Gerald Förster

Galisia


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      Wolf Gulau sträubte sich nicht mehr. Seine Kräfte waren verbraucht. Ein Schritt noch, ein dumpfes Fauchen. Finsternis. Das Zahlenschloss ratterte. Dann war es still.

      Kapitel 1

       Niemand kann zwei Herren dienen: entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird dem einen anhangen und den andern verachten.

       (Bergpredigt, Matthäus 6,24)

      

      

      

      

      

      

      

      Es muss um 1820 bei einem Dampferausflug auf dem Rhein geschehen sein: Der als Schöngeist geltende preußische Kronprinz und spätere König Friedrich Wilhelm IV. verliebte sich unsterblich in das malerische Flusstal, und um sich seiner neuen Liaison ausgiebiger widmen zu können, ließ er sich auf den Fundamenten der mittelalterlichen Burgruine Stolzenfels eine Sommerresidenz errichten. Die »Perle der Rheinromantik«, als die das gleichnamige Schloss bis heute bezeichnet wird, hatte sich nach mehreren Besitzerwechseln lange Zeit in Landeseigentum befunden, bis es im letzten Jahr wieder privatisiert worden war. Der Vorstandschef von EuroPharm, dem größten Pharmaunternehmen der Welt, hatte sich das ehrwürdige Gemäuer als lieu de villégiature und späteren Alterssitz auserkoren. Von den Dividenden eines einzigen Jahres hatte er sich seinen lang gehegten Wunsch, ein eigenes Schloss zu besitzen, leicht erfüllen können. Wie nahezu alle historischen Herrenhäuser war nun auch die »Stolze Schöne« in die Hände eines Wirtschafts- oder Politikmächtigen gewechselt, und auf dem Schlossberg, den man nach seinem Verkauf mit einer videoüberwachten Umzäunung gesichert hatte, war es still geworden.

      In dieser Nacht war der Stolzenfels’sche Friede jäh gestört worden. Blaulichter umkreisten den Innenhof. Hell erleuchtete Treppenhäuser und hektisches Tun und Treiben auf den Fluren zeugten von einem schwerwiegenden Zwischenfall. Schlag zwölf war auf dem Monitor, der die obere Etage überwacht, die elektronische Lebensanzeige erloschen. Ein Wachmann hatte daraufhin die Polizei alarmiert. Rikard Avaran, einer der einflussreichsten Männer der deutschen Industrie, lag tot in seinem Schlafgemach.

      Um viertel nach eins hatte man Hauptkommissar Brandt benachrichtigt. Die Stadt ist wie ausgestorben, bemerkte er auf der kurzen Fahrt von seiner kleinen Wohnung am Florinsmarkt zum Schloss. Sommerliche Temperaturen hätten in einer Nacht wie dieser vor nicht allzu langer Zeit noch für gut gefüllte Weinlokale und reges Treiben am Deutschen Eck gesorgt. Auf den Straßen aber herrschte leere Tristesse, wie in jeder Nacht seit der Ausgangssperre. Außer einem Patrouillenfahrzeug des Militärs blieb es leer auf dem linken Rheinufer. Er lenkte den alten Daimler die Serpentinen zum Schloss hinauf. Gegenüber dem Torwächterhaus gewahrte er, im Schutze der Bäume, mehrere dunkel gekleideter Gestalten, die Richtmikrophone und Kameras bei sich trugen. Er stoppte seinen Wagen an der provisorischen Absperrung und zeigte dem Posten seine Polizeimarke. »Ich frage mich, wie diese Zeitungsfritzen schon wieder Wind davon bekommen konnten.«

      »Lästiges Pack! Wir kümmern uns darum«, winkte der mit verächtlicher Geste ab und ließ den Kommissar, nachdem er noch einen Blick in den Fond geworfen hatte, passieren.

      Als Brandt eintrat, fand er den Rechtsmediziner, Jan Uhland, bereits geschäftig über den toten Hausherrn gebeugt. Uhland, ein drahtiger Mittvierziger mit kernig-markanten Zügen, der sein Haupthaar so kurz trug wie seinen Dreitagebart, galt als Koryphäe der forensischen Pathologie. Sie warfen sich einen kurzen Blick zu.

      »Doc, was gibt’s?«

      »Einsetzender rigor mortis.« Er klang mürrisch, wie immer, wenn man ihn aus dem Schlaf gerissen hatte.

      »Und das heißt?«, fragte Brandt müde.

