S. N. Stone

Tief in seinem Inneren


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an öffentlichen Orten abgelegt, zwei hat er verschwinden lassen, sie wurden zufällig gefunden. Gleiches wollte er wohl auch mit der letzten machen«, antwortete Tarik.

       Er empfand es als Schändung allem, was ihm etwas bedeutete. Er sah auf das Meer hinaus und da war nichts mehr. Sie hatten ihm seine Verbindung, seine Erinnerungen geraubt. Sie hatten ihm das Gefühl genommen, sie immer wieder spüren zu können, erneut.

      Chris Layes Körper war plötzlich angespannt und ein Zittern durchfuhr ihn. Sein Blick war in die Ferne gerichtet und seine Augen glänzten fiebrig. Sein Atem ging flach.

      »Was ist los mit ihm?«, fragte Tarik.

      »Keine Ahnung. - Chris?!«

      »Sie sind ihm wichtiger, als die anderen«, flüsterte Laye.

      »Wer?«

      »Er versteckt sie, weil er zu ihnen zurückkehren möchte, um ihnen nahe zu sein.«

      »Der Täter? Wem will er nahe sein? Den Toten?«

      Die Anspannung wich, seine Atmung normalisierte sich, er schaute sie an. »Ich weiß es nicht.«

      Laye war aufgesprungen und hatte das Bistro verlassen, Dana und Tarik waren hinterher. Sie hatte ihn als erstes eingeholt, an der Jacke festgehalten und zum Stoppen gebracht.

      »Ich will das nicht, glaube ich«, hatte Laye gesagt.

      »Sie haben es an sich herangelassen, werden Sie es wieder los, wenn Sie jetzt verschwinden oder wird es Sie verfolgen?«

      Er hatte mit den Schultern gezuckt.

      »Sie können was bewirken, Sie können diesen Dämon bekämpfen.«

      »Ihren vielleicht, meine nicht.«

      »Ich verspreche Ihnen, ich passe auf Sie auf.«

      Er hatte aufgelacht. »Das brauchen Sie nicht, das schaffe ich ganz gut alleine.«

      »Chris bitte, lassen Sie es uns gemeinsam versuchen.«

      4. Kapitel

      Nur schnell einen Kaffee holen, hatte sie gesagt und Tarik saß seit fünf Minuten mit Laye im Auto und wartete. Ihr Schweigen war unangenehm.

      Tarik war niemand, den man leicht aus der Fassung bringen konnte, dafür war sein Gemüt zu ausgeglichen, der Mann auf dem Rücksitz jedoch, schaffte es.

      Tarik hätte hundert Fragen an ihn gehabt und das Recht, sie zu stellen, dennoch stellte er die, die ihn am meisten beschäftigte.

      »Was passiert, wenn Sie die Visionen haben?«

      Laye schaute überrascht, Tarik konnte es im Rückspiegel sehen. Überrascht, weil er die Stille durchbrochen hatte oder weil ihn das noch niemand gefragt hatte?

      »Ich bin ein Beobachter im Inneren desjenigen, dessen Stück vom Leben ich sehe.«

      »Fühlen Sie, was die Person fühlt oder gefühlt hat?«

      »Nein, aber ich weiß es.«

      »Erfahren Sie etwas Persönliches über sie?«

      »Das wäre zu einfach, oder? Ich sehe jene Situation, die ich gezwungen bin, zu sehen, aber ich werde kein Teil von ihnen.«

      Tarik zögerte, eine weitere Frage zu stellen, tat es, als er Dana aus dem Imbiss kommen sah.

      »Das damals, ich habe gehört, es hat Sie sehr mitgenommen.«

      »Was ich sehe, ist in den seltensten Fällen erfreulich. Damit umzugehen, ist nicht einfach.«

      Dana stellte die Pappbecher auf dem Autodach ab.

      »Sind die Bilder eindeutig?«

      Sie öffnete die Beifahrertür.

      »Das ist unterschiedlich.«

      Dana beugte sich in den Innenraum. »Ich habe euch Kaffee mitgebracht.«

      Einen reichte sie nach hinten, mit den anderen setzte sie sich ins Auto und stellte sie in die Getränkehalterung der Mittelkonsole.

