Neo Tell

Der Schneeball


Скачать книгу

neuen Kellerquadratmetern zu deren standesgemäßer Beherbergung angelangt, was bei einem Quadratmeterpreis von 6800 Pfund insgesamt 13.600.000 Pfund Sterling machte – allein für den Rohbau versteht sich. Die verschwenderische Inneneinrichtung und zahllosen coolen, als Füllmasse intendierten Gadgets noch nicht eingerechnet!

      Hinter seinem massiven Schreibtisch angekommen, wischte sich Büsking die nassen Brillengläser sauber. Er bat seinen Gast von London Basement, sich auf dem Chesterfield Sofa gegenüber niederzulassen. Die raumhohen Walnussholzregale ringsum ächzten unter der Last tausender antiker Bücher, die von Büsking noch nie aufgeschlagen worden waren und in die er auch niemals einen Blick zu werfen beabsichtigte.

      Büsking öffnete sein Online-Account bei Flash Capital, jenem Fondsunternehmen, bei dem er den größten Teil seines liquiden Vermögens investiert hatte.

      Auf einmal erschrak er. Eine Ganzkörpergänsehaut machte alsbald kaltem Schweiß Platz. Das konnte einfach nicht sein. Der Kontostand von Alexander Büsking bei Flash Capital betrug null. Statt seines dort eigentlich vermuteten Guthabens von inzwischen rund 27.000.000 Euro fand sich in dem Account bloß eine Nachricht, auf die er sich beim besten Willen keinen Reim machen konnte:

       Das gellende Lachen verstummte zumal;

       Es wurde leichenstill im Saal.

       Und sieh! und sieh! an weißer Wand

       Da kam’s hervor wie Menschenhand;

       Und schrieb, und schrieb an weißer Wand

       Buchstaben von Feuer und schrieb und schwand.

       Der König stieren Blicks da saß,

       Mit schlotternden Knien und totenblass.

       Die Magier kamen, doch keiner verstand

       Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.

       Belsazar aber ward in selber Nacht

       Von seinen Knechten umgebracht.

      Kampen auf Sylt, Hobookenweg, exklusivste Straße der Bundesrepublik, das deutsche Pendant zu Kensington Palace Gardens. Kaufpreis pro Quadratmeter Wohnfläche im aktuellen Marktumfeld: immerhin um die 35.000 Euro.

      Kaum eine Stunde bevor Alexander Büsking in die Verlegenheit kam, London Basement um einen Zahlungsaufschub beten zu müssen, hatte sein Freund Fiete Peters sich die neonfarbenen Joggingschuhe in der Diele seines reetgedeckten Wochenendhauses zugeschnürt. Draußen war es zu diesem Zeitpunkt noch stockdunkel gewesen. Seine bezaubernde dritte Frau Nele hatte sich genauso noch im Tiefschlaf befunden wie die fünfjährige Emma und die dreijährige Julia.

      Der Hobookenweg lag an der Wattseite der auf dieser Höhe nicht viel mehr als einen Kilometer breiten Insel. Als Peters von dort Richtung westlicher Meerseite durch das noch schlummernde Kampen joggte, erinnerte ihn die Szenerie an J. R. R. Tolkiens fiktiven Literaturort Auenland.

      Die sanft geschwungenen Dächer aus Reet schützten im nordisch-insularen Kapitänshaus-Baustil errichtete, in ihrer Gedrungenheit extrem gemütlich wirkende Backsteindomizile vor Wind und Wetter. Peters hätte es ganz und gar nicht überrascht, wenn sogleich eine Kolonie von drolligen Märchengestalten aus den geduckten Behausungen entstiegen wäre und geschäftig den Tag begonnen hätte.

      Auf den immensen Reichtum, der sich hier konzentrierte, deuteten allenfalls die in den Einfahrten allerorten parkenden Luxuskarosserien hin, welche zwischen den perfekt getrimmten Hecken bling-blingten.

      Die Morgendämmerung setzte ein, während Peters einen Trampelpfad durch die Dünen nahm. An der höchsten Stelle angekommen stellte er dankbar fest, dass der Wind von Norden her blies. Aber auch bei Gegenwind wäre er den Strand am Roten Kliff entlang zum südlichen Ende der Insel gelaufen.

      Allmählich ging die Sonne auf. Ein wunderbarer klarer kalter Wintermorgen kündigte sich an. Die Brandung ging leicht. Der Rückenwind beschleunigte seine Schritte auf dem schmalen nassen Strandabschnitt, den die einsetzende Ebbe bereits hinterlassen hatte. Indessen man in dem trockenen Sand weiter oben zu tief einsackte, eignete sich die relativ harte Bodenbeschaffenheit hier ausgesprochen gut zum Laufen. Keine drei Meter von ihm liebkosten die vorsichtig züngelnden Wellen der Nordsee das Land. Muschelschalen knackten jedes Mal, wenn er mit seinen Füßen aufsetzte.

