Sabine Keller

Die Angelsächsin


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ein kleines gesellschaftliches Ereignis. Es war üblich, sich für diese Gelegenheit glanzvoll zurechtzumachen und die Damen und Herren des Hofes übertrafen sich gegenseitig mit ihren edlen Gewändern und Frisuren nach der neuesten Mode. Die illustre Gesellschaft bildete zwar nach außen hin einen zusammengehörenden Hofstaat, aber nur in der gerade vorherrschenden Mode war man sich halbwegs einig. Ansonsten gingen die einzelnen Meinungen weit auseinander und beim Mahl diskutierte man die unterschiedlichsten Ansichten aus, hier wurden harmlose Gerüchte verbreitet oder auch bösartige Intrigen geschmiedet.

      Robert und Duncan waren schnell in Gespräche verwickelt. Sie waren geübt im höfischen Small Talk, der ebenso zur Etikette gehörte wie die Teilnahme an Gesellschaftstänzen. Bei den Ladys galten die beiden als begehrte Gesprächspartner, denn sie waren unverheiratet und außerdem Mitglieder der aristokratischen Gesellschaft und somit keine schlechte Partie. Allerdings blieb die heimliche Hoffnung der einen oder anderen Hofdame auf eine feste Verbindung mit einem der Ritter bisher erfolglos, da keiner der beiden dem seichten Geplauder und gezierten Gehabe der Edelfrauen viel abgewinnen konnte. Sicher, einige der Frauen waren ihnen sympathisch, aber das war auch alles.

      „Sir Duncan, habt Ihr schon gehört: Die Zofe der Gräfin Beaumont hat sich doch tatsächlich erdreistet ...“

      Duncan hörte seiner Tischnachbarin nur mit einem Ohr zu und warf seinem Freund, der in ähnlich lebenswichtige Erörterungen vertieft war, über deren Kopf hinweg einen gequälten Blick zu. Die Geschichte kannte er längst, in mehreren verschiedenen Varianten. In diesem Augenblick konnte er es kaum abwarten, den Hof für eine Weile zu verlassen. So plötzlich der Auftrag des Königs in die Routine des Ritterlebens geplatzt war, so willkommen war die Abwechslung auch.

      „Meint Ihr nicht auch, Sir Duncan?“ Die Hofdame wartete auf seine Reaktion. Seufzend fügte er sich in sein Schicksal und schenkte seiner sehr schönen, aber leider auch ein wenig hohlköpfigen Gesprächspartnerin ein charmantes Lächeln.

      „Ungeheuerlich, in der Tat.“

      Da endlich begann der Minnesänger seinen Auftritt und erlöste den jungen Ritter. Der herumreisende Künstler kannte viele amüsante Balladen und berichtete über den heldenhaften Kampf gegen Feuer speiende Drachen und die neuesten Taten mutiger Kämpfer irgendwo im Königreich. Jeder wusste, dass die Lobgesänge maßlos übertrieben waren und Drachen gab es nicht mehr, seit irgendein tapferer Held vor einigen Jahren den letzten der grausigen Bestien erlegt hatte. Mit Ausnahme des Ungeheuers aus dem schottischen Loch Ness, das immer wieder von sich reden machte und hartnäckig allen Tötungsversuchen entging. Aber die Übertreibungen störten niemanden. Der Sänger war wirklich gut und wusste sein Publikum zu begeistern und so wurde es ein langer Abend, bis sich die beiden Ritter endlich auf ihre Lager warfen. Immerhin waren ihnen durch die Ablenkung des Minnesängers viele sonst unvermeidliche Fragen über ihr Gespräch mit dem König erspart geblieben.

      Am nächsten Morgen wurden Duncan und Robert beim ersten Tageslicht von ihren Knappen geweckt und wuschen sich fröstelnd mit dem eiskalten Wasser aus den bronzenen Waschschüsseln, die die Knappen bereitgestellt hatten. Nachdem sie sich angezogen hatte, ließen sie sich von ihren Knappen beim Überziehen der widerspenstigen Kettenhemden helfen. Darüber kamen noch der Waffenrock mit dem Wappen des Königs und der lederne Gürtel mit dem Dolch und dem langen, doppelschneidigen Schwert.

      Bereit zum Aufbruch schickten sie dann ihre Knappen mit dem Gepäck, zusammengerollten Decken und ihren Schilden zu den Pferden. Sie selbst nahmen ihre grauwollenen Umhänge, suchten die Küche auf und ließen sich dort ein letztes, kräftiges Frühstück geben. Um diese Zeit waren der Burghof und die Küche noch leer, außer den Küchenmägden begegneten sie nur einigen Bediensteten, die mit verschlafenen Gesichtern schon ihren Pflichten nachgingen.

      Gestärkt gingen auch die Ritter schließlich zu den Ställen, nachdem sie sich vorher noch einen Beutel mit Proviant und Wasserflaschen besorgt hatten. Ihre Knappen hielten die Pferde schon bereit, das Gepäck hinter dem Sattel angeschnallt. Die massiven Schilde waren mit ihren dicken Lederüberzügen, Eisenbeschlägen und dem eisernen Buckel in der Mitte auf die Dauer zu schwer und die Ritter konnten sie während des Rittes nicht ständig tragen. Sie hingen griffbereit vorne an der linken Schulter der Pferde, wo sie im Notfall schnell bei der Hand waren.

