Nox Laurentius Murawski

Terra Aluvis Vol. 1


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besah sich das abgebildete Motiv … und legte ihre Stirn in Falten. Was … hatte das zu bedeut- …?

      Celine zuckte jäh zusammen, als sie ein kaum hörbares Rascheln vernahm – und ließ die aufgedeckte Seherkarte wieder auf das Holz zu ihren Füßen fallen. Sämtliche Kerzen erloschen mit einem kurzen Zischen, dass es plötzlich vollkommen düster im Zimmer war.

      Totenstille.

      Nervös lauschend richtete sich die junge Frau auf und strich sich ihr langes, rotbraunes Haar aus dem Gesicht. Sie fühlte sich unangenehm aufgewühlt und vor allem angespannt. Eine ungute Ahnung beschlich sie …

      Da, wieder dieses Rascheln! Und da, da war es wieder! Wo kam es nur her? Mit huschendem Blick versuchte Celine, etwas in der unheilvollen Finsternis ihrer Wohnung zu erspähen, und ihre Hand klammerte sich verkrampft an die Tischecke, auf welcher sich der Kartenstapel befand. Dort, wieder ein Rascheln! Aber diesmal gleich mehrere! Und- …!

      Ihre geweiteten Augen blieben an einem pechschwarzen Schattenumriss in der Mitte des Zimmers hängen, welcher immer größer und größer wurde. Nun erkannte das Mädchen eine menschliche Gestalt – und obwohl diese vollständig in einen schwarzen Talar gehüllt war, so spürte Celine dennoch ihre immer deutlicher werdende Ausstrahlung: eine Präsenz tiefster Dunkelheit, welche jede einzelne Zelle ihres Körpers alarmierend aufschreien ließ, sofort die Flucht zu ergreifen! Was war das nur für eine Furcht, die sie übermannte? Und warum konnte sie sich nicht rühren?!

      Die junge Frau fühlte sich in einen Bann gezogen und war nicht in der Lage, ihren Blick von der immer näher kommenden Gestalt abzuwenden. Flach atmend wich sie zurück, bis sie das Fensterbrett im Rücken spürte. Wie aus weiter Ferne hörte Celine von der Straße hinter sich weiteres Rascheln. Eine Flucht war unmöglich. Und der vermummte Fremde im Raum vor ihr schloss ruhig und unaufhaltsam zu ihr auf und ließ sich damit alle Zeit der Welt – denn es gab kein Entrinnen.

      Das war der Moment, wo Celine endgültig in Panik verfiel.

      "W-was … was wollt ihr …?", kam es verzweifelt, fast wimmernd von ihr, "W-wer seid ihr …?" Der geheimnisvolle Gewandete verwehrte ihr jedoch jedwede Erklärung und blieb schweigend weniger als einen Schritt von ihr entfernt stehen. Keuchend fasste sich das Mädchen an die Brust, da sie plötzlich das er­stickende Gefühl hatte, als hätte sich eine Schlange um ihren Körper gewunden. "W-w- …" Ihre Worte blieben ihr im Hals stecken. Mit aller Kraft stützte sich Celine auf dem Tisch und dem Fensterbrett zugleich ab, so fürchtete sie, dass ihre Beine ihr jeden Moment den Dienst versagen würden.

      Ein Schmunzeln.

      Celine zuckte zusammen. Was war das gerade unter der Kapuze gewesen? Ein unkontrolliertes Zittern fuhr durch ihren ganzen Leib und mit einem Mal fühlten sich ihre Gliedmaßen so an, als wären sie von tausend feinsten Nadeln durchdrungen. "W-w- …!" Das Mädchen schnappte verstört nach Luft und griff sich an den Hals. Ihre Kehle brannte wie loderndes Feuer. Sie spürte ihre Zunge nicht mehr! W-warum nur …?!

      Das Schmunzeln wich einem Grinsen.