      »Exitus vor höchstens zwei Stunden.«

      »Kannst du schon etwas zur Todesursache sagen?«

      »Letale Intoxikation. Er hat einen Einstich am Hals, stark gerötet und von einer ringförmigen Schwellung umgeben. Ihm wurde eine giftige Substanz injiziert.«

      In all seinen Jahren bei der Mordkommission war Brandt der Tod schon in jeder denkbaren Variante begegnet. Ein Giftmord also. Abgesehen von der Prominenz des Opfers auf den ersten Blick nichts Außergewöhnliches. »Gift«, wiederholte er deshalb eher ungerührt.

      »Ein Giftmischer, der an Gift gestorben ist. Da sage noch einer, die Welt sei nicht gerecht.« Wenn es neben dem Analysieren toten Gebeins eine zweite Passion in Uhlands Leben gab, dann war es seine erfrischende Renitenz, die sich gern in semantischem Feinsinn, bisweilen auch in bitterbösem Sarkasmus äußerte. Gesellschaftliche Mechanismen sezierte er mit Worten ebenso messerscharf wie eine Leiche mit dem Skalpell. Ungefragt aber blieb er eher wortkarg. Den Mainstream bedachte Uhland allenfalls mit einem gleichgültigen Schulterzucken, und was seine Lebensplanung anging, gab er den klassischen Modellen bedenkenlos das Nachsehen. Er lebte in einer alten, von Efeu umrankten Wassermühle an einem Eifelflüsschen, zusammen mit seiner koreanischen Lebensgefährtin, kinderlos, glücklich und ohne Ambitionen auf staatlichen oder gar kirchlichen Segen. Er und Brandt arbeiteten seit vielen Jahren zusammen. Ihre anfängliche gegenseitige Wertschätzung war im Laufe der Zeit zu einer soliden Freundschaft herangewachsen. Der Kommissar schätzte ihn als kompetenten Fachmann und Ratgeber, ebenso wie als guten Zuhörer.

      »Hat er sich gewehrt?«

      »Ich schätze, dafür fehlte ihm die Gelegenheit. Er hat eine leichte Schnittverletzung am Hals, so, als wäre ihm ein Messer an die Kehle gehalten worden bis das Gift wirkte. Mehr nach der Obduktion.«

      »Habt ihr ein Tatwerkzeug gefunden?«

      »Nein, nichts. Aber das hier solltest du dir ansehen.« Uhland schob die Decke beiseite.

      Brandt riss die Augen auf. »Was ist das?«

      »Nun, wenn du mich so direkt fragst, das ist ein A.«

      Der Kommissar sah den Doktor strafend an. »Was du nicht sagst.«

      »Eine Verbrennung, post mortem zugefügt.«

      »Du meinst, mit einem Brenneisen?«

      »Nein, es sieht eher aus, als hätte sich seine Kosmetikerin bei der Haarentfernung mit der Lasertemperatur vertan. Eine oberflächliche Hautverkohlung mit glatten, sauberen Wundrändern. Ich habe so etwas noch nie gesehen.«

      »Ein Laser? Warum lasert jemand seinem Opfer ein A auf die Brust? Eigenartig. Gibt es sonst noch etwas?«

      »Auf dem Kissen neben seinem Kopf lag ein Filmdragee. Es ist schon auf dem Weg ins Labor.«

      Brandt machte sich ein paar Notizen und wandte sich dann um. »Was hat die Auswertung der Satellitendaten ergeben?«, fragte er in Richtung der Spurensicherer, die damit beschäftigt waren, Türklinken und Mobiliar nach Fingerabdrücken und genetischem Material zu scannen.

      »Ich fürchte, wir haben ein Problem«, bemerkte einer der in weiße Overalls Gekleideten und drehte sich dabei langsam um. Anton Kallenbach war der Leiter des Erkennungsdienstes und, neben Uhland, wichtigster Mann in Brandts Team. Die beiden kannten sich schon aus Kindheitstagen. Zusammen waren sie zur Schule gegangen und gemeinsam hatten sie in Köln Kriminalwissenschaften studiert. Nach dem Studium trennten sich ihre Wege, und mehr als zehn Jahre später war es beiden wie eine glückliche Fügung erschienen, dass sie ihre Arbeit bei der Koblenzer Polizei wieder zusammengebracht hatte. Seinen alten Schwung hatte Kallenbach peu à peu gegen das Rundumbehagen eines erfüllten Familienlebens eingetauscht, und auch äußerlich machten sich die Jahre bemerkbar. Die hellblonde Lockenpracht hatte den Kampf gegen das Dahinschwinden aufgegeben, seine Sehkraft benötigte inzwischen das Zutun optischer Hilfsmittel und die Taille war längst nicht mehr die schmalste Stelle zwischen Brust und Hüfte. Ihn selbst focht es wenig an, dass die Zeiten vorbei waren, in denen er von Unterwäsche-Labels