Dietmar Kottisch

JUSTITIAS BRUDER


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ihre Aktion aufgeregt, dass sie bei ihm eine Art Gefühlsarmut erahnte, die sie nie wahrhaben wollte. Verdrängung war es, das wusste sie; und sie ahnte auch, weshalb.

      „Wir planen etwas, um die Leute auf die elende Raffgier und zugleich auf die armen Kreaturen da unten aufmerksam zu machen.“

      „ Die Raffgier ist allgemein bekannt, die Armut da unten auch. Und ihr kommt gegen die Banker nicht an. Die sind viel zu mächtig, das weißt du.“

      „So denken die meisten. Und deswegen wird nichts getan.“

      Sie war so zornig, dass sie heftig atmen musste. „Und deswegen lassen sich zu viele Leute viel zu viel gefallen.“

      „Was genau habt ihr vor?“

      Sie hatte wieder das Gefühl, ein ganz tiefer Riss ging jetzt durch ihre 8-jährige Beziehung. Ihr wurde mit einem Mal übel. Da geht etwas verloren, was einmal schön gewesen war, dachte sie unwillkürlich. Oder sollte es nur schön sein!?

      *

       1.Tag

      Die Entführung geschah am frühen Morgen des 2. Juni, als der Himmel seine Schleusen geöffnet hatte. Eine Flut von Regen klatschte auf den Asphalt, und auf dem Bürgersteig liefen Leute mit eingezogenen Köpfen unter den Schirmen Richtung Bushaltestelle.

      Geplant war, dass Oliver und Alex mit einem Taxi zum Zielort fahren, Oliver nach Bad Homburg zu Eberts Villa, Alex nach Königstein zu Blüschs Anwesen. Nachdem sie die Banker überwältigt und zum Gehöft gefahren haben, bringen sie die beiden Edelkarossen zurück nach Frankfurt ins Parkhaus, fahren mit dem Taxi zu Olivers Wohnung, steigen in seinen VW-Polo und fahren dann zurück zu Jana ins Gehöft.

      Ebert kam aus seiner Villa, spannte den Schirm auf und hastete zum Mercedes, den er aus irgendwelchen Gründen draußen stehen gelassen hatte. Oliver wartete in dem Telefonhäuschen. Er lief dann durch den kleinen Durchgang aufs Grundstück und passte genau den Moment ab, als Ebert den Schirm im Wagen wieder schließen wollte. Er öffnete die Beifahrertüre, stieg ein und presste dem erschrockenen Mann das chloroformierte Tuch ins Gesicht. Ebert wollte schreien, aber er zuckte nur noch ein paar Mal. Oliver verfrachtete ihn auf den Beifahrersitz und schnallte ihn an. Dann fuhr er den Mercedes auf die Strasse. Durch den Regenguss achtete kaum ein Mensch auf das blitzschnelle Manöver. Die Fahrt dauerte nicht ganz eine Stunde, weil es noch stärker zu regnen begann.

      Alex wartete in Königstein auf dem Gelände von Blüsch. Plötzlich sah er eine große Gestalt aus dem Haus rennen, und durch den Regenguss konnte er nicht viel erkennen.

      Aber Blüsch war es nicht, den sah er Sekunden später aus dem Haus kommen.

      Der Banker ging in seine Garage, bei der die Türe offen war und stieg in seinen BMW. Dann fuhr er heraus, stieg wieder aus, weil das automatische Garagentor scheinbar defekt war, lief hin und schloss es mit der Hand. Er rannte zu seinem Wagen und erschrak, als jemand auf dem Fahrersitz saß. Alex drückte schnell ein chloroformiertes Tuch in Blüchs Gesicht. Der Mann war sofort im Reich der Träume und kippte zur Seite.

      Dann sprang Alex aus dem Wagen, fing Blüsch auf und manövrierte den Banker auf den Beifahrersitz.

      Dann lief er wieder um den Wagen und setzte sich erneut hinters Steuer. Diese Aktion barg ein hohes Risiko, aber auch hier achtete kaum jemand durch den strömenden Regen auf diese blitzschnelle Aktion.

      Ein paar Kilometer weiter hielt er an und schnallte den hin-und-her-wackelnden Blüsch an.

      Die beiden Wagen der Banker fuhren sie zurück nach Frankfurt und stellten sie im Parkhaus Börse in der obersten Etage ab, nachdem sie die noch immer bewusstlosen Herren auf dem Gehöft abgesetzt hatten, wo Jana sie mit Handschellen erwartete.

      Die Aktenkoffer schickten sie unüberlegter Weise per Post an die Privatadressen, was sich später als ein weitreichender Fehler herausstellen sollte. Die Parkhaus Tickets behielten sie.

