Sabine Keller

Die Angelsächsin


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nach seinem Tode dessen gesamtes Land und alle Titel erben. Selbst wenn Alais vor Erreichen des hochzeitsfähigen Alters sterben sollte, ist das kein Problem, denn die Vereinbarung wird dann auf ihre nächstjüngere Schwester übertragen. Prinz John wird also auf jeden Fall die Erbin heiraten.“

      „Es sei denn, dem Grafen wird doch noch ein Sohn geboren. Er ist zwar nicht mehr der Jüngste und die Wahrscheinlichkeit ist nicht sehr groß, aber man weiß ja nie. Ein männlicher Erbe hat in der Erbfolge schließlich Vorrang. In diesem Fall müsste mein Sohn auf die Titel verzichten. Dann bekommt die Tochter nur eine großzügige Mitgift an Ländereien, die auch im Vertrag festgelegt sind. Diesen Punkt hätte ich gerne geändert. Aber gut, ich denke, Ihr habt recht. Hoffen wir einfach, dass es nicht dazu kommt!“

      Die Verhandlungen für den Hochzeitsvertrag hatte der König gerade vor wenigen Tagen für seinen sechsjährigen Sohn, Prinz John, geführt. In den höheren Kreisen waren solche Verträge zwischen den eigenen Kindern und den Nachkommen Verbündeter oder auch möglicher Gegner eine allgemein übliche Maßnahme, um das Herrschaftsgebiet zu vergrößern oder die Grenzen zu sichern. Derartige Absprachen wurden von den Eltern oft schon in sehr jungen Jahren für die Kinder ausgehandelt und durch Hochzeitsgaben von beiden Seiten, meist Landübertragungen oder Hilfeleistungen im Kriegsfall, besiegelt.

      Zur Festigung einer Alliance mit dem mächtigen Grafen Humbert of Maurienne, Lord von Savoy, hatte König Henry diesem ein Heiratsversprechen zwischen seinem Sohn John und dessen ältester Tochter und Erbin Alais angeboten und der Graf hatte zugestimmt. Kurz nach Weihnachten, welches die königliche Familie mit ihrem Gefolge in Chinon verbracht hatte, war der Hof nach Montferrant in der Auvergne aufgebrochen. Dort hatte Henry sich mit dem Grafen zu ersten Gesprächen bezüglich des Hochzeitsvertrages getroffen.

      Die Verhandlungen waren sehr zäh verlaufen, denn jeder der beiden Väter wollte natürlich möglichst gute Bedingungen für sein Kind und für sich selbst herausschlagen und kämpfte beharrlich um jede Einzelheit des Paktes. Nach etwa einem Monat waren in Montferrant die Nahrungsmittel für die vielen Menschen knapp geworden, denn außer dem großen Hofstaat musste auch noch der Graf mit seinem nicht viel kleineren Gefolge verköstigt werden und einfache Bauernnahrung konnte man den edlen Herrschaften natürlich nicht anbieten. Daher wechselten sie in den großen Palast von Limoges über, wo es dann endlich zur Einigung kam.

      „Ganz gleich ob der Graf noch einen Sohn bekommt oder nicht, Ihr habt so oder so einen wichtigen Verbündeten gewonnen. Und Eure Gegengabe an die Braut ist doch verhältnismäßig gering“, betonte der Berater. „Die Geldsumme könnt Ihr leicht verschmerzen und zusätzlich müsst Ihr nur drei Burgen abtreten. Sicher, die Festungen von Chinon, Mirebeau und Loudun liegen an der Loire strategisch sehr günstig, aber wie gesagt, es sind nur drei. Ich finde, Ihr habt ein wirklich gutes Geschäft gemacht.“

      „Das dachte ich auch, doch inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher. Wenn ich geahnt hätte, welche Auswirkungen mein Angebot dieser drei Loirefestungen haben würde, dann hätte ich mir Alternativen überlegt.“

      Dummerweise trug nämlich Henrys ältester Sohn und Erbe den Titel des Grafen von Anjou und war damit der Herr dieser Grafschaft und besagter Burgen, die sein Vater als Hochzeitsgabe benannt hatte. Und da der Prinz sowieso schon nicht in bester Stimmung war, lehnte er die Übergabe seiner Burgen als Mitgift für den kleinen Bruder schlichtweg ab.

      Was dachte sich der Vater eigentlich?! Statt ihm endlich die ihm zustehende Macht zu geben, wollte Henry ihm nun auch noch diese drei wichtigen Festungen abnehmen! Ohne ihn im Vorfeld auch nur über seine Pläne zu informieren, geschweige denn ihn vielleicht um Erlaubnis zu fragen! Was sollte er sich denn noch alles gefallen lassen? Das waren seine Burgen, sein Eigentum, und darüber hatte nur er zu bestimmen! Der wütende junge Erbe hatte endgültig genug. So nicht! Gütlich ging es offensichtlich nicht, na schön, dann eben mit Gewalt! Sein Vater würde sich noch wundern!

