Neo Tell

Der Schneeball


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      Neo Tell

      Der Schneeball

      Ein Wirtschaftskriminalroman

      Imprint

      Der Schneeball

       Neo Tell

       Copyright: © 2016 Neo Tell

       published by: epubli GmbH, Berlin

       www.epubli.de ISBN 978-3-7375-9414-1

      Wichtiger Hinweis an den Leser

      Die folgende Geschichte und ihre Protagonisten sind frei erfunden. Gleichwohl spielt sie vor dem Hintergrund der Finanzkrise und bisweilen tauchen in ihr Figuren auf, welche trotz anderslautender Namen an weniger rühmliche reale Akteure in diesem oder einem anderen Zusammenhang erinnern mögen. Dies konnte nach Ansicht des Autors dort nicht vermieden werden, wo einzelne Persönlichkeiten über Jahrzehnte beispielsweise eine bestimmte Branche (Finanzvertrieb in Deutschland), einen internationalen Sportverband (FIFA) oder eine Rennserie (Formel 1) in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit derart dominiert haben, dass ihre literarischen Pendants gänzlich unglaubhaft wirken würden, wenn sie nicht zumindest mit einem Teil der biografischen und charakterlichen Merkmale der realen Vorbilder ausgestattet wären. Insofern bedient sich der Autor also im Interesse möglichst realistischer Belletristik der Faktion, das heißt der Verknüpfung von Fakt und Fiktion. Ausdrücklich darauf hingewiesen sei aber, dass nur insoweit eine Anleihe bei der Wirklichkeit gemacht wird, als die Fakten unumstößlich auf dem Tisch liegen; der Rest ist allein des Autors Geistes Kind.

      Prolog

      London, Kensington Palace Gardens, Boulevard of Billionaires, teuerste Wohnstraße Englands, vielleicht sogar der Welt.

      Alexander Büsking stand auf seinem zur Allee blickenden Balkon, den ein Portikus aus dorischen Säulen trug. An der Balustrade klaffte noch das kunterbunte Wappen der Demokratischen Bundesrepublik Nepal. Büsking hatte das fürstliche Herrenhaus im neoklassizistischen Stil vor anderthalb Jahren dem nepalesischen Botschafter für 18 Millionen Pfund abgekauft – ein Schnapperl, wie er fand, belief sich der durchschnittliche Villenpreis an der 800 Meter langen Milliardärszeile doch zurzeit auf gut 20 Millionen Pfund.

      Ein kalter Dezemberwind peitschte dem deutschen Finanzjongleur in der Morgendämmerung unablässig Nieselregen ins Gesicht. Er scannte mit seinen hinter der dicken Hornbrille unruhig hin und her springenden Habichtsaugen das Chaos auf seinem Grundstück.

      Armageddon. Es sah aus, als ob ein paar Halunken rund 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch einmal von Pas-de-Calais aus eine Batterie von Wernher von Brauns V2-Raketen in Richtung der britischen Hauptstadt abgeschossen hätten – und diese sämtlich ausgerechnet bei ihm zuhause eingeschlagen wären.

      Dort, wo normalerweise die Autos um einen spätbarocken Springbrunnen vorfuhren, welcher der römischen Fontana di Trevi mühelos hatte Konkurrenz machen können, befand sich jetzt ein 12 Meter tiefer Krater. Aus den Untergeschossen des ehemaligen Botschaftsgebäudes transportierten Förderbänder steinige Erde nach oben, die von zahlreichen Arbeitern in Schubkarren verladen und weggeschafft wurde.

      Der Bauleiter der Unterkellerungs-Firma London Basement stand neben ihm auf dem Balkon. Es war der 27. Dezember. Auch zwischen den Jahren wurde gearbeitet. Ungefähr 1500 Lkw-Fuhren, so hatte der Mann ihm soeben mit einem schelmischen Lächeln verraten, würden nötig sein, bis genügend Erdreich ausgehoben war, um aus seiner Premiumimmobilie auch noch ein veritables Eisberg-Haus zu zaubern. Jetzt verlangte er von Büsking eine weitere Vorauszahlung. Ca. zwei Millionen Pfund für den nächsten Bauabschnitt.

      Büsking bat ihn, ihm zu folgen. Sie gingen durch eine weit geöffnete Flügeltür hinein. Ein langer Flur, der mit natur-romantischen Ölgemälden von William Turner ausstaffiert war, welche Büsking vor Kurzem bei Sotheby’s ersteigert hatte, führte zu seinem Arbeitszimmer.

      Anfangs waren seine Pläne noch ganz bescheiden gewesen. Bei einem befreundeten Investmentbanker, von dem er vor einiger Zeit zwecks einer Château Margaux-Vertikaldegustation in sein Brownstone-Townhouse in der Nähe des Chelseaer Sloane Squares eingeladen worden war, hatte Büsking zum ersten Mal ein Eisberg-Haus zu Gesicht bekommen. Der gebürtige Argentinier, Sohn einer der größten Rinderbarone der Pampa und Leiter des Mergers-&-Acquisitions-Geschäfts im Londoner Büro einer französischen Großbank, hatte sich im Wege einer Unterkellerung Platz für einen Weinkeller, einen Golfsimulator, eine Sauna, einen Massageraum, einen Heimkinosaal sowie ein Spiel- und Tobezimmer für seine vier Kinder geschaffen. Ähnlich dezent wollte zu diesem Zeitpunkt auch Büsking noch vorgehen.