      *

      Als an diesem Abend Artur Ebert nicht nach Hause kam, dachte sich seine Frau Eleonore nichts dabei. Schließlich war sie es gewohnt, dass er öfters tagelang wegblieb und ihr keine Rechenschaft ablegen wollte.

      Auch die Ehefrau von Harald Blüsch, Konstanze, sah ab Mitternacht jede halbe Stunde auf die Uhr.

      Als Harald um zwei Uhr immer noch nicht ankam, griff sie zum Telefon und weckte Eleonore, die ihr sagte, dass auch ihr Mann noch nicht zu Hause war.

      „Vielleicht haben die einen draufgemacht und sind in den Club „Red Angel“ gegangen.“

      Die beiden vereinbarten, den nächsten Tag abzuwarten und dann die Bank anzurufen.

      *

      Das Gehöft….

      Eingebettet in eine Landschaft von Obstwiesen, kleinen Gewässern und hochstämmigen Obstbäumen lag zwischen Nidderau und Hammersbach im Main-Kinzig-Kreis das einstöckige Haupthaus, das von einem alten Gehöft übrig geblieben ist. An den Hauswänden rankte der immergrüne Efeu, der einen Schutz gegen Regen und Verwitterung bot.

      Unten befanden sich zwei große Räume von je 20 Quadratmeter, eine Küche und ein WC. Im ersten Stock waren 3 kleine Zimmer und ein kleines WC, das nachträglich eingebaut wurde. Es führte nur eine Treppe nach oben. Und eine in den Keller.

      Im Dachgestühl hatten sich Fledermäuse ihr Quartier ausgesucht.

      Jana war als Teenager oft bei ihren Großeltern. Sie beobachtete die hängenden Fledermäuse im Dachgebälk mit einer Mischung aus Faszination und Angst beim Anblick der Gesichter, die wie Mäuse aussahen, beim Anblick der großen Ohren und der gewaltigen Eckzähne. Sie hörte sie, wenn sie sich durch die Laute untereinander verständigten. Der Großvater erzählte ihr, dass die nachtblinden Tiere kurze Schreie ausstießen, um durch das Echo zu wissen, wo sich Wände oder Insekten befanden. Man nannte es eine „Echoortung“.

      Außerdem haben sie ein sehr soziales Verhalten. „Was heißt das?“ fragte sie ihren Großvater. „Sie leben nur in Gruppen zusammen und haben einen engen Körperkontakt mit anderen Fledermäusen.“ Er spürte, dass sie nicht genau wusste, was das bedeutete. „Sie kuscheln sich aneinander an,“ sagte er, „sie verbrauchen dadurch wenig Energie, um ihren eigenen Körper aufzuwärmen.“

      Sie kuscheln…. Sie dachte, dass es für sie jetzt ein Fremdwort war.

      Jana hatte den Gebäudekomplex 1990 von ihren Großeltern geerbt, nachdem ihre Eltern 1988 durch einen Autounfall verunglückten. Der Hof lag ein paar Jahre brach. Ein Unternehmer hatte sich 1995 gemeldet. Er wollte dort eine Männerstriptease-Show in den umgebauten Stallungen veranstalten und rechnete sich aus, wissbegierige Damen zu Hunderten mit Bussen anzukarren. Aber die Gemeinden lehnten das Unternehmen aus „moralischen Gründen“ ab. Dann kam Jana auf die Idee, sie anderweitig zu vermarkten. Sie vermietete sie an eine Laienschauspielgruppe, die allerdings bald wieder aufhörte. Die umgebauten Stallungen fielen dann einem Brand zum Opfer, der niemals aufgeklärt wurde.

      Im Laufe der Zeit wurde das Haupthaus Treffpunkt von Liebespaaren. Jana fuhr ab und zu hinaus, um nach dem Rechten zu sehen. Sie schrubbte die Fußböden, warf herumliegende Kondome weg, putzte Fenster und beseitigte Spinnennetze.

      Jana wartete ängstlich im Wohnzimmer des Gehöftes. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf, und sie betete, dass nichts schiefging. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie tausend Tode sterben würde, wenn Oliver etwas passieren würde.

      Draußen regnete es noch immer, und wie der Wetterbericht vorher gesagt hatte, zog ein breites Regenband auch über Bad Homburg und Königstein.

      Endlich sah sie zwei Wagen auf das Gehöft zufahren und erkannte, dass es Edelkarossen waren. Zehn Minuten später öffneten Oliver und Alex die Türen und bugsierten die beiden bewusstlosen Banker aus den Autos und brachten sie ins Haus.

      Jana atmete einmal kräftig durch und warf Oliver einen glücklichen Blick zu.

      „Mir