Wilhelm Kastberger

Zwischen Heinrich und Jeanniene


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auf die Idee, eine zusätzliche Vergnügungssteuer einzuführen.

      So eine Bevorzugung wollte naturgemäß nicht einmal der Gastwirt. So blieb eben der Gastraum, respektive die Tische, von den unnötigen Zeugs grundsätzlich verschont.

      Auch die Sessel und Bänke haben niemals eine Polsterung gesehen. Man sitzt auf den geschrubbten blanken Holzbrettern. Gespeist und getrunken wird auf der gebürsteten aufgerauten Tischplatte. Es besteht auch akute Verletzungsgefahr der hinteren, vor allem in den wärmeren Jahreszeiten beinahe bloß gelegten Körperteile. Man denke nur an die losen Schiefer an den Sesseln, die keine Gnade kennen und ungeniert sich durch die zarte Sommerkleidung in die weichen Gesäßmuskeln bohren können. Und wer bitte erklärt sich gegebenenfalls dann spontan bereit, einen fünf Zentimeter langen Schiefer aus dem Hinterteil von einer Lady herausziehen zu wollen, ohne dafür gehörig Prügel beziehen zu müssen? Der Wirt vielleicht? Ganz bestimmt nicht!

      Ein paar Türen weiter neben dem Gastraum befindet sich die Küche. In diese kommt keine betriebsfremde Person hinein. Somit ist eine Beschreibung über den Küchenbetrieb und ihrem Zustand nicht objektiv möglich. Sterne, Krüge oder Besen als Auszeichnung für hervorragende Restaurantführung und Ähnliches gibt es ohnehin nicht zu bewundern.

      Übernachtungsmöglichkeiten werden weder im Gasthaus noch sonst irgendwo im Dorf für Durchreisende angeboten.

      Klar doch, Ausnahmen gibt es aber schon!

      Von außen schaut das Gasthaus nicht gerade so aus, als wäre es eines. Eher schon wie ein halb verfallener Kuhstall aus Oberbayern. Untenrum, auf einer Höhe von ungefähr einem Meter sind allerlei Steine, verschiedenster Herkunft, durcheinander mit Lehm oder Kalkmörtel verbunden, der schon eigenständig die Tendenz zur chemischen Auflösung entwickelt haben dürfte. Überall rieselte es sichtbar aus den Fugen heraus. Hochgerechnet würde es keine fünfzig Jahre mehr brauchen, dann würde die Bude ohne fremdes Zutun in sich zusammenfallen, wenn sich nicht ein ganz Schlauer doch zu einer Sanierung bemüßigt fühlt.

      Auf das zerbröselnde Mauerwerk wurde eine gewagte Holzkonstruktion aufgesetzt, ähnlich wie bei den anderen Häusern in Dorf auch. Aufgesetzte Stockwerke hat das Gasthaus keine, dafür einen entsprechend hohen Giebel, der mit seiner einfachen Konstruktion Wind und Wetter aushält. Das Dach selbst wurde vor Generationen schon, wie bei allen anderen Häusern, mit Schiefersteinplatten gedeckt. Unter dem Giebel sind Schlafzellen für die eignen Kinder sowie für die Hausangestellten vorgesehen. Hinauf und wieder herunter kommt man nur über eine Holzleiter.

      Das ist oftmals ein gewagtes Unternehmen, wenn man bedenkt, dass womöglich der Ochsenknecht mit der Hausmagd ein unauffälliges Pantscherl anfangen möchte. Dann muss der gute Mann, halbbesoffen, wie er spätabends meistens ist, über diese wackelige Holzleiter hinaufklettern und sich oben einen Schlafplatz sichern. Das ist allenfalls auch unter dem Begriff Schwerarbeit einzureihen.

      Nun wieder zurück zum Tagesgeschehen.

      Dieses unauffällige Gastlokal betreten auch zeitweilig Touristen. Wenn ortskundige Reiseleiter dabei sind, ist es ja gut. Sie bestellen dann auf Anraten die landesüblichen Speisen und Getränke. Anderenfalls benötigen die Reisenden sehr gute Vorkenntnisse über die Nationalgerichte. Das sei hier einmal bestens angeraten.

      Es gibt nämlich noch einen Vorzug in diesem Gasthaus.

      Sämtliche Gäste werden vorzugsweise vom Gastwirt persönlich, und das mehr schlecht als recht, bedient. Seine Frau, er wurde tatsächlich mit einer belohnt, durfte sich ohnehin in diesem Raum, wenn fremde Leute zugegen waren, nicht aufhalten. Hier gelten immer noch die Vorsteindachregeln wie vor Hundert oder mehr Jahren.

      Für unseren salzburgerischen Gaumen empfehlenswert ist die einzigartige bulgarische Kuttelsuppe oder die braune Zwiebelsuppe mit Reis und verschiedenen Gemüsen aus der Region. Wenn jemand zufällig einmal dieses Gasthaus finden sollte, was nicht so unwahrscheinlich ist, weil heimische Busunternehmen auf der Fahrt zum Schwarzen Meer beinahe an der Ortschaft Selinkovac vorbeifahren, der möge daran denken, dass er nur in diesem Wirtshaus diese beschriebenen Köstlichkeiten mit dem allumfassenden Ambiente bestellen kann.