      Allenfalls hatte er damals neben derartigen Annehmlichkeiten an eine unterirdische Garage für seine Sammlung von Ferrari-Oldtimern gedacht. Denn der Mittfünfziger hatte sich seit seinem 29. Geburtstag jedes Jahr, nachdem die Boni ausgezahlt worden waren, davon einen feuerroten Vintage-Boliden gegönnt. Er liebte dieses Ritual und inzwischen war mithin schon ein respektabler Fuhrpark zusammengekommen.

      Doch dann weckte die plötzlich über London gekommene Iceberg-Home-Manie allmählich seinen Ehrgeiz. Überall in Westlondon, wo An- und Ausbauten der in georgianischer, viktorianischer und edwardischer Zeit entstandenen Häuser nicht erlaubt waren, baute man ganze Luxuspaläste in die Erde: in Chelsea, in Knightsbridge, in Kensington, in Notting Hill, in Mayfair, in Belgravia, in Westminster. Flächenmäßig überstiegen diese den überirdischen Teil der Gebäude nicht selten bei Weitem.

      Und überall, wo das Portemonnaie ordentlich gefüllt und die Großmannssucht hinreichend hypertroph war, kannte der Erfindungsreichtum keine Grenzen. Unter den Extravaganzen, die sich die nach London in Scharen strömenden Superreichen des Erdkreises für ihre dekadenten Katakomben einfallen ließen, hatte Büsking unter anderem imponiert: der unterirdische Tennisplatz eines durch den IPO seiner Maklerfirma reich gewordenen englischen Immobilienvermarkters, das Below-Ground-Basketballfeld eines in die Jahre gekommenen irischen Rockstars sowie die Unter-Null-Bowlingbahn eines deutschen Industriellen.

      Genüsslich hatte Büsking kürzlich über eine Labour-Abgeordnete gelesen, die in ihrem Wahlkreis Westminster in den Keller eines Eisberg-Hauses hinabgestiegen war und sich an das Deck eines Flugzeugträgers versetzt gefühlt hatte. Besonders gefiel ihm auch die Tatkraft eines texanischen Bankiers, der vier Geschosse tief hatte in die Erde bauen lassen, damit sein Untertage-Schwimmbad mit einem Dreimeter-Sprungbrett ausgestattet werden konnte. Sein Favorit aber war der gigantische Underground-Pool eines kanadischen Medienmoguls, dessen Boden auf Knopfdruck automatisch hochfuhr, um sich im Handumdrehen in einen repräsentativen Ballsaal zu verwandeln. Letzteres deshalb, weil es den passionierten Cineasten Büsking immer an eine der finalen Szenen in dem James Bond-Film Goldeneye erinnerte, in der aus einem kubanischen Bergsee das Wasser so lange abläuft, bis eine riesige Satellitenschüssel zum Vorschein kommt.

      Er hatte angesichts derartig bombastischen Pomps nicht zurückzustehen vermocht. Schließlich wohnte Büsking in unmittelbarer Nachbarschaft zum britischen Thronfolger im Kensington Palace; ein paar Steinwürfe weiter auf der für den Durchgangsverkehr gesperrten, schwer bewachten Kensington Palace Gardens residierte die saudische Königsfamilie; außerdem hatte der Sultan von Brunei hier seine Londoner Residenz, durch deren sämtliche Fenster goldene Lüster zu sehen waren; des Weiteren zählten zu den illustren Anwohnern der ukrainisch-russische Oligarch Leonard Blavatnik sowie der gebürtige Inder und Stahl-Baron Lakshmi Mittal, seines Zeichens Großbritanniens reichster Mann, welcher seine erste (weitere Zukäufe folgten) Kensington Palace Gardens-Immobilie – nunmehr „Taj Mittal“ genannt – im Jahr 2004 für 57 Millionen Pfund von Bernie Ecclestone erworben hatte; und während der blasierte französische Botschafter sich noch nie dazu hatte herablassen können, Büsking auf der Straße zu grüßen, taten dies unter den dort wohnhaften Botschaftern etlicher anderer Nationen der japanische und russische es erst seit jenem Zeitpunkt nicht mehr, als Büsking trotz ihres Protests mit dem lärmenden Bauprojekt auf seiner Parzelle begonnen hatte.

      Büsking selbst dünkte sich als ein Alphatier mindestens vom majestätischen Format seiner Nachbarn. Und als diese ihre Häuser erdwärts zu erweitern begannen, ließ eine Mischung aus Wettbewerbsgeist und Neid seine ursprünglichen Ausbaupläne