The problems were predictable, and, as always happens, they looked their most formidable on file – muddling through is not an option ever advocated in briefing folders.
Chris Patten: East and West.
Kein Mensch wollte sich ändern, auch Harry nicht. Er redete lieber darüber. Und weil er so viel darüber redete und dabei auch viel Gescheites, das er sich angelesen hatte, von sich gab, merkte er meist gar nicht, dass er sich genauso verhielt wie alle anderen auch. Allerdings mit einem Unterschied, beruhigte er sich sofort: Ich weiss es! Ich habe darüber nachgedacht! Und das ist schon wertvoll an sich und ganz besonders angesichts der vielen ausschliesslich von Impulsen gesteuerten Trottel, die diesen Planeten bevölkern. Wenn nur diese blöden Zweifel nicht wären.
Es war ihm zur Gewohnheit geworden, in unregelmässigen Abständen Bücher aus dem Regal zu nehmen und für künftige Lektüre herauszulegen. Er griff zu Ionescos Tagebuch heute und gestern, gestern und heute, blätterte darin, begann zu lesen. „Diese Todesangst, die immerwährende, schnürte mir die Kehle zu. Warum habe ich immer noch Furcht vor dem Tode, wie kommt es, dass ich ihn nicht glühend herbeiwünsche?“ Und im darauf folgenden Abschnitt: „Ich habe immer versucht, an Gott zu glauben. Nicht naiv, nicht subtil genug. Gewissermassen eine metaphysische Unzulänglichkeit. Doch ich habe noch nicht alle Brücken zu Gott abgebrochen.“ Genau so empfand Harry. Er war mit siebzehn auf Eugène Ionesco gestossen, und auf Zen Buddhismus. Immer wieder, in ganz unregelmässigen Abständen, war er zu diesen beiden zurückgekehrt, hatten sich Gedanken bei ihm gemeldet, die er mit diesem Rumänen in Paris und Zen-Ideen, in Verbindung brachte.
„Wir haben Angst, kein Etwas mehr zu sein, keine Identität zu haben, sich einfach im Nichts aufzulösen. Wir haben Angst, dass etwas anderes 'ist' und nicht wir“, notierte Alexander Poraj in ALLEIN. Zen oder die Überwindung der Einsamkeit. Einverstanden, und was jetzt? Innehalten, aus der Gewohnheit fallen, sich der Gegenwart hingeben. Er habe immer gemeint, schrieb Masaoka Shiki kurz vor seinem Tod, das Erwachen, von dem im Zen-Buddhismus die Rede ist, bedeute, mit Gleichmut zu sterben. „Welch ein Irrtum: Erwachen bedeutet, mit Gleichmut zu leben.“ Möglicherweise war das auch ein gutes Rezept gegen die eher düstere Erkenntnis in Richard Flanagans Der Erzähler: „Die Leute haben keine Angst vor dem Tod, Kif, sagte er. Sie fürchten das Leben. Sie fürchten sich davor, im Augenblick des Sterbens einsehen zu müssen, dass sie nie gelebt haben. Der Tod führt uns unser Versagen vor Augen: Niemand hat so gelebt, wie er hätte leben sollen.“
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Am Flughafen in Zürich. Die Frau auf dem Sitz neben ihm, las in einem 'Kindle'. Was sie lese? Phillip Roth, I married a communist, erwiderte die Frau. Es war eines der wenigen von Roths Büchern, die er gelesen hatte. An den Inhalt erinnerte er sich jedoch nicht. Das ging ihm bei den meisten Büchern so. Balzacs Verlorene Illusionen hatte er mindestens zwei Mal gelesen, ohne Erinnerung an den Inhalt oder spezifische Szenen. Beide standen mit eigenhändigen Anmerkungen versehen nebeneinander im Regal. In jungen Jahren hatte er geglaubt, man lese, um sich zu bilden, doch was, wenn man kaum etwas von dem vielen Gelesenen abrufen konnte?
Sie sei pensionierte Anglistin, sagte die Frau, und habe viele Roth-Bücher gelesen. Welches sie ihm empfehlen würde? Schwer zu sagen, sie habe so ihre liebe Mühe mit Roth, schätze ihn aber auch. Weil er autobiographisch schreibe? Nein, nein, nicht alles sei autobiographisch, das liesse sich durchaus unterscheiden. Die Frau hatte offenbar eine andere Vorstellung von Autobiographischem als Harry, für den alles, wirklich alles, autobiographisch war. Wie hätte es auch anders sein können? Bei allem, was man sagte oder schrieb, gab man immer nur Auskunft über sich selber. Wie man etwas wahrnahm und beurteilte. Etwas anderes war gar nicht möglich, schliesslich kannte man nur sich selber, wenn auch höchst unvollständig.
Die Frau sah das anders und zwar so, wie sie es studiert hatte. Wenn man auf Ereignisse in seinem Leben Bezug nimmt, ist das doch nicht mit dem zu vergleichen, was man sich ausdenkt, sagte sie. Schon, erwiderte Harry, doch beides existiert in diesem Moment nur im Kopf und etwas anderes als diesen Moment können wir doch nicht erleben. Die Dinge so zu betrachten, bedeute, jegliche Form der Kommunikation zu verweigern, gab sie ungehalten zurück. Nicht jegliche, nur Ihre.