      Diese Atmosphäre ist tatsächlich einzigartig, man kann sie mit allen Sinnen einschließen.

      Es gibt zwar im Lokal nur eine stark abgegriffene Speisekarte, aber bitte wer kann schon die bulgarische Schrift lesen oder sie gar verstehen. Im Pinzgau werden ganz gewiss nicht mehr als eine Handvoll Leute sein, die Bulgarisch lesen und sprechen können. Diese wenigen Menschen gehen in den seltensten Fällen mit einer Gesellschaft auf Reisen und wenn, dann schon gar nicht in so ein Restaurant, wenn sie nicht unbedingt müssen.

      Dann erst recht nicht und lieber ab ins Gebüsch.

      Der Gastwirt und Kellner, mit dem wohlklingenden Namen Kubrat Nikolai Grantscharov, ist ein armseliges Exemplar von einem Mann. Er dürfte so um die fünfzig Jahre alt und einen Meter sechzig groß sein. Offensichtlich ist sein Knochengerüst total ausgemergelt. Vermutlich deshalb bewegt er sich auffallend buckelig und mit einer kaum messbaren Zeitlupengeschwindigkeit. Jede Schnecke würde das Rennen mit ihm in Monaco haushoch gewinnen.

      Dafür tritt er als Gegenleistung für seine Langsamkeit unrasiert, selbstverständlich auch ungewaschen vor seine lieben Gäste, die er beim Eintritt ins Lokal, beinahe schon unterwürfig, jedoch mit freundlichen Gesten und unverständlichen Lauten, zu überfallen drohte.

      Vermutlich haben auch seine fettigen, langzottigen Haare noch niemals einen Kamm gesehen, geschweige denn einen auf dem Kopf gespürt. Von einer Frisur kann überhaupt keine Rede sein. Wenn, dann ist diese Haarpracht ein aufgewühlter Urwald, wo sich wahrscheinlich der eine oder andere Zirkusdirektor über einen frischen Nachwuchs gefreut hätte. Aber das fällt neuerdings unter die EU-Naturschutzbestimmungen.

      Das Überdrüber bei dem guten Mann sind seine Zähne! Und nicht zu vergessen, seine Arbeitsschürze! Beide haben etwas Gemeinsames. Sie strahlten vermutlich irgendwann einmal in der Vorzeit mit Stolz ein strahlendes Weiß in ihre unmittelbare Umgebung.

      Prophylaktisch werden zur Entgiftung von dem guten Mann allen Gästen, die im Gastlokal Speisen bestellt haben, ein eigens hausgepatschter Schnaps, der unter dem bekannten Namen Rakija, auch bei uns in den Regalen von Supermärkten zu finden ist, verabreicht.

      Diese Kunst der Vorbeugung übt mit Sicherheit er selbst besonders fleißig, und das vermutlich mehrmals am Tag. So hinterlässt er bei allen die sich in seiner Nähe aufhalten, einen unverwechselbaren Mundgeruch, wobei die Duftnote von Knoblauch und Zwiebel bei Weitem überragt.

      Aber sonst ist das Lokal, wie schon ausführlich beschrieben wurde, alles soweit kristallklar sauber, bis auf die balkanischen Toiletten, aber über die kann sich jeder sein Bild selbst malen.

      Es wird auch noch von einer Spelunke die Rede sein. Das hat schon seine Richtigkeit. Es gibt bei dem Gasthaus nämlich nicht nur einen Haupteingang, durch den man unter anderem zum öffentlichen Gastlokal gelangt, es gibt auch einen Nebeneingang. Und der befindet sich auf der Hinterseite vom Haus. Man kann ihn leicht entdecken. Er ist sozusagen genauso wenig beschildert wie der vordere Haupteingang zum oberirdischen Lokal.

      Nur über die Öffnungszeiten wissen lediglich Eingeweihte sowie die treuersten Kunden, die man locker und leicht unter zehn beziffern könnte, Bescheid. Jeder X-Beliebige käme da gar nicht hinein und schon gar nicht die holde Weiblichkeit vom Dorf. Im strengsten Falle werden lediglich Damen mit Stöckelschuhen und knallroten Lippen, die überdies ein wenig Kulturelles zu bieten haben, ins Lokal eingeladen. Das ist grundsätzlich Voraussetzung und es geschieht nach Auffassung der Lokalführung nur deshalb, damit dadurch eine Abwechslung in die Trotzlosigkeit des Alltages hineingebracht werden kann.

      Das oberirdisch befindliche Gasthaus, aber auch die unter der Erde angesiedelte Spelunke hat selbstnatürlich keine ausgewiesenen Ruhetage. Das braucht’s auch nicht, weil wenn wer kommt, dann ist er halt da.

      So in etwa lautet das Prinzip der Höflichkeit im Dorf von Selinkovac.

      Nur ein kleiner Unterschied zwischen den beiden Lokalen oben und unten ist von Bedeutung. Die Spelunke ist eine europaweit bekannte und auch anerkannte Betriebsform, aber im Sinne der europäischen