Wilhelm Kastberger

Zwischen Heinrich und Jeanniene


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wie die Gurken- und Bananenerlässe seinerzeit, vom Parlament dort oben behandelt und aufgearbeitet. Aber wem bitteschön interessiert so ein Schmarrn nach der Wahl.

      Es ist halt so: Spelunke bleibt eben Spelunke und das steht schon dick unterstrichen im Wörterbuch.

      Um in diese Spelunke, um die es hier eigentlich geht, überhaupt absteigen zu können, muss man über eine baufällige Holzstiege ganz schön weit in die Unterwelt hinunterkraxeln. Eine typische Absteige halt. Wie das die Damen mit ihren Stöckelschuhen und ihren Miniröcken machen, bleibt das Rätsel der Stunde.

      Untertags passiert dort unten ohnehin gar nichts. Aber vom frühen Abend bis in die sehr frühen Morgenstunden treffen sich in der Spelunke allerhand kulturell seichte Zwielichtigkeiten.

      Gerade das ist wiederum bezeichnet für so eine verschmutzte, heruntergekommene, obendrein düster beleuchtete Räumlichkeit. Gerade einmal ein paar Kerzen erhellen den sonst stockfinsteren Raum. Aber eine Theke oder ein Tresen, wie man’s auch immer bezeichnen möchte, gibt es doch. Hinter dieser steht meistens der dreiundzwanzigjährige Romeo, der einzige Sohn vom Gastwirt. Das ist für diese Spelunke ganz gewiss ein Glücksfall. Er ist nämlich ein düstrer, aber gleichermaßen durchtriebener Typ, der seine Geschäfte offenbar wohl versteht.

      Fidan Kubrat Grantscharov so heißt er jedenfalls mit vollen Namen. Aber alle Bekannten und Freunde nennen ihn seit vielen Jahren Romeo. Warum weiß aber keiner. Er besuchte als Kind erfolgreich die Dorfschule und wurde danach von seinen Eltern in einem Internat in der Bezirksstadt untergebracht. Nach Beendigung der Pflichtschulzeit blieb er noch beinahe zwei Jahre und besuchte eine wirtschaftsorientiert geführte Fachschule.

      Dort wurde ihm in kleinen Schritten ein Bruchteil über das Wirtschaftsleben im Allgemeinen sowie Grundsätzliches über Betriebsführung beigebracht. Nach dem weniger erfolgreichen Abgang wurde ihm noch im selben Jahr, dann quasi als Studierter und aus der Bezirksstadt ausgeschulter, die finstere Lokalität von seinem Vater erbrechtlich auf eigene Rechnung übertragen.

      So steht oder sitzt er nun einige Nächte in Woche in dem finsteren Loch, erwartet seine Gäste und nimmt sie dann aus, wie eine frisch gefangene Forelle aus dem Karpfenteich.

      Der Slogan - beim Romeo gibt es alles und nichts – zog seine Kreise. Neben den ortsüblichen harten Getränken bietet er auch allerhand Spielmöglichkeiten für die größtenteils männlichen Besucher an. Alle paar Wochen karrt der junge Unternehmer, wie bereits schon angemerkt, weibliche Spielkameraden in diese alte verrottete Bude. Selbstverständlich werden derartige Auftritte streng geheim und nur mit Mundpropaganda an Stammgäste weitergegeben.

      Die beiden Vorarbeiter vom Blütengartenmeer Adam und Bohdan gehören selbstverständlich zu den Stammtischlern, obwohl gar keine Tische mehr in dieser Bruchbude drinnen stehen. Die sind allesamt bei den regelmäßig stattfindenden Prügeleien in die Brüche gegangen. Weder der Senior- noch der Juniorchef haben sich bemüßigt gefühlt, jemals um einen Ersatz zu bemühen.

      Warum auch? Prügeleien finden auch nach wie vor mit oder ohne die Tische statt. Im letzten halben Jahr fanden gewiss noch mehr Auseinandersetzungen statt, als in der Vergangenheit.

      Der Grund dafür ist relativ leicht erklärbar: Getränke müssen der Einfachheit halber am Fußboden abgestellt werden oder man behält sie in der Hand. Es ist finster da unten, zumindest nicht hell genug, um die herumstehenden Gläser zu sehen und schon ist es bei vorgerückter Stunde geschehen. Halbvolle Getränkegläser werden umgeworfen und gar zertreten, was den Ärger noch mehr an die Spitze treibt. Handgreiflichkeiten um den billigen Fusel sind halt dann die Folge.

      Niemand verständigt die Polizei. Auch wird selten ein Arzt benötigt. Rettung, ja bitte was heißt hier Rettung, die gibt es so und so nicht. Und das Motto – jeder helfe sich selbst, so gut, wie er kann – hat oberste Priorität.

      Im Dorf gibt es aber zwei Männer, die nicht in der Landwirtschaft tätig sind, sondern die in der Bezirksstadt als Polizisten für Recht und Ordnung zu sorgen haben. Im eigenen Dorf fühlen sie sich aber nicht zuständig, einen Streit zu schlichten oder ihn gar zu beenden.