      Jetzt erwies sich Henrys mangelndes Vertrauen seiner Familie gegenüber als großer Fehler. Hätte Henry seine Angehörigen an seiner Regentschaft teilhaben lassen, so hätte das zwar seine eigene Macht ein wenig beschränkt, aber damit wären seine Familienmitglieder wahrscheinlich zufrieden gewesen. So aber fühlten sie sich, selbst von königlichem Blut und doch von den echten Regierungsbelangen ausgeschlossen, unterdrückt und streben nach eigener Befehlsgewalt und Freiheit. Jetzt ging es nicht mehr länger um eine Teilhaberschaft, jetzt ging es um alles.

      „Nun gut, das war wohl meine eigene Schuld“, gab Henry widerwillig zu. Er war ehrlich genug, seine Fehler einzugestehen. „Und jetzt ist es zu spät, noch etwas zu ändern. Nach dem vehementen Widerstand meines Sohnes hinsichtlich dieser Burgen hatte ich schon mit Aktivitäten aus seiner Richtung gerechnet. Das habt Ihr mir ja jetzt bestätigt.“ Er zuckte die Achseln und ergänzte leichthin: „Damit werde ich fertig.“

      Er nahm das Ganze nicht wirklich richtig ernst. Der Prinz würde, abgesehen von kleineren Streitereien vielleicht, keinen echten Aufstand wagen. Niemand wagte das.

      Doch sein Berater sah das anders. „Ich fürchte, es handelt sich nicht nur um unwichtige Aktionen eines beleidigten jungen Burschen. Diesmal wird es ernst, wenn Ihr nicht sofort Gegenmaßnahmen ergreift“, warnte er eindringlich.

      Ungläubig musterte Henry seinen Berater. „Ihr glaubt doch nicht tatsächlich, es könnte eine bewaffnete Rebellion geben?“

      „Doch, genau das erwarte ich. Ihr habt einige mächtige Feinde, die nur auf so eine Gelegenheit warten. König Louis von Frankreich zum Beispiel hat Euch die verspätete Krönung seiner Tochter keineswegs verziehen und lauert auf eine Möglichkeit sich an Euch zu rächen. Wie meine Informanten mir berichteten, hat Louis dieser Tage schon eine Depesche von Eurem Sohn erhalten. Ihr müsst sofort handeln und weitere Kontakte auf der Stelle unterbinden, damit sich die beiden nicht gegen Euch verbünden können.“

      Henry zweifelte noch immer. Konnte es sein, dass der Mann wirklich recht hatte? Ach was, unmöglich, er hatte seinen Sohn doch vollkommen unter Kontrolle! Gleich nach dessen erster Reaktion auf die Vertragsunterzeichnung in Limoges hatte er ihn vorsichtshalber nicht mehr aus den Augen gelassen. Henry hatte seinen Sohn auch nicht an dessen eigenen Hof in Anjou zurückkehren lassen, sondern auf seiner Begleitung bestanden. Der aufgebrachte junge Mann befand sich hier bei ihm in dieser Festung. Gegen seinen Willen, und das hatte seine Laune nicht eben verbessert. Aber was konnte er denn schon ausrichten, hier, unter direkter Aufsicht seines Vaters? Er hatte nur einige wenige Leute aus seinem engsten Kreis mitbringen dürfen, also hatte er gar nicht die Möglichkeit, auf einen Aufstand hinzuarbeiten! Oder doch?

      „Also gut, nehmen wir an, Ihr habt recht.“ Henry war von Natur aus ein besonnener Mann. Er ging nie ein unnötiges Risiko ein und ein paar Vorsichtsmaßnahmen schadeten schließlich nicht. „Was schlagt Ihr vor?“

      „Stellt Euren Sohn unter sichere Aufsicht. Lasst Euch über jeden seiner Schritte umgehend unterrichten.“

      „Ihr meint, ich soll ihm eine Leibwache zuteilen? Wie stellt Ihr Euch das vor, dann kann ich ihn gleich in seinem Zimmer einsperren. So kann man doch einen Thronerben nicht behandeln, er ist immerhin der Mitregent von England und kein Leibeigener. Noch hat er sich schließlich nichts zuschulden kommen lassen. Nein, ich sollte die Wut meines Sohnes nicht noch anstacheln. Außerdem muss ich auf die Gefühle der Aristokraten in meinem Land Rücksicht nehmen, ohne zwingenden Grund kann ich keinen Adeligen einsperren, sonst gibt es schnell böses Blut.“

      „Ich gebe zu, es würde keinen guten Eindruck machen. Aber dann fangt wenigstens seine Kuriere ab. Er darf keine Botschaften hinausschmuggeln. Und achtet auf die Freunde Eures Sohnes. In seinem Gefolge befinden sich ein paar Leute, die einen recht schlechten Einfluss auf den jungen Prinzen ausüben.“

      Der König nickte. „Da stimme ich Euch zu. Er hat wirklich einige recht dreiste Freunde. Besonders dieser junge Lord Fanton lässt es deutlich an Respekt mir gegenüber fehlen. Bisher habe ich um des lieben Friedens willen die Augen zugedrückt, aber das hört jetzt auf. Ich werde diesen unverschämten Fanton und noch ein paar andere aus der Burg weisen. Außerdem darf ab sofort niemand ohne meine schriftliche Erlaubnis die Festung verlassen, besonders nicht mein Sohn oder einer seiner Freunde. Die Torwachen werden noch heute die entsprechenden Anweisungen