scheinen sehr krank zu sein, ich bin kein Arzt…”, Vanessas Stimme zitterte immer noch leicht und sie zuckte hilflos die Schultern. Es schien fast so als würden die Worte eine zentnerschwere Last von dem Mann nehmen, sie konnte quasi sehen, wie die verkrampften Muskeln sich etwas entspannten.
„Ich brauche nur etwas Ruhe.” Es war nur ein erschöpftes Murmeln. Die Art wie er das sagte, die Art wie er reagiert hatte, schienen ihr Recht zu geben. Sie hatte die richtige Wahl getroffen. Es war seine Entscheidung, nicht ihre und sie würde sich nicht anmaßen über irgendjemand anderen zu bestimmen.
„Meinen Sie, sie schaffen es rüber ins Haus?” Der Mann schien nicht recht zu glauben was er hörte, vielleicht dachte er, er würde halluzinieren. Sie hatte nicht weiter darüber nachgedacht und das wollte sie auch nicht. Es gab nicht viel von Wert in ihrem Haus, er schien nicht gewalttätig zu sein und selbst wenn er es war, war er in dem Zustand nun wirklich keine ernste Bedrohung. „Ich kann Sie schlecht in diesem Zustand hier liegen lassen. Es wimmelt hier nur so von Ratten. Es ist eiskalt und dieser Schuppen hier ist zugig und bietet quasi keinen Schutz vor der Feuchtigkeit.” Sie war selbst erstaunt, wie fest ihre Stimme plötzlich klang.
Der Blick des Mannes spiegelte dessen Verwirrung wieder. Doch in seinen Augen war auch eine Spur Skepsis und Misstrauen zu entdecken. Diesen wilden Mix an Gefühlen kannte sie nur zu gut. Anderen Menschen konnte man nun mal einfach nicht vertrauen.
Zehn Minuten später hatte sie es geschafft, den Mann die wenigen Schritte zu ihrem Haus und dort in die Stube zu bringen. Es war ihr ein Rätsel, wie sie das geschafft hatte. Der Mann war erstaunlich schwer gewesen. Zumindest hatte er sich alle Mühe gegeben ihr zu helfen. Nun saß er total erschöpft da und wartete darauf, dass sie fertig wurde die Couch umzubauen und eine Decke darüber zu legen. Auch das Glas Wasser nahm er dankbar an und leerte es.
„Legen Sie sich ruhig hin, ich werde ihnen noch einen fiebersenkenden Tee machen.” Mit diesen Worten und ohne auf eine Antwort zu warten ging sie in die Küche.
Schnell war der Tee gekocht, ein paar Brote geschmiert und das alles auf ein Tablett gepackt. Doch der Mann war währenddessen offenbar auf der Couch eingeschlafen, aber selbst im Schlaf wirkte er angespannt und unruhig. Einen Moment beobachtete sie die schlafende Gestalt. Dann holte sie von oben eine Decke, die sie über den Mann ausbreitete.
Obwohl er ganz offensichtlich total am Ende war, wachte er direkt wieder auf, doch er blickte sie nur kurz aus müden Augen an, bevor diese wieder zufielen und er wieder einschlief.
Noch einen Moment blickte sie auf den fremden Mann auf ihrer Couch hinab, bevor sie sich in die Küche zurückzog und ihn in Ruhe weiterschlafen ließ. Unentschlossen räumte sie eine Tasse in die Spülmaschine und wischte mit einem Lappen über die Oberflächen. Sie wusste nicht so recht, was sie tun sollte. Sie war aufgekratzt und ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Sie schaltete das Licht in der Küche aus und setzte sich ans Fenster, um hinaus in den Hof zu sehen.
Ihre Gefühle und Gedanken waren wirr. Unsicher darüber, ob sie nun froh sein sollte, dass der Schatten keine Einbildung gewesen war oder nicht blickte sie in die spiegelnde Scheibe. Das Glas spiegelte sie matt wieder. Ihre hellen, blauen Augen wirkten irgendwie stumpf und dunkel. Die blonden Haare, die sie zu einem losen Pferdeschwanz gebunden trug sahen in der Fensterscheibe dunkel und irgendwie dreckig aus. Ihr Gesicht wirkte ebenfalls alt und fleckig, obwohl sie wusste, dass sie mit ihren gerade einmal 22 Jahren, noch keine Altersanzeichen im Gesicht hatte. Das einzig wirklich Reale, das ihr die Fensterscheibe zeigte, war die große, tiefe Falte, die sich auf ihrer Stirn gebildet hatte. Ein Teil von ihr war immer noch erleichtert und scherte sich nicht weiter um die Probleme, die diese Realität ihr nun bescherten. Der andere Teil machte sich heftige Sorgen gerade weil es real war. Da war ein sehr realer, fremder Mann in ihrem Wohnzimmer und zu allem Überfluss wirkte er unruhig, schon beinahe wie auf der Flucht. Wie sollte man diese Panik in seinen Augen sonst interpretieren? Die Idee behagte ihr ganz und gar nicht, denn vor wem könnte man hierzulande schon auf der Flucht sein? Doch eigentlich nur vor der Polizei. Kopfschüttelnd schob sie den Gedanken beiseite, es brachte nichts ihn weiter zu verfolgen, wenn sie es täte, würde sie nur noch unruhiger werden und das würde niemandem etwas bringen. Vielleicht gab es ja auch eine ganz harmlose Erklärung, die ihr nur noch nicht eingefallen war.