      Ganz im Gegenteil, es war nicht nur einmal, wo die zwei Freunde der Gerechtigkeit bei so einem Handgemenge nicht auch selbst ordentlich mitgemischt hätten.

      Aber das ist eine völlig andere Geschichte.

      Schuld an solchen Ausfällen ist immer der maßlose Konsum von Rakija bis in den frühen Morgenstunden, oder viel öfter noch eine nicht geprobte Eifersuchtsscene wegen der Tabletänzerinnen, die ohnehin keinen Tisch benötigen und auch sonst nicht mehr viel am Leibe tragen.

      So entstehen halt Zwistigkeiten zwischen dem einen und dem anderen, wie es auch sonst überall auf der Welt vorkommt. Bei dem einen ist von Haus aus schon mit freiem Auge eine gewisse Angespanntheit mit nervösen Auszuckungen zu erkennen und beim Gegenüber ruft das eine provozierend heitere Ausgelassenheit hervor. Dann wird plötzlich aus nichtigem Anlass heraus, quasi mit den Händen und Fäusten, selten mit einem scharfen Instrument, eine Klatschsinfonie mit Unmengen an falschen Tönen gespielt.

      So spielt sich halt das einfache Dorfleben in einer kleinen überschaubaren Gemeinde ab. Jeder Eindringling wird bestens beraten sein, entweder ein zur richtigen Zeit applaudierender aufmerksamer Zuhörer zu sein oder gar Mitspieler im Dorforchester zu werden.

      Das war im Jahre neunzehnhundertfünfundneunzig und viel früher schon so und es hatte sich bis heute, gewissermaßen im einundzwanzigsten Jahrhundert, kaum etwas hier im Ort verändert.

      Oder doch?

      Ich setzte mal voraus: Sie haben es als intelligenter Mensch vermutlich schon bemerkt. Der stille, aber keinesfalls entmutigte Schreibmaschinentastenklopfer, ja genau der, der das alles so schön und sauber niederschreibt, ist der Wahrheit leidenschaftlich verpflichtet. Zum besseren Verständnis muss ich ja noch eine bescheidene, aber gleichfalls wichtige Korrektur einfügen. Der Gute hat seit geraumer Zeit die Mechanik gegen Elektronik ausgetauscht.

      Was so viel heißt, er besitzt neuerdings einen Computer. Die Riege seiner hinterfotzigen Freunde behauptet aber und das noch dazu in aller Öffentlichkeit, dass er nun auf diesem unschuldigen Gerät draufloshämmert, als ob er jeden Augenblick das nicht vorhandene Tastentriebwerk auseinandernehmen wollte.

      Also zurück zur ungekrönten Wahrheit.

      Der Mann dichtet nicht! Das tut er ganz bestimmt nicht. Diese Arbeit verrichtete vorletzte Woche der von ihm eilends herbeigerufene Wasserinstallateur. Zwar gelang es auch nicht optimal, weil angeblich tropft sein Hahn immer noch.

      So oder so ähnlich deutete er den Unterschied zwischen dichten und dichten irgendwann einmal in einem Pressegespräch einer verblüfften Redakteurin an. Er wolle halt uneingeschränkt die gemixte Wirklichkeit dem lesenden Publikum etwas näher bringen. Sonst nichts. Und das dürfte vielleicht so manch anderen Zeitgenossen weniger in den Kram passen, als ihm das lieb sein wird.

      So ist es also nicht, wie ich am Anfang geglaubt habe, als ich das Angebot erhielt, ich sollte dazwischen hineinschreiben oder mich nach vorwärts dazwischen hineindenken, um beweisen zu können, dass der gute Mann nur so aufs Geradewohl seine Geschichten notiert. Das war eine Missdeutung der Wahrheitsfindung im Allgemeinen.

      Wie ich jüngst aus den Mündern von einigen seiner gut unterrichteten Freunde erfahren habe, bedient er sich, wo immer er sich auch einnistet und was ihm vor Ort gerademal einfällt, seiner Erinnerungen. Da kann es schon passieren, dass er Situationen verwechselt oder Szenen gar willkürlich zeitlich verschiebt. Aus dieser Plausibilität heraus dürfte ich auch meinen Job als Zwischenraumfüller über die Verlagsleitung bekommen haben. Eigentlich müsste ich als weibliches Wesen neuerdings gendergerecht Füllerin schreiben. Aber bei dieser Bezeichnung schwingt eine derart fade Klangfarbe mit, die überhaupt nicht meinem Naturell entspricht. Ja, das nervt mich sogar auch dann, wenn man das Wort in meiner Gegenwart, auch noch so leise, ausspricht.

      Um meinem Grundsatz gerecht zu werden, betone ich, wann immer ich es für angebracht halte, dass nicht dies und jenes allzeit emanzipiert, oder wie es auf Neudeutsch heißt, genderdressiert werden muss. Ich lasse mich hier auf keine Haarspalterei mehr ein. Wir werden ja sehen,