Als Hemingway in Paris Fiesta schrieb, setzte er sich jeden Morgen vor seine Schreibmaschine, platzierte seine Finger über die Tasten, schaute gen Himmel und sagte: Tu peux venir. Sie war nicht beeindruckt. „Ach, der Hemingway, der sagte viel.“ Er fühlte sich bemüssigt, darauf hinzuweisen, die Geschichte habe er von Cormac McCarthy gehört, was sie mit „Drei Bücher habe ich von ihm gelesen“ konterte. Harry, der weder den Zusammenhang verstand noch Lust auf einen Wettbewerb, verabschiedete sich und eilte viel zu früh zum Gate.
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Nachdem er unter dem Bett etwas Ordnung geschaffen hatte – drei Ordner anders verstaut – , nahm er sich ein Regal vor, auf dem vor langer Zeit geschriebene Texte lagerten. Er guckte mal hier, mal dort rein, blätterte oft ungeduldig weiter, blieb gelegentlich hängen, las sich fest. Und kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Zwar sagte er oft, wenn er alle seine Gefühle auf ein einziges reduzieren müsste, wäre das ganz klar die Angst. Doch dass er jetzt in Aufzeichnungen von vor fünfundzwanzig Jahren auf Passagen stiess über genau dieselben Angstgefühle, unter denen er noch heute litt, das haute ihn um. Gab es denn da gar keine Entwicklung? Waren all die Bücher, die er in den Jahren seither gelesen hatte, waren all die Einsichten, die er dabei gewonnen hatte, für die Katz? Hatte er sich denn emotional überhaupt nicht bewegt?
Im Zug von Zürich nach Innsbruck (er war dort gezeugt worden und hielt es für irgendwie bedeutungsvoll, wieder einmal hin zu fahren – er spürte dann allerdings nichts Spezielles vor Ort) war er auf eine Bekannte aus dem Gymnasium getroffen, die er schon damals gemocht und lange Zeit nicht mehr gesprochen hatte. Er sei gerade an einem Buch, erzählte er ihr ganz begeistert, bei dem er absolut kein Blatt vor den Mund nehmen, sondern direkt, klar und pointiert schreiben werde, was er wirklich denke. Ohne Rücksichten und ohne diese lähmende Selbstzensur, die stets abzuwürgen drohe, was raus gehörte. Die Bekannte hörte aufmerksam zu, und brach, als er geendet hatte, in fröhliches Lachen aus. „Aber du warst doch schon immer so!“
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„Joshua Trump hasst seinen Nachnamen“ lautete der Titel im 'Tagesanzeiger'. Darunter der Vorspann: „Für die Schule verwendet der Sechstklässler den Nachnamen seiner Mutter. Der Präsident hat Mitleid und lädt ihn ein zu seiner Rede zur Lage der Nation.“ Trump, der noch nie, von absolut gar niemandem, mit Mitleid in Verbindung gebracht worden ist? Und dann soll der arme Bub noch mit einer vorgelesenen Rede bestraft werden! Glaubt ausser diesen Tagesanzeiger-Trotteln, die offenbar die Presse-Info des Weissen Hauses abgeschrieben haben, wirklich jemand im Ernst diesen rührseligen PR-Quatsch?
Ein Bild von Mark Zuckerberg in der 'FAZ': Was ist das bloss für eine komische Welt, in der so ein Milchbubi einen derartigen Einfluss haben kann? Wieso sind wir so blöd und akzeptieren das?
Die Macht der Medien besteht im Agenda-Setting, also darin, den Medienkonsumenten zu sagen, worauf sie ihre Aufmerksamkeit richten sollen. Nur dass Harry das Interesse für das fehlte, womit sich Journalisten beschäftigen. Weder interessierten in die Wahlen in den Schweizer Bundesrat (Wer um Himmels Willen, wollte bloss Bundesrätin werden? Ein Leben diktiert vom Kalender und einer Öffentlichkeit, der man eh nichts recht machen konnte) noch die neuesten Enthüllungen über Korruption im Fussball (Er war selber einmal ein begeisterter Fussballspieler gewesen, verstand jedoch nicht, weshalb Funktionäre überhaupt Geld kriegen sollten. Für was bloss?). Das waren Themen, die mit seinem Leben so ziemlich überhaupt gar nichts zu tun haben und auf die er nicht im geringsten neugierig war. Anders gesagt: Darüber musste er nun wirklich nichts wissen, darüber wollte er auch gar nichts wissen. Und nicht zuletzt: Er verstand gar nicht, dass man sich dafür interessieren konnte.
Das war nicht immer so gewesen. Ihn hatten Journalisten einmal begeistert, so sehr, dass er, als er in Buchverlagen arbeitete, eine Journalismus-Buchreihe initiiert und herausgegeben hatte, mit damals bekannten, vorwiegend deutschen Autoren. Vielleicht lag es ja auch an seinem Alter, dass er mit den Themen, die Journalisten beschäftigten („Berset telefoniert