Wilhelm Kastberger

Zwischen Heinrich und Jeanniene


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Kunst, nämlich diese in schauspielerische Verlogenheit umwandeln zu können, zeigen zu müssen.

      Gastgeber im ursprünglichen Sinne war Javier de Rossi in Wahrheit ja auch wieder nicht. Er ließ sich diese seine Unvollkommenheit aber weder durch Gesten noch durch unabsichtlich herausquellende Wortwahl anmerken. Die Zeche bezahlen, das wusste er von vorneherein, wird ganz bestimmt jemand anderer sein. Das war immer schon so bei derartigen Banketten. Warum sollte es dieses Mal auch anders sein?

      Während Speisen und Getränke in riesengroßer Auswahl aus Keller und Küche herangeschleppt worden waren, kamen in den vom Servierpersonal auferlegten Pausen nach und nach einige Premierenbesucher an den Dirigententisch herbeigeströmt, um ihn und seiner liebenswürdigen Gattin zur Aufführung herzlichst zu gratulieren.

      Das schien aber nur meist ein Vorwand zu sein. Sie wollten mehrheitlich die neben ihnen sitzende ausrangierte Operndiva in Smalltalks zu verwickeln. Und die Dame war ja nicht gerade als mundfaul bekannt.

      Diese bewusst gesteuerten Unterbrechungen zwischen den Speisefolgen verliefen insgesamt recht harmlos und vollkommen unspektakulär. Allerdings nur dann, wenn man den Sesselausrutscher des Graf Maxl nicht berücksichtigen wollte und diese Rutschpartie auf charmante Art zu übersehen gedachte. Aber das konnte man, trotz der ernsthaft auferlegten Etikette, nicht ohne die fadenscheinigen Lachausbrüche abhaken. Das Sesselschaukeln untersagt man bereits im Kindergarten. Dieses Gebot dürfte auch die noblere Gesellschaft betreffen, wenn man diese hier als solche überhaupt bezeichnen sollte.

      Zum Glück wurde Maxl ja nicht verletzt. Seine ramponierte Hose wird sich auch an dieser neuralgischen Stelle wieder vernähen lassen. Das ist alles soweit kein Problem. Nur er hatte sozusagen im Moment des Geschehens zu dem Ort der Peinlichkeit, im Gegensatz zu den anderen Gästen im Saal, keine direkte Sichtverbindung gehabt.

      Es blieb mir nicht erspart.

      Was, bitteschön blieb mir bis jetzt schon erspart?

      Nichts! Wirklich gar nichts.

      Es folgten nämlich hinter verschlossenen Türen Verkuppelungsaktionen, und zwar eine nach der anderen. Das kann ich Dir sagen und die waren nicht einmal von schlechten Eltern. Bis heute werde ich das eigenartige Gefühl nicht los, dass verschiedene, mir bestens vertraute Menschen, schon eine Zeitlang hinter meinem Rücken irgendein Muster in einem noch nicht vorhandenen Schal stricken wollten. Habe ich mich soeben falsch ausgedrückt oder womöglich getäuscht? Das glaube ich nicht.

      Den überschlauen Gelegenheitszubringern, soweit ich jetzt informiert bin, waren zwei Männer und drei Frauen daran beteiligt. Diese Leute kenne ich ganz gut. Im Nachhinein betrachtet, hatten ihre verzweifelten Winkelzüge keinen bemerkbaren Erfolg gebracht. Nur ich durchschaute schön langsam die dahintersteckende Strategie mit ihren drängenden Versuchen, mir irgendetwas, was ich damals nicht einmal erahnen konnte, anzuhängen.

      Aber so eine mathematisch ungebildete Langsamdenkerin, wie man mich des Öfteren hinzustellen versucht, das bin ich dann auch wieder nicht. Ganz gewiss werde ich solchen Schwärmereien oder verbalen Übertreibungen nicht auf den Leim kriechen. Doch so böse, wie ich anfangs geglaubt habe, waren diese Menschen gar nicht.

      Nur eine von den drei Frauen, und zwar die Jüngste im Trio, ist auf jeden Fall eine ausgemachte, aber letztlich liebenswürdig erscheinende Giftkanone. Und solche Individuen können, bei meiner Seel´, für mich zumindest, ganz schön gefährlich werden.

      Jedenfalls die eine da ließ nicht locker und bohrte bei mir herum, als ob sie einen hinterfotzigen Auftrag zu erfüllen hätte. Die junge Dame verspritzte nämlich nicht nur ihr Gift oder die zähe Gallenflüssigkeit. Nein, nein!. Sie tat genau das Gegenteil. Wenn man dabei überhaupt vom Gegenteil sprechen kann.

      Die Frau schmierte mir nämlich im Beisein ihrer guten Laune, was ich zudem anfangs überhaupt nicht begreifen konnte, allerdings bildlich gesprochen, löffelweise geschmolzene Milchschokolade mit einem Honiglöffel über den Mund, sodass ich knapp daran war, die plötzlich auftretende Schokoladeallergie ärztlich behandeln zu lassen. Schön langsam entpuppte sich aber aus der bedruckten, von Sonnenschutzcreme besudelten Einmache, die allseits bekannte blöde blaue Milka Kuh.

