Dietmar H. Melzer

Das melancholische Timbre


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      Dietmar H. Melzer

      Das melancholische Timbre

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       I Simones Sinfonie

       II Negermusik

       III Ein nettes Fräulein

       IV Jatss

       V Party

       VI Schneetreiben

       VII Schwarzwälder Kirschtorte

       VIII Das Kleid

       IX Die Chance

       X Seidenluft

       XI Dschass

       XII Festival

       XIII Mit beiden Händen

       XIV Ein uraltes Bett

       XV La famille

       XVI Trinkerei

       XVII Ein anderer Dschass

       XVIII Das tiefe A

       XIX Hochfliegend

       XX Ave Maria

       XXI Tränen

       XXII Karins Brief

       XXII Simones Brief

       Impressum

       I Simones Sinfonie

      Sonntags gönnen wir uns nach dem Mittagessen eine Schwarzwäl­der Kirschtorte. Am Ende unseres Morgenspaziergangs durch die Stadt springt Karin in das Café „Zum Schwarzen Raben“ hinauf, in den ersten Stock eines bunt restaurierten Fachwerkhauses, wo ihr eine Verkäuferin in weißer Schürze zwei dieser süßen Sünden be­reithält, cremig-sahnige Kunstwerke, in deren Boden man dezent Kirschwasser schmeckt, in deren Sahne man einen Hauch von Walderde zu finden glaubt, und Schokoladenspäne auf der Zunge Düfte von Fichten im Mai freisetzen. Und dann die köstlichen Kir­schen…! Kein schnapsgetränkten, zuckrig kandierte Klumpen, die in den Zähnen ziehen, sondern Kirschen, richtige Kirschen, die ei­nen – wenn man ihre feste Haut durchbeißt – vom kalten Feldberg in das warme Rheintal reisen lassen, und beim Kauen des säuer­lichsüßen Fruchtfleisches zu einem späten Kirschbaum an die Bri­gach führen. Im Café „Zum Schwarzen Raben“ gibt es die besten Schwarzwälder Kirschtorten der Welt. Karin und ich sind davon überzeugt, und auch alle Einwohner unserer Stadt.

      Wir trinken den Ihringer Weißen dazu, der vom Mittagessen geblieben ist.

      Besonders Karin liebt diese Torte und isst sie mit Lust. Manchmal lässt sie unter der Lippe oder an einer Backe Schokoladenflocken kleben. Ich muss dann aufstehen und mich über sie beugen, um die Schokoladenreste abzulutschen, muss im Gesicht weiter suchen, auch in ihrem Mund, ob dort Süßes geblieben ist. Während sie mich in das Schlafzimmer zieht, kann sie sich geschickt Bluse und Rock und die Wäsche darunter ausziehen und mir auch das Hemd und die Hose, ich muss nicht viel helfen dabei. Ich fühle mich heimisch und geborgen mit ihr und in ihr. Und dann klopft mir das Herz bis zum Hals und ich ringe nach Luft. Ich werde einmal einen Herzinfarkt bekommen. Wir sind nicht mehr die Jüngsten, sagt sie, und führt meine Hand zu mir und zu sich, um ihres und meines auf ihre Brüste zu reiben. Ich muss sie drücken und kneten. Es müsste ihr eigentlich wehtun. Aber sie will es immer und hat es schon beim ersten Mal so verlangt.

      Den Herzinfarkt bekäme ich, wenn sie es nicht mehr und nicht mehr so wollte.

      Wir sind nicht immer zusammen gewesen. Vor unserer Heirat wa­ren wir eine Weile getrennt. Als wir wieder zusammenkamen, war ich etwas erfahrener in der Liebe. Sie ist zuerst eifersüchtig auf die gewesen, mit denen ich in allerlei beglückenden Variationen ge­spielt hatte, auch mit Lippen und Händen. Mit der Zeit hat sie aber nichts von dem abgelehnt, was ich ohne sie alles probiert hatte. Nur bei ihren Brüsten muss ich mit meinen Händen der grobe Jüngling bleiben. Sie räkelt sich dann nackt im hellen Licht des Nachmittags, als ob sie damit in unsere Jugend zurückfinden könnte. Sie hat immer noch die gleiche Frisur, mit der ich sie einst kennenlernte. Nur sind die kurzgeschorenen, einmal braunen Haare, grau geworden. Das magere Mädchen von damals ist sie nicht mehr. Alles ist üppiger an ihr geworden, die Arme, die Hüf­ten, die Schenkel, der Hintern, die Schultern, und ihre einmal win­zigen Brüste haben mir mit den Jahren immer mehr in die Hände zum Drücken und Kneten gegeben, immer nach der Liebe. Sie hat es sogar im Krankenhaus gewollt, nach ihrer Blinddarmoperation, was auch ohne zu lieben in einem Dreibettzimmer aufregend ge­wesen ist. Ich kann mich nicht erinnern, wann wir anfingen, unsere einsam gewordenen Sonntage mit Schwarzwälder Kirschtorten zu versüßen und manchmal trunken vom Ihringer Wein ins Bett zu fallen. Indes haben wir Jahre durchgemacht, in denen wir uns nicht anrührten.

      Viel Geld habe ich nie verdient. Nur in der Zeit, als ich glaubte, ein Künstler zu sein, damals in der Provence, habe ich mehr Geld ge­habt als ich brauchte. Ich hielt es für viel.

      Danach habe ich eine Stelle bei Schmidl & Cie angenommen, zu einem angemessenen Gehalt. Die Schmidl Kuckucksuhren kennt man ja in der ganzen Welt. Nur in Frankreich wusste man nichts von den schönen, geschnitzten Wanduhren, bei denen einem ein Vögelchen die vergangene Stunde besingt. Kuckkuck – kuckuck. Französisch habe ich widerwillig in der Schule gelernt. Eigentlich wollte ich mein Gehirn nicht weiter mit unregelmäßigen Verben und Konjunktiv belasten. Aber... ! Je t’aime. – Tu sais qu’est-ce

      que ca veut dire ? Ich dachte, ich wüsste es. Da wollte ich mit die­sen redseligen Provenzalen mitquatschen und schäkern können, und ich begann die ungeliebte, dann doch geliebte Sprache, leid­lich zu beherrschen. Das hat mir dann als Schmidls Angestellter geholfen, die Kuckucksuhren in Frankreich zu verkaufen und in französische Wohnungen Schwarzwälder Romantik zu verbreite­ten. So lange Herr Schmidl lebte, habe ich jedes Jahr eine Gehalts­erhöhung bekommen, und immer ein wenig über dem, was nach dem Tarif Vorschrift gewesen wäre. Nach Schmidls Tod verkauf­ten seine beiden Kinder, Ariane und