Wilhelm Kastberger

Zwischen Heinrich und Jeanniene


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Es ist eine Geheimtür, hinter der es zu früheren Zeiten nicht nur Geheimnisse geben hatte. Ältere Dorfbewohner wussten von diesem Zugang und sie wussten auch, dass sich dahinter eine fünfundzwanzigstufige hölzerne Treppe verbarg, die in ein zwar nicht streng geheimes, aber gut geschütztes Kellergeschoss hinunterführte.

      Vor dreißig oder vierzig Jahren, ganz genau weiß man es heute nicht mehr, befand sich unter dem Gebäude der jetzigen Orangerie ein riesiger Gemüse- und Kartoffelkeller. Und nicht nur das, es gab auch einige abgetrennte Wohnräume, die damals ausschließlich zur Unterbringung der Landarbeiter vom Schlossgut gedient haben dürften.

      Der Verwendungszweck hatte sich im Laufe der Zeit doch wesentlich geändert. Man brachte schon lange kein Gemüse oder keine Kartoffeln in den Keller. Auch die kleinen Wohnräume wurden lange Zeit schon nicht mehr benötigt. Lediglich der Modergeruch ist immer noch allgegenwärtig.

      Aber den Gerüchten zufolge existieren immer noch einige verwirrende finstere Geheimgänge. Niemand weiß so recht, wohin diese führen. Wer sich dort unten im Dunklen nicht orientieren konnte, würde sich auch tatsächlich verirren. Es gab ja kein hereinströmendes Tageslicht, nur einen festgetretenen Lehmboden, der den Schall unterdrückte wie nichts sonst.

      Die Menschen dürften zu jener Zeit Fackeln und vielleicht auch Kerzen zur Beleuchtung verwendet haben. Möglicherweise wurden sogar Karbidlampen, wie sie seinerzeit die Bergarbeiter in Gebrauch hatten, eingesetzt. Man weiß das alles nicht mehr. Schriftliche Aufzeichnungen, so eine Art Schlosschronik, gab es angeblich nicht.

      Die Gutsfrau Mariella Nadja Todorova hatte von diesem geheimen Ort, geschweige denn von der Geheimtüre, überhaupt keine Ahnung und das sollte auch noch eine Zeit lang so bleiben. Sie war nie ein Kind von Traurigkeit und lebte gut damit. Für sie lag die Welt, trotz aller Belastungen am Gutshof, offen vor ihren Füssen.

      Eines Tages, es war im Monat Juni 2013, erhielt sie einen Brief von Javier de Rossi. Dieser Mann ist kein herkömmlicher Dirigent aus irgendeiner ländlichen Amateurmusikkapelle. Nein, er ist so etwas wie ein Star in dieser elitären Gruppierung. Während ihrer Sängerkarriere als Opernsängerin hatte sie auch mehrfach Gelegenheiten, seine facettenreichen Persönlichkeitseigenschaften kennenzulernen.

      Javier de Rossi inszenierte im Sommer 2013 bei den Salzburger Festspielen zwei große Opern. Zu Festspielprämieren, samt den dazugehörigen Feierlichkeiten, wurde sie mit berührend begleitenden Worten, die offenbar von ihm selbst in deutscher Sprache handschriftlich verfasst worden waren, eingeladen.

      Mariella Nadja Todorova nahm die gastfreundliche Einladung, ohne länger nachzudenken an, buchte im Internet ihr Flugticket und flog anfangs August 2013 mit Bulgaria Air von Sofia nach Salzburg.

      Die Wiedersehensfreuden zwischen dem Einlader einerseits und der eingeladenen Primadonna andererseits hielten sich allerdings streng an die Etikette. Wie sich zum Leidwesen von Mariella Nadja Todorova herausgestellt hatte, machte Javier de Rossi ohne seine Frau an seiner Seite keine privaten Experimente mehr. Das schien zu bedeuten, dass dem ehemaligen Charmeur von seiner Angetrauten persönlich die Fallbäume der Entbehrlichkeit vor seinen Augen und seiner Nase herabgelassen worden sind.

      Die ehemals gefeierte Primadonna wurde vom Ehepaar de Rossi am Flugplatz in Salzburg mit einem Taxi abgeholt und sogleich ins Hotel gefahren. Mariella Nadja Todorova hatte ihre Flugreise in einem eher komfortlosen Flugzeug der Type Tupolew, noch dazu mit allerhand thermischen schlaglochartigen Unregelmäßigkeiten, hinter sich gebracht. Im Hotelzimmer verbrachte sie nun geraume Zeit zum Ausruhen und noch mehr hinter einem riesigen Doppelspiegel. Dabei versuchte sie nun, entsprechend der Salzburger Festspielzeit, sich artgerecht herauszuputzen. Stunden später schlenderten sie dann als quasi abmontierte ehemalige Promadonna in der Kulturinnenstadt von Salzburg ziel- und planlos umher. Man erkannte sie nicht mehr! Eigentlich traurig.