      »Interpretieren Sie sie dann?«

      »Ich gebe weiter, was ich erfahren habe.«

      »Worum geht es?«, fragte Dana.

      »Um die Art und Weise, wie Herr Laye die Visionen wahrnimmt.«

      Er startete den Wagen und fuhr los.

      Weniger unheimlich war ihm der Kerl nicht, aber Tarik glaubte zu verstehen, was Dana gemeint hatte, als sie von diesem Gefühl gesprochen hatte.

      Mehr, als das Bisherige, musste Laye aber schon bringen. Ein Gefühl zu vermitteln war die eine, ermittlungsrelevante Informationen zu liefern, eine andere Sache.

      Tarik empfand die Aussage, der Täter sei auf der Suche, nicht aussagekräftiger, als das, was er gestern im Bistro von sich gegeben hatte.

      Laye hatte erneut diesen verschobenen Blick gehabt, als er von der Entfernung des Fingers gehört hatte und eben jene Worte von sich gegeben.

      Waren Täter dieser Art nicht immer auf der Suche?

      Auf der Suche nach Rache an der Mutter, die zu sehr oder zu wenig geliebt hatte?

      Auf der Suche nach Bestätigung, die ihnen durch den Vater verwehrt geblieben war?

      Auf der Suche nach Befriedigung der eigenen Triebe?

      Suchten sie nicht deshalb einen bestimmten Typ Mensch aus, der als Ersatz diente, zu bekommen, wonach sie sich sehnten?

      Wie belastbar war Laye? Ihn zu den Leichenfundorten zu bringen, war vielleicht eine gute Idee, aber ihm die Überreste der Opfer zu zeigen, wie es der Staatsanwalt angeregt hatte, Tarik zweifelte.

      Wenn Christian Laye behauptete, wiederzugeben, was er sah, so wusste er, dass Menschen fehlbar waren, was Beschreibungen von Beobachtungen anging. Mutmaßungen zu vermeiden, war kaum möglich, immer floss ein persönlicher Eindruck ein.

      Noch war seine Mitarbeit nicht beschlossen, aber Tarik war derselben Meinung wie Georg, der Staatsanwalt hatte bereits eine Entscheidung getroffen.

      Er hätte gerne mehr über den Fall von damals erfahren, war jedoch auf eine Mauer aus Schweigen gestoßen.

      Und seine Kollegin? Nein, überzeugt war sie nicht, sie hoffte.

      Vielleicht sollte er auch hoffen und seine antrainierte Rationalität beiseiteschieben. Sich darauf einlassen; was konnte dieser Mann anrichten?

      Vielleicht Informationen an die Presse weitergeben? Das sollte er sich besser nicht erlauben!

      Ihre Zeit verschwenden? Sie traten sowieso auf der Stelle.

      Das Meer war unruhig und schob die Wellen energisch an Land. Der Himmel war grau und der Wind zerrte an Laye, der auf einer Düne stand und zum Horizont schaute.

      Gab es nur eine wütende See, fragte Tarik sich, oder fühlte sie sich durch ihre Anwesenheit gestört?

      Irgendjemand hatte Blumen niedergelegt und ein Kreuz aus Treibgut in den Sand gesteckt. Weshalb hatten Wind und Wasser sie bisher verschont?

      »Wir sollten zu ihm gehen«, sagte Dana.

       Es tat ihm leid, wirklich! Das war nicht, was er wollte. Diesmal war er sich so sicher gewesen, so lange überzeugt, dass sie es war. Und dann hatte er gemerkt, dass sie ihm nur etwas vorspielte, dass sie es nicht ernst meinte. Da war er wütend geworden, richtig wütend, fast so, wie damals.

       Trotzdem konnte er sich nicht endgültig trennen. Wollte es nicht. Sie war besonders, an sie wollte er sich erinnern. Sie musste an einen besonderen Ort gebracht werden. An einen Ort, der sie nicht mehr freigab, damit sie dort blieb, für ihn.

      »Er holt sie