Wilhelm Kastberger

Zwischen Heinrich und Jeanniene


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- ist mir wiederum gänzlich unbekannt.

      In meiner Eigenschaft als Vorwärtsdränglerin dürfte ich dabei etwas Wesentliches übersehen haben. Bei Gelegenheit werde ich mich um diese Person schlaumachen und bitte jetzt schon bei Dir um Entschuldigung. Es könnte ja sein, dass mein guter Vorschreiber bei seinen Recherchen auch winzige Kleinigkeiten übersehen oder gar überhört hat.

      Inzwischen wirst Du ja zur Einsicht gekommen sein, dass es zwischen dem Vorwärts, also meiner Wenigkeit und dem Rückwärts, sozusagen die absolute Gedankenlangsamkeit von ihm, Du weißt schon wen ich meine, gravierende Unterschiede geben muss.

      In der Tat - Du hast ja recht wie immer. Es gibt sie wirklich.

      Gerade dieser Zwischenraum ist möglicherweise der Unterschied. Schon die ganze Zeit über versuche ich, mit den Lesern dieser Zeilen – auch mit Dir selbstverständlich, zumindest auf eine telepathische Art und Weise, in Kontakt zu kommen. Leider waren die bisher an mich gerichteten Schwingungen, die möglicherweise aus Klubs der Schwester- und Bruderschaften übergeleitet und herbeigeströmt sind, bescheiden genug, um nicht zu sagen wertlos.

      Jedenfalls gilt diese Wahrnehmung im Speziellen nur für meine Gedankenentwicklungen, mehr schon nicht. Also bis später!

      Drei

      Mariella Nadja Todorova wusste es schon von Anfang an. Der aufgeblasenen Pfau ist, und bleibt ein Filou. Basta! Kaum nach seinen ersten zehn Worten, die er damals mit ihr in Argentinien gesprochen hatte, wusste sie es. Ja sie fühlte es sogar in ihrem Herzen, dass er in Wirklichkeit ein ganz durch und durchtriebener Scheißkerl sein musste.

      Aber er hatte halt Charme. Diese Eigenschaft musste sie ihm anerkennenderweise zugutehalten. Was noch viel mehr bei ihr zählte - er war er reich. Offenbar steinreich. Und gerade sein Reichtum verführte sie wie ein tanzender, magnetisch geladener Spielball auf Stahl, hin und her. Um sich für ihre Schwäche zur Wohlhabenheit nicht selbst entschuldigen zu müssen, zog sie, der Vernunft folgend, die Reißleine.

      Aus fadenscheinigen und bislang nicht erforschbaren Gründen ihrerseits, kam es mit ihm in Südamerika zu keiner weiteren Verabredung mehr.

      Mariella Nadja Todorova glaubte es tatsächlich, dass eine seltsame Fügung des Schicksals nun tatsächlich eingetreten sei. Sie saßen zwar mit gehörigem Abstand, doch immerhin nebeneinander, auf Logenplätzen im Großen Festspielhaus in Salzburg. Sie waren beide gleichsam, unter einigen anderen versteht sich, Ehrengäste des Stardirigenten Javier de Rossi.

      Die Überraschung, oder anders formuliert, der erste Schachzug der Bosheit schien dem Maestro gelungen zu sein.

      Den beiden blieb zuallererst nichts anderes übrig, als vor gegenseitigem Erstaunen die Augen und die Münder so weit wie nur irgend möglich aufzureißen. Für die Sopranistin selbst war das ja kein besonders Kunststück gewesen. Sie war das Mundaufreißen durch ihre Singerei ja gewöhnt.

      Beim Mann war das gar nicht so selbstverständlich. Einen Augenblick lang oder waren es zwei oder drei, blieb ihm die Sprache am Gaumenzäpfchen hängen. So einfach, wie bei der Dame es funktionieren hätte können, war es für ihn ganz gewiss nicht.

      Er veranstaltete anfangs ja regelwidrige Verrenkungen mit der Kiefermuskulatur und versuchte Worte des Erstaunens hervorzulassen, obgleich er obendrein als berüchtigtes Großmaul allerhöchster Ordnung weitum bekannt war. Vielleicht war er gerade deswegen ein bühnenreifer, durchtrainierter Maulheld. Wer weiß das schon. Vermutlich nur Javier de Rossi und höchstwahrscheinlich inzwischen auch Alice, die Altistin.

      Wahrscheinlich gab es wenige, eher sehr wenige Beobachter dieser improvisierten Scene. Sonst hätte dieser Auftritt weiß Gott wie komisch ausgesehen und der gebührende Ernst wäre von der Oper Don Carlo in das Komische Fach versetzt worden.

      Die Zehntelsekunden der beidseitig aufgetretenen Verwunderung waren offensichtlich spürbar angenehm. Leider gingen sie, im Verhältnis zum anschließenden Begrüßungsritual, relativ zu rasch zu Ende. Das Hinundhergetue allerdings dauerte beinahe den gesamten ersten Akt. Zum Glück für die anderen Zuseher und Zuhörer waren sie zum einen ja alleine in der Loge und zum andern verlief das Geplänkel vergleichsweise unauffällig.