      Wie ich es auch immer drehen und wenden würde, letztendlich konnte ich mich aus den von Schokopralinen verklebten Fängen dieser Giftnudel nicht mehr ohne fremde Hilfe befreien. Die fremde Hilfe erschien dann prompt, wie auf ein stilles Kommando, als personifiziertes Schreckgespenst auf meiner von Sinnen umgebenen Projektionswand. Zugegebenermaßen war es augenblicklich später selbstverständlich kein Gespenst mehr. Aber der erste Eindruck, na Du weißt schon, versprach eben nichts Gutes. Das kann ich auch erklären, weil kaum war ich aus den Fangarmen der Schokosüßen befreit, da saß ich quasi auch schon am Schoß eines fremden Kerls. Ganz so war es dann auch wieder nicht; das mit Schoß meine ich.

      Man kann nun behaupten, was man möchte, die Sieger waren die anderen. Das hat sich sehr bald bei mir herauskristallisiert, als ich versucht habe zwei und zwei zusammenzuzählen und als Summe nicht die Fünf herausgekommen ist.

      Unsympathisch war er mir ja nicht. Gleich zu Beginn, also in derselben Sekunde unserer Begegnung, kramte ich in meinem Speicher für Physiognomie herum und konnte diesen Kerl von einem Mann unter die Kategorie Sympathieträger einordnen.

      Zu dieser Zeit hatte ich ja noch keine Ahnung, wer mein Gegenüber eigentlich war!

      Aber das änderte sich bald.

      Ein paar Andeutungen und die verstohlenen Blicke seinerseits ließen mich zu einem Urteil verführen. Er war es. Er musste es sein. Die hinterfotzige, keineswegs damenhafte Bagage sah ich im Gedanken schelmisch grinsen. Es war ihnen bestimmt bewusst geworden, auf welche schmalen Pfade sie sich bewegten, um meine sonst hinreichend bekannte Gutmütigkeit auf die Probe zu stellen.

      Also ging ich in Kampfstellung. Nicht so wie Du es jetzt soeben vermutest, nein so nicht. Ich gab mich eher gelassen und ruhig. Diese Eigenschaft habe ich mir antrainiert und bei der fühle ich mich stark und überlegen. Ich wollte immer schon bei plötzlich unerwarteten Ereignissen genügend Zeit zu Verfügung haben, um darauf entsprechend reagieren zu können.

      Mein Gegenüber war auch nicht gerade auf den Mund gefallen. Er kam mir mit seinem Charme zuvor. Das ist ein schlauer Fuchs, sage ich Dir. Und als solchen habe ich ihn dann auch noch näher kennenlernen dürfen.

      Javier de Rossi wimmelte sehr dezent, mit unglaublicher Geduld und Höflichkeit, das aufkommende Rundumgedränge der Gäste bis zum nächsten Speisegang ab. Danach richtete er nur sein Augenmerk auf seine Tischgesellschaft. Unter allen Umständen wollte er seine persönlichen Gäste bei bester Laune halten, um sie dann sozusagen alle von hinten herum in ein von ihm beabsichtigtes, raffiniert eingefädeltes sinnliches Abenteuer stürzen lassen.

      Javier de Rossi war nicht nur ein hervorragender Dirigent seiner Orchester, sondern auch einer, der Tischgesellschaften zu führen wusste. Dazu beanspruchte er alle willigen Geister, die an dem eiförmigen Kreis versammelt waren.

      Mit zur guten Laune beigetragen hat selbstverständlich auch der propangierte Festspielwein, nämlich ein Grüner Veltliner aus dem Traisental mit dem musikalisch klingenden Namen „Sommernachtstraum“. Zum eher rustikalisch anmutenden Hauptgang wurde etikettengetreu das Festspiel-Pils Edition 2013 in Sonderflaschen auf den Tisch gestellt. Und diese Flaschen passten sehr gut zu den Gästen. Jedenfalls hat Javier de Rossi bei der Getränkeauswahl schon im Vorfeld darauf bestanden.

      Aus dem anfänglichen Geplänkel zwischen den Tischnachbarn einerseits und dem einladenden Ehepaar de Rossi andererseits, entwickelte sich erstaunlich rasch Diskussionen über alles Mögliche und Unwahrscheinliche. Im Grunde hatten diese Verbalismen nichts, aber schon gar nichts mehr mit dem künstlerischen Schaffen des Genius der Musik im Allgemeinen zu tun.

      Mariella Nadja Todorova und ihr Maxl waren offenbar eine Zeit lang mit zukunftsorientierter Aussprache untereinander so vertieft, dass die danebensitzende Alice de Rossi mit ihrem feinen Gehör die Inhalte ihrer Debatten voll und ganz mitbekommen hatte. Verschmitzt lächelte sie und zwinkerte und stupste ihren Mann gar nicht so unauffällig zu und an.

      Vermutlich