      Mariella Nadja Todorova wollte über die formelle Einladung von Javier de Rossi hinaus, noch persönliche Interessen am Salzburgaufenthalt wahrnehmen. So hatte sie sich das entsprechende Konzept schon zuhause vor ihrem Abflug zurechtgelegt. Sie hatte sich nämlich vorgenommen, neben den bereits zugesagten Prämieren Einladungen, noch zwei Opernaufführungen sowie auch das eine oder andere Solokonzert besuchen zu wollen. Deshalb verlängerte sie dann selbsttätig ihren Aufenthalt noch um eine Woche. Sie blieb also bis Ende August in Salzburg.

      Für sie war die briefliche Einladung jedenfalls eine Überraschung. Ob diese nun fremdgesteuert oder von irgendwem von langer Hand vorbereitet worden war oder nicht, das war ihr in Anbetracht der beglückten Umstände eigentlich auch egal. Nur sie war immer schon ein wenig misstrauisch gewesen und ließ Zufälle gar nicht gerne an sich herankommen.

      Mit kleinen Ausnahmen versteht sich. Zum Beispiel galant geführte Annäherungsmanöver, insbesondere solche, die vom anderen Geschlecht ausgestrahlt werden, denen war sie allerdings nicht nur mit ihren Sinnen ausgeliefert, sondern oftmals sogar körperlich buchstäblich unterlegen. Solche Begebenheiten gehörten aber bereits der länger zurückliegenden Vergangenheit an.

      Am Ankunftstag abends um neunzehn Uhr dreißig begann auch schon die erste Opernaufführung. Und dieser Abend sollte ihr eine weitaus größere Überraschung zu bieten haben, als sie sich je im Traum hätte vorstellen können.

      Die Überraschung saß nun rein zufällig, wie sie zu allererst vermutet hatte, neben ihr auf einem gepolsterten Logenplatz. Unter ihrer kaum geschminkten Gesichtslandschaft dürften dann doch unbeabsichtigte Rottöne, wie eine Rakete, die soeben auf Cape Canaveral Air Force Station abgeschossen worden war, hervorgetreten sein.

      Sie hatte ihn seinerzeit auf einer Tournee in Argentinien kennengelernt. Damals stand auch der gute Javier de Rossi am Dirigentenpult. Was für ein Zufall!

      Ein alter Bekannter also, der hier neben sie Platz genommen hatte, beziehungsweise, der schon vor ihrem Erscheinen in der Loge gewesen war. Nein, bitte als alt würde sie den gutaussehenden Vertreter des männlichen Geschlechts auch im Moment der Betrachtung nicht bezeichnen mögen. Er war ja angeblich gut fünf Jahre jünger als sie. Und eine so toll herausgeputzte Dame dürfe man beileibe nicht nach ihrem Geburtsdatum fragen. Das gehört sich nicht. Ausgenommen man weiß es ja, wie im Falle von Mariella Nadja Todorova, wo man ihre Daten vollinhaltlich aus dem Internet jederzeit entnehmen kann. Im Facebook zum Beispiel. Oder auf frühere schon längere Zeit nicht mehr aktualisierte Homepages.

      Nur über den neben ihr sitzenden Mann selbst gab es keine absolut richtigen Daten im Web. Das hatte selbstverständlich auch seine Gründe und hiervon gab es halt einige mehr.

      Der Stardirigent Javier de Rossi hatte seinerzeit als junger Wilder, wie man damals die Strömung verharmloste, das Techtelmechtel zwischen den beiden in Argentinien hautnah mitgekriegt. Es besteht jedenfalls unbestritten Grund zur Annahme, dass sich Javier de Rossi mit der immerhin gezielt ausgesprochenen Einladung rächen werde wollen. Seine Frau Alice spielt in dem theatralischen Rachefeldzug eine für Altistinnen komponierte Hauptrolle.

      Oder? Stimmt doch!

      Javier de Rossi sieht das naturgemäß ganz anders. Das ganze Prozedere als Rachefeldzug zu benennen, wäre für ihn ein viel zu schlimmes Wort und vor allem eine viel zu einfache Lösung.

      Unbestritten, eine gewisse Genugtuung würde es ihm schon bereiten, wenn er gegen den aufgeblasenen Pfau schlussendlich als Sieger dastehen würde. Was selbstverständlich nur akademisch gemeint sein kann. Weil Treue wem Treue gebührt, das war schon (fast) immer sein Slogan gewesen.

      Um der Glaubwürdigkeit, als auch der Ehrlichkeit, einen ihnen gebührenden Auftritt zu verhelfen, darf man schon aus dem musikalischen Nähkästchen das eine oder andere ausplaudern.

      Seinerzeit in Argentinien war das so, zumindest aus der Sicht der Beteiligten. Der damals in einem Opernhaus verpflichtete Musikdirektor Javier de Rossi war im Kollegium als vielbeachteter Frauenheld wie ein bunter Kanarienvogel, weit über das glänzende Programmheft hinaus, bekannt. Er umwarb nicht nur auf den virtuos musikalisch basierenden Wegen seine Primadonna, sondern versuchte auch, über den inzwischen ausgeleierten Trampelpfad „Der sinnlichen Täuschung“ das Ziel seiner männlichen Begierde zu erreichen.

      Sie hingegen lehnte Flirts,