Draußen wurde das Wetter rasant schlechter, immer seltener lugte der Mond durch die schweren, dunklen Wolken und der Wind gewann deutlich an Kraft. Nach fast einer Stunde entschloss sich Vanessa noch einmal nach dem fremden Mann zu sehen und danach würde sie versuchen selbst ein wenig zu schlafen.
Sie erhob sich von ihrem Stuhl und verließ die Küche, durchquerte den Flur und betrat die Stube. Zu ihrer Überraschung saß der Mann aufrecht da und schien zu lauschen. Seine Züge waren angespannt, konzentriert und er sah schon wieder aus, als würde er gleich weglaufen wollen. Seine braunen Augen richteten sich auf sie. Misstrauen war in ihnen zu sehen.
„Ich denke, es wird heute Nacht noch ein Gewitter geben, das Wetter hat sich extrem verschlechtert.” Es war der Versuch ihn etwas zu beruhigen. Wie auf ein Stichwort heulte der Wind draußen auf und ein loser Ast wurde gegen das Fenster geweht. Es klang schon teilweise ziemlich merkwürdig, wenn der Wind draußen die alten Bäume zum Knarren brachte und gegen die Fensterscheiben hämmerte. In ihrer ersten Nacht allein im Haus, hatte es auch so gestürmt, sie erinnerte sich noch sehr gut daran, dass sie kein Auge zubekommen hatte.
Doch ihre Worte schienen den Mann nicht zu beruhigen. „Trinken Sie den Tee, der wird Ihnen gut tun.” Vanessa goss ihm etwas von dem dampfenden Tee ein, der nach Salbei und Kamille roch und setzte sich auf das kurze Ende der L-förmigen Couch.
Ein wenig zögerte er, doch dann griff er nach dem Becher und trank vorsichtig davon. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen. Für einen Moment entspannten sich auch seine Gesichtszüge ein wenig, doch das hielt nicht lange an. Seine steigende Nervosität war plötzlich wieder da. Vanessa verstand nicht, was in ihm vor sich ging. Hatte er vielleicht doch irgendein krummes Ding vor?
Seine Muskeln waren angespannt und er wirkte wieder irgendwie leicht abwesend. Es war vielleicht keine so dumme Idee ihn einfach in Ruhe zu lassen, doch genau in diesem Moment erklang ein ohrenbetäubendes Schrillen. Vanessa stieß einen erschrockenen Laut aus und ihr Herz blieb einen Moment stehen bevor es losraste.
Natürlich kannte sie dieses Geräusch. Es war die alte, mechanische Klingel, die im Flur angebracht war. Dieses Ding war praktisch wenn sie oben war, doch wenn man sich im Erdgeschoss aufhielt, war diese Klingel einfach nur viel zu laut. Auch der Mann war heftig zusammengefahren und starrte Vanessa nervös an.
Vanessa packte all ihren Mut zusammen und erhob sich. Ein Blick auf die Uhr, die an der Wand hing, fachte die Wut, die in ihr aufstieg, noch an: Es war kurz vor drei Uhr morgens!
Langsam erhob sie sich. „Ich schau mal wer da ist und jage ihn zum Teufel.” Ihre Stimme bebte noch leicht und der Schreck saß ihr noch tief in den Gliedern. Je mehr der Schreck aber langsam nachließ, desto mehr stieg in dieser Zeit ihr Groll gegen den Störenfried an. Wer in aller Welt mochte morgens um drei die Dreistigkeit besitzen bei ihr zu klingeln? Kopfschüttelnd und total verärgert beeilte sie sich dann zur Tür zu kommen. Das Letzte was sie wollte war, dass diese verfluchte Klingel gleich noch einmal loslegte. Sie schaltete das Licht in der Stube reflexartig aus und trat hinaus in den Flur, von wo aus sie schon durch die Haustür mit den Glaseinsätzen jemanden stehen sehen konnte. Neben der Tür, dort wo die Treppe zum ersten Obergeschoss lag, war ein kleines Fenster, dass sie kippte um mit den nächtlichen Störenfrieden zu sprechen. Zusätzlich nahm sie das Telefon, das auf der Kommode stand und wählte die Notrufnummer; den Daumen ließ sie über dem Rufknopf verweilen. Sicher war sicher und wenn hier irgendetwas schief ging wollte sie nicht unvorbereitet sein.
„Wer sind Sie und was wollen Sie?“ Ihre Stimme klang unfreundlich, genervt und wenig begeistert. Sie hatte auch nicht vor, an dieser Tonlage noch etwas zu ändern, sollte ruhig jeder mitbekommen, wie wenig erfreut sie über diese Störung war.
„Wir sind auf der Suche nach einem entflohenem Häftling, ist Ihnen etwas Ungewöhnliches aufgefallen?“, antwortete der Mann etwas unfreundlich.
In ihren Ohren klang das, als wäre sie in einem wirklich schlechten