      Nur der verschmitzt aus dem Orchestergraben in seinem frisch gebügelten Firmungsanzug hinaufblinzelnde Stardirigent war mit seinem ersten Schachzug eigentlich ganz zufrieden.

      Weitere geplante Manöver dieser Art sollten ja noch folgen.

      Der nächste versteckte Winkelzug am imaginären Schachbrett kündigte sich, jedenfalls für die Beteiligten am Spiel, eine oder zwei Stunden nach dem Ende der Opernvorstellung, unerwarteterweise an.

      Für Mariella Nadja Todorova schien ein Märchentraum in Erfüllung zu gehen. Sie war wieder mittendrin zwischen all den Stars und Sternchen und fühlte sich nicht nur pudelwohl dabei. Alleine schon die feierliche Abfahrt vom Festspielhaus in ein Nirgendwo, war für die einstige Primadonna eine Einmaligkeit, wie man es sonst nur in einem Märchenbuch nachlesen hätte können. Von den Veranstaltern wurde eine Art Prozession mit besonders schönen, sehr ausgefallenen Oldtimern, organisiert. Und in einem dieser funkelnden Nobelkarossen saß sie. Und neben ihr der Maxl! Wer den sonst?

      Man sollte nämlich wissen, dass die Prämieren-Feier in einem Nobelhotelrestaurant in der Nähe, aber außerhalb von Salzburg stattgefunden hatte. Von dort aus hätte man einen wunderschönen Blick auf einen klaren See gehabt, wenn es nicht stockdunkel und wolkenverhangen gewesen wäre. Das war im Grunde der einzige, nicht wieder gutzumachende Regiefehler an dem Abend.

      Dazu kam die etwas zögerliche Auffahrt zum Hotel. Die lief halt so ähnlich ab, wie ein Almauftrieb. Vielleicht mit einem klitzekleinen, aber feinen Unterschied. Es wurden nicht Rindviecher aufgetrieben, sondern Menschen. Diese waren mit bunten Gewändern und Bändern geschmückt und strahlten obendrein eine schier unbezähmbare Selbstherrlichkeit aus. Wer so einen Auftakt zu einer Prämieren-Feier schon einmal miterleben durfte, der weiß es ohnehin. Es war immer schon so, denn die Zeit als Faktor X lief den Ruhelosen davon.

      Alle vom Festspielkomitee eingeladenen Gäste wollten sich nämlich um den gefeierten Stardirigenten an einem Tisch versammeln, was ja leider, oder zum Glück, aus welchem Blickwinkel man es betrachten wollte, auf gar keinen Fall möglich gewesen ist.

      So eine lange Tafel gibt es vielleicht in der Hofburg in Wien und da kann auch nicht jeder X-Beliebige direkt neben dem Herrn Präsidenten sitzen. So viel sollte man von Logistik verstehen. Das geht einfach nicht und bei so einer Prämieren-Feier, wo lauter kleinere gedeckte Tische herumstehen, schon gar nicht.

      Die von Javier de Rossi, in Personalunion mit seiner Alice, schon Wochen vorher persönlich ausgesuchte Tischgesellschaft war ihrer Meinung groß genug und sehr klug und feinfühlend ausgewählt. Die beiden legten Wert auf eine buntzusammengewürfelte Tafelrunde.

      So saßen sie nun am zirka fünf Meter langen ovalen schweren Eichentisch, welcher im Saal festlich geschmückt an der Frontpartie aufgestellt war, beisammen. Zunächst war da einmal der Dirigent mit seiner Frau Alice. Gleich rechts davon wurde gemäß der von Alice gewünschten Sitzordnung Mariella Nadja Todorova, als vielgepriesener Ehrengast, mit ihrem wieder neu entdeckten und inzwischen ein wenig vertraut gewordenen Maximilian Graf, die Plätze angeboten. Neben dem Grafen saß dann Dr. Rodeo Albrecht, ein Kernphysiker aus dem Kanton Genf in der Schweiz. Seine ausgesprochen hübsche, sowie aufreizende Begleiterin Antonietta machte es sich dann gewissermaßen zwischen den von Männern besetzten Stühlen gemütlich.

      Die elliptische Runde schloss nämlich mit dem Astrophysiker und möglicherweise angehenden Nobelpreisträger Dr. Dr. Hieronymus Bachstein von Plast mit seiner aufgedonnerten, aber weniger attraktiven Ehefrau Professor Dr. Cornelia von Plast. Obwohl die Benennung weniger attraktiv mehr als ein Hilfsausdruck angesehen werden möge. Die Frau von Plast glänzte mit ihrer verblassenden Ausstrahlung eines abgetakelten Sterns an der Seite von Javier de Rossi. Ein Ehrenplatz sozusagen.

      Die Vorstellungsrunde wurde von Alice nüchtern, mehr oder weniger farblos, im Zack-Zack-Rhythmus herausgesprudelt. Sie unterließ es offenbar bewusst, die geladenen Personen an der gemeinsamen Tafel in ein witzig launisches Licht