      Die Ritter hängten Proviantbeutel und Wasserflaschen ebenfalls an die Sättel und saßen auf. Nach letzten Anweisungen an ihre Knappen, die während ihrer Abwesenheit ihre zurückgebliebenen Ersatzpferde, Rüstungen und Waffen pflegen sollten und zum Waffendienst anderen Rittern zugeteilt waren, ritten die Männer zum Torhaus.

      Wachsam traten zwei Torwächter aus ihrer Kammer, sobald sie den Hufschlag der Reiter hörten und fragten nach ihren Namen und der Passiererlaubnis des Königs, ohne die nach neuesten Anweisungen niemand mehr die Burg verlassen durfte. Das war eine der Maßnahmen des Königs, den Prinzen und dessen Anhänger unter seiner Aufsicht zu halten. Die Ritter reichten einem der Männer das verlangte Papier, welches der Wächter sorgsam las, bevor er seinem Partner einen Wink gab, das Tor zu öffnen. Er selbst begab sich zurück in die Wachkammer, wo sich der Hubmechanismus für das Fallgitter befand. Die Zugbrücke war nicht hochgezogen worden, da Frieden herrschte und keine unmittelbare Gefahr eines Angriffes von außen bestand.

      Der Mann am Tor musste alle Kraft aufwenden, um den stabilen Sicherungsbalken aus der Halterung zu heben und das mächtige, eisenbeschlagene Portal in seinen quietschenden Angeln aufzudrücken. Gleichzeitig hob sich schon das mächtige eiserne Fallgitter vor der Zugbrücke, dann war der Weg für die Ritter frei. Nach einem kurzen Gruß trabten sie hinaus in den bitterkalten Morgen, begleitet von den laut dröhnenden Hufschlägen ihrer Pferde auf der hölzernen Zugbrücke, als sie den gut gefüllten Burggraben überquerten.

      In den letzten Tagen hatte es viel geregnet und der Niederschlag hatte sich nicht nur im Wassergraben gesammelt. Ebenso nass waren die Pfade, auf denen die Pferde der Ritter durch Matsch und Pfützen in Richtung Norden stapften. Jagende graue Wolken am Himmel drohten weiteren Regen an und ein kräftiger Wind blies die frostigen, weißen Atemwolken von Pferden und Reitern auseinander. Fröstelnd zogen die Ritter ihre wehenden Umhänge enger um sich und trabten gemächlich durch die noch winterlich kahle Landschaft. Es war ein Ritt von mehreren Tagen bis zum Hafen von Barfleur und es machte daher wenig Sinn die Pferde abzuhetzen, sie würden ihre Kräfte noch brauchen.

      Gegen Mittag passierten sie die am Fluss Vienne gelegene Stadt Limoges und hielten sich von dort aus an den Lauf des Flusses, bis sie am nächsten Tag die Stadt Chinon erreichten. Jetzt ging es leichter voran, da sie hier auf eine befestigte Straße trafen, die vor langer Zeit von den Römern angelegt wurde. Heerscharen römischer Sklaven und Kriegsgefangener hatten auf viel benutzten Strecken feste Wege angelegt, um Soldatentruppen den zeitraubenden Marsch querfeldein durch Sümpfe und dicht bewaldete Hügel zu erleichtern. Mit kleinen Steinen und Kies waren breite Deiche aufgeschüttet worden, je nach Untergrund von seitlichen Gräben begleitet, die die Straße trocken halten sollten. Besonders wichtige Verbindungsstraßen waren sogar mit flachen Steinplatten gepflastert worden, die mühsam von weit entfernten Steinbrüchen herangeschafft werden mussten. Steinerne Brücken überspannten die Flüsse und tieferen Bäche.

      Die Ritter waren oft auf solchen Straßen geritten, die in meist gerader Linie das ganze ehemalige Römische Reich durchzogen. Und doch überkam sie wieder ein Gefühl der Hochachtung vor dieser Meisterleistung, als sie jetzt auf den Römerweg einbogen. Selbst heute, Jahrhunderte nach ihrer Fertigstellung, waren die Wege und Brücken meist noch voll intakt und vielerorts sogar noch immer die einzigen befestigten Überlandverbindungen. Dementsprechend gerne nutzten Händler und Reisende diese Straßen, selbst wenn sie dafür einen Umweg in Kauf nehmen mussten.

      Bei klirrender Kälte kreuzten die Reiter später die Loire, aber wenigstens war der Regen inzwischen abgezogen. Von strahlender Sonne begleitet, blieben sie die nächsten Tage auf der Römerstraße, die bis hoch zur Küste der Normandie verlief. In Caen mussten sie letztendlich abbiegen und ritten westlich die Küste entlang und dann die Landzunge von Cotentin hinauf.

      Hier am Meer wehte ein sanfter Westwind, der mittags, wenige Stunden bevor die Ritter den Hafen von Barfleur erreichten, plötzlich drehte und auffrischte. Bald danach zogen am Horizont die schwarzen Wolkengebirge eines Unwetters