Erwin Guido Kolbenheyer

Paracelsus


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schlug ihm durch die Brust.

      „Frästeli, dine Ougen sänd Ochsnerougen!“

      „Wes Ougen?“

      „Din Ougen, Büebli.“

      Theophrast wandte sich wieder an seine Salbe, denn der Großvater redete ungereimte Dinge.

      Konrad von Rackeiberg, Fürstabt, ballte die Fäuste und knirschte mit den breiten, immer noch blank bewehrten Kiefern, denn er mußte wohl oder übel an die Briefe. Den Winter über war der Prior Diebold hinter den Büchern gelegen, ein hoffärtiges auf Latein und Griechisch geteiltes Geisthabit, mit gelahrtem Lappen- und Zaddelwerk behängen, für sich zu schneidern. Der Fürstabt konnte dem Prior nicht wehren: die gelehrten Traditionen des Ordens! Wo es nun galt, den aufgezäumten Dünkel vorzureiten und das ersessene Latein an den Mann zu bringen, verzog Diebold hinter der Wirtschaft: Der gefürstete Abt zu St. Gallen möchte es übel vermerken, wenn er, der Prior, und nicht der Fürstabt von Einsiedeln selbst schriebe. Ein Pfleger sei unwürdig, in St. Gallen geheime Winke zu erteilen. Die geheimen Winke! Glossenweis könnten sie von ihm am Briefrand erledigt werden! Dann möchte man in St. Gallen den Unterschied am Stil bemerken. Dort sähe man auf Stil. Da saß der Hieb. Die sollten ihren Stil vollem, als säßen sie bei gebratenen Pfauen mit Pfeffersauce und käuten Portulak dazu! Er war ein Mann von schlichten Sitten: Kuonrad von Rackeiberg.

      Gestern hatte der Prior den Hilfsschreiber geschickt, das Schreibzeug instand zu setzen. Gut, das war angeordnet. Dann kam er selber nachsehen, ob alles wohlbereitet sei, und brachte zwei Buch Papier. Es sei Baseler auf spanische Art. Abt Konrad hätte es dem Prior gern an den Kopf geworfen. Seit der Mette ging er vom Schreibpult zur Tür hin und wieder. Er fegte eine Straße in das frisch aufgestreute Reisig.

      Er stand noch in gesunden Säften, brach in die Fünfziger ein, als läge dort der Schatz der Jugend verborgen. Das römische Erbrecht, fidei commissum, der Teufel hats über die Alpen geworfen, und der deutsche Adel duckt sich drunter, um Familie zu halten, denn die Zeit frißt den Adel an – das fremde Recht hatte ihm den Ring an die Hand gezwungen. Sonst schlügen seine Pulse nicht durch Cuculla und Tunica, und er trüge eine natürliche Glatze.

      Unter den Eidgenossen hielt er es noch am leidlichsten aus, obwohl er fluchte. Die Eidgenossen wehrten sich gegen das römische Recht, sie konnten freudige Kerle bleiben. Er war unterlegen, Kuonrad von Rackeiberg. Übrigens der Giel zu St. Gallen ist stets ein Mann von Herz gewesen. Und dort vom Bodensee einwärts in den Appenzeller Bergen warteten die Holzhaufen der Höhenfeuer auf den Brand, die Hände lagen an den Glockenstricken. Der Kaiser Max soll nur die Eidgenossen in den römischen Rechtssack zwingen wollen! Die werden stürmen, und er, von Rackeiberg, wird seine Gottshausleute nicht halten. Ist nur erst der Engelweihtanz vorüber und wieder Ruh und Fried für sieben Jahr.

      Aber das wäre bestenfalls Politik. Er sollte Briefe schreiben. Nicht allein nach St. Gallen. Nach Schaffhausen, Pfäfers, Weilheim, Blaubeuren, Ochsenhausen, Ensdorf, überall hin, wo Zeit und Wege günstig schienen und die Regel des hl. Benedikt galt, damit der Beichtpfennig hübsch im Orden bleibe. Auch nach Fulda und Reichenau, dort hielten sie desgleichen gelehrte Traditionen, und auch dorthin mußte sein Latein. Desgleichen ans Mutterhaus nach Neapel der italischen Pilger wegen und über Basel nach Cluny der Franzosen halber. Zur letzten großen Engelweih hatte er vierhundert Beichtväter auf geboten, und es war Mangel gewesen: über hundertfünfzigtausend Pilger. Weiß Gott, ein Fähnlein schwyzer Fußvolk stünde ihm besser an! Aber die brauchten keinen vom angenagten deutschen Adel, den das römische Recht erhalten muß.

      Der Abt besah das Schreibzeug. Etliche Kalmusrohre, einige Gansfedern, alle fein geschnitten, fügsam und weich, wenn man sie am Daumennagel probierte. In den Nagelfalten saß noch ein wenig braunes Blut. Der Abt schleuderte die Feder aufs Papier. Aber sie sank sanft nieder, das ärgerte ihn: die Wucht brach an dem allzu leichten Gewicht der Gansfeder. Er trat ans Fenster, öffnete den Ausguck, starrte in die Dämmerung und leckte am Daumennagel.

      Vorgestern noch: sein letzter Hirsch. Das Jahr stand sechs Tage vor Mai. Sein Pferd hatte er bei den Frauen in der Au eingestellt und war mit den Bracken gepirscht. Der Wind kam von Süden. Er wußte, daß ein Gutgeschränkter unter dem Haggeneck wechselte. Er hatte ihn für diesen Abend aufgespart. Von ihm kam der Blutrest.