      Peters liebte sich und sein fabelhaftes Leben. Gestern noch hatte er einen zweistrahligen Privatjet für 63 Millionen US-Dollar bestellt. Eine Gulfstream G650. 12.964 Kilometer Reichweite. Mit einer Maximalgeschwindigkeit von Mach 0,925 war es das schnellste seiner Klasse. Damit spielte er in der Champions League.

      Seit er als mittelloser junger Mann in John Grishams Romanen gelesen hatte, wie die dort durch Sammelklagen in den USA unvorstellbar reich gewordenen Anwälte sich derartige Trophäen leisteten, hatte er sich ein solches Luxusflugzeug gewünscht. Und als ob der Reeder und Initiator zahlreicher Schiffsfonds sich damit noch nicht genug Gutes getan hätte, wartete in den Dünen vor Wenningstedt-Braderup nun noch eine Belohnung ganz besonderer Art auf ihn.

      Er bog nach links ab und steuerte auf eine kleine Bretterbude zu. Als Jenny Dumbkowski ihn erkannte, rief sie sofort sehnsuchtsvoll:

      „Fieetä, Fieeetää, Morschn!“

      Peters hatte die dreiundzwanzigjährige gebürtige Dresdnerin in der letzten Staffel der RTL-Fernsehserie „Der Bachelor“ entdeckt. Die platinblonde, 1,81 Meter große Sächsin war damals unter die letzten drei Kandidatinnen gekommen. Während eines Flirts mit dem braungebrannten „Bachelor“ im Whirlpool hatte die vollbusige Nixe herrlich affektiert von ihrem BWL-Studium in Leipzig und der angeblichen Leidenschaft für Wirtschaftsfragen parliert.

      Er rief sie sofort nach Ausstrahlung der Sendung an. Es waren weniger ihre guten Noten als vielmehr ihre optischen Vorzüge, die ihn dazu bewegten, ihr ein Bruttojahresgehalt in Höhe von 96.000 Euro für den Job der Assistenz der Geschäftsleitung zu zahlen. Oder besser gesagt: Für ihre Dienste als seine Kurtisane – er liebte die Bezeichnung „cortigiana“, kam ihm seine Geilheit dann doch immer wie diejenige eines venezianischen Renaissance-Kaufmanns vor, was ihm die Fremdvögelei als etwas durch und durch Ehrbares erscheinen ließ.

      „Fieetä, isch muss der edwäsch zeischn.“

      „Schhhhhhh.“

      Peters ließ sie nicht zu Wort kommen, bevor er das lodernde Feuer zwischen seinen Lenden gelöscht hatte. Er konnte seine verkommenen Finger einfach nicht von ihr lassen. Trotz der klirrenden Kälte – und des für einen Hanseaten gewöhnungsbedürftigen Dialekts – riss er ihr die Kleider vom zitternden Leib.

      Sein allmorgendliches Joggingritual war der einzige plausible Vorwand, um vor seiner Familie die Abwesenheit zu rechtfertigen, die das plumpe Schäferstündchen mit seiner verboten heißen Assistentin nun mal verlangte. Zu nachtschlafender Zeit hatte er seine Bettgespielin heute mit seiner Cessna Citation X aus Hamburg einfliegen lassen (die Cessna nahm sich – gebraucht gekauft und mit 15 Flugjahren auf dem Buckel – im Vergleich zu der Gulfstream geradezu wie sozialer Wohnungsbau in der Luft aus). Seine Crew bestach er mit gelegentlichen Gefälligkeiten, damit sie seine Seitensprünge geheim hielt. Bisher hatte das noch immer funktioniert. Außerdem wusste er, dass auf dem Dünenwanderweg, an dem dieser abgelegene Holzverschlag den Passanten Unterschlupf vor einem plötzlichen Regenschauer bieten sollte, nur selten jemand vorbeikam, zumal zu dieser Uhrzeit.

      Nach dem ruppigen Sex hing jeder für eine kurze Weile seinen eigenen Gedanken nach. Die Strahlen der Morgensonne fielen in einem solch schrägen Winkel auf die Insel, dass das Dünengras in Flammen zu stehen schien. Peters, der alles durch das Prisma seiner abklingenden Geilheit sah, wähnte sich in einem erbarmungslosen Fegefeuer. Dumbkowski blinzelte, als sie ihm ihr iPhone reichte und noch immer ganz außer Atem sagte:

      „Isch wolld es der schön de gansche Zeit zeischn, abar du haschd mer ja nischd de gerinschde Schanzä gelaschn.“

      Sie lachte anzüglich. Dann sächselte sie fort:

      „Den