden war,