      Der Winter war mild gewesen. Die Tiere trennten sich bereits vom Rudel … aber in die erste Brunst fiel die Engelweihe! Da kommen sie mit Kerzen und Fahnen, endlos. Je näher desto unersättlicher in ihrem heiseren Geplärre. Der Wechsel am Haggeneck wird wieder verdorben sein, Kuonrad von Rackeiberg wird bis an die Mythen müssen, das vergrämte Wild zu finden.

      Die Briefe! Der Giel zu St. Gallen tat es leicht mit einem flüssigen Latein und alle, alle anderen. Die hatten ihr wohlbesetztes Skriptorium, sie brauchten nicht für die heiligen Zeiten etliche Schreiber irgend woher zu betteln. Im gnadenreichen Einsiedeln stand er, Fürstabt, Kuonrad von Rackelberg. Das versammelte Konsistorium war der Propst Diebold von Geroldseck und sah auf gelehrte Traditionen. Der Dechant, der die Klosterzucht bestreitet, blieb wieder er. Der Pater cellarius hieß Diebold von Geroldseck. Einsiedeln hat an ihn kommen müssen, da man es verlottert und ausgesogen hatte. Keiner biß an und wollte in die Einöde; auch die Jagd war anderweitig besser. Die vier Schwesternhäuser? Kaum mehr der Rede wert, einzig das in der Au. Und dort flog selten ein frisches Leben zu. – Als vom Hans Waldmann, der gehürnten Zuchtpauken in Zürich, das Frauenmünster durchfegt worden war, sind etliche verscheuchte Täublein über den See heraufgeflattert. Ansprüche haben sie gemacht. Im Stift waren sie damals noch ihrer fünf gewesen, der Krachwadei Dekan Engelbert hat nicht mehr gezählt. Sie hatten zu tun bei den sieben hergescheuchten Frauenmünstlerinnen. Doch sind alle fünf in Feistzeit gestanden, taugliche Beichtiger, obgleich sie nach den ersten hitzigen Wochen ausgesehen haben wie der Hirsch im November. Nur die Roswitha hat sich gehalten. Die war kein Strohfeuer. Aber jetzt auch nur ihre eigene Glut, gehegte Glut – ein dutzend Jahre. Inzwischen ist der Diebold gekommen, und in den sind nunmehr die gelehrten Traditionen gefahren. Die andern sind abgefallen. Den Bastian haben die Franzosenblattern gefressen, der Reinhard ist am Sumpffieber verendet, der Benno tut Buße. Der Ambrosi hat einen hohen Protektor und sitzt in Mainz. Der Engelbert hat nicht gezählt, der war schon eine halbe Leiche.

      Abt Konrad sah über das Moor hin. Mühselig kämpfte der erste Tag mit den Schatten, die im weiten, grauen Nebel verstrickt lagen und nicht weichen wollten. Durch den offenen Gucker strömte der feuchte Frühhauch herein und netzte wohltuend das Gesicht. Der Brühl lag leer, die Rinder brüllten noch im Stalle. Aber der Hof war laut vom Diebold und seinen Leuten. Die Öfen wurden angeschürt, die Rauchfänge dunsteten von der feuchtgewordenen Kohle des Narren Baltisar. Diebold goß Zeichen aus Blei, Kupfer, Messing. Zwei Münzmeister, aus Zürich einer, der andere von St. Gallen, standen mit ihren Knechten seit einer Woche im Futter und guten Lohn des Stifts. Von dem gemünzten Zeug wurde etliches versilbert, daß es hübsch und gediegen glitzerte. Der Diebold goß kleine Arme, Beine, Augen, Herzen, Köpfe, Frauenbrüstlein aus rotem, gelbem, blauem Wachs. Meist aus rotem, doch gab es etliche Fromme, die mehr von der blauen und gelben Farbe hielten. Jedem nach seinem Glauben. Gesegnet sei eine trächtige Dummheit, wenn sie nur rechtzeitig niederkommt. Nachher schmolz alles wieder in demselben Tiegel zusammen. Der Diebold zog Lichter nach allen Größen und Gewichten. – War dann der Kram im Wechselschuppen aufgespeichtert, schwang er, Kuonrad von Rackeiberg, Fürstabt, den Weihwedel drüber, und die Schulden des Stiftes, die Völlerei der vierzehn Engelweihtage waren bezahlt. Dann galten die gelehrten Traditionen des Ordens.

      Der Abt schlug das Guckfensterchen zu, daß die Butzen klapperten. Er trat an das vierbeinige Schreibpult, auf dem des Lämpchens Schein noch sieghaft dem Morgen widerstand. Er tauchte eine Feder ins Tintenhorn, spritzte sie weithin aus und schrieb. Zunächst nur den Entwurf. Er gedachte später des Reuchlin Vocabularius Breviloquus von Diebold auszuleihen und des Jakob Wimpfeling Elegantiarum Medulla, damit er vor den spottlustigen Augen derer zu St. Gallen, Fulda, Reichenau bestehen könne – des törichten Geredes wegen, um ihnen keinen Fallstrick des gelehrten Hochmutes zu drehen – seinetwegen gewiß nicht. Er war ein Mann von schlichten Sitten, Kuonrad von Rackeiberg.

      Er schrieb:

      „Min fründlich und allzit willig Dienst, Liebs und Guts dem hochgeboren, führnehmlich gottwohlgefälligen und der hl.