      Der verhüllte Fremde ließ eine blasse Hand unter dem rabenschwarzen Gewand zum Vorschein kommen und hielt einen langen Zeigefinger an die Stirn der jungen Frau, berührte sie jedoch nicht. Ein heißer Wirbel begann, sich von ihrem Kopf aus in den Rest ihres Körpers auszubreiten, und die stechenden Nadeln wichen einer versengenden Hitzeglut. Celine erschauderte wie im Fieberwahn und wankte, ehe sie sämtliches Gefühl in ihren Gliedern verlor. 'Du wirst uns jetzt folgen', vernahm sie schleichendem Gift gleich wispernde Worte in ihrem Geist, welcher sich daraufhin in tödlichen Qualen wand und ihr einen Schmerzensschrei entlockte. Der Schrei verließ nie ihre Lippen.

      ***

      "Welch herrliches Wetter, findest du nicht auch, Sacris?", rief Lewyn lachend und lief in die leuchtend grüne Wiese hinein, wobei seine Hände durch die hohen Grasspitzen kämmten. Sein hüftlanges, hellblondes Haar schillerte im ungetrübten Sonnenlicht, während seine saphirfarbenen Augen mit dem Himmel um das reinere Blau rangen. Ein beiges Schnürgewand umflatterte seinen schlanken Körper und fügte sich fließend in die Bewegungen des leichten Windes ein.

      Sacris musste unwillkürlich lächeln, als er seinen Freund so munter sah. Ja, das machte ihn aus … Wenn Lewyn lachte, glich er selbst einer strahlenden Sonne, die ihre Umgebung mit ihrem warmen Licht erhellte. Der junge Mann strich sich eine Strähne seines dunklen, handlangen Haares aus dem Gesicht und schritt auf sein Gegenüber zu. Er selbst trug ein weißes, nur zur Hälfte zugeknöpftes Leinenhemd – wodurch ein einfacher Anhänger auf der Brust zum Vorschein kam – und eine bequeme, dunkelbraune Schnürhose. In der Nähe seines Freundes blieb der Prinz schließlich stehen, stemmte die Hände in die Seiten und blickte grinsend zum klaren Himmel hinauf. "Tja, wie könnte es denn auch anders sein, wo wir doch heute unseren Ausflug zu den Nayayami Wasserfällen machen werden?"

      Bei der Erwähnung des Ausfluges wurde sein Gefährte von einer derart, ja, kindlichen Begeisterung ergriffen, worauf in diesem Moment vermutlich niemandem in den Sinn gekommen wäre, dass Lewyn bereits neunzehn Sommer zählte. "Und da sollten wir die Pferde auch nicht länger warten lassen …!", lachte der Blonde heiter und schlug dem dunkelhaarigen Mann verspielt gegen die kräftige Schulter, "Na los, brechen wir auf!" Er machte auf dem Absatz kehrt und rannte fröhlich die Wiese zur Prinzresidenz zurück. "Und beeil dich, Sacris, sonst bist du wieder Letzter!" Jener schüttelte den Kopf und folgte seinem Gefährten lachend.

      Die Prinzresidenz befand sich einen guten Tagesritt nördlich von Hymaetica jenseits der Gebirgsarme, die den Tical umgaben. Sie lag weithin abgegrenzt und eher unscheinbar in einer wunderbaren Seenlandschaft an der Grenze zu den Auen der Tausend Seen und den Bergen. So prunkvoll der Name auch klang, bezeichnete er jedoch nur ein verhältnismäßig schlichtes Haus, das auch nicht unbedingt mehr als das Nötigste zu bieten hatte: einen größeren Wohnraum mit einem Schlafplatz, eine Kochstelle mit einer kleinen Vorratskammer, etwas, das an ein Bad erinnern mochte, und eine kleine, private Bibliothek mit einem gemüt­lichen Kamin. In dieses Stübchen zog sich der Prinz zurück, wenn er seinen Studien nachgehen oder in Stille lesen wollte. Vom Bad pflegte Sacris in der Regel kaum Gebrauch zu machen, denn das Wasser der Seen war kristallklar und quellfrisch. Zusätzlich zu allem anderen hatte er sich eine Art Pavillon errichten lassen, welcher ihm eine wunderbare Möglichkeit bot, seine Gedanken zum Abend hin einfach nur schweifen zu lassen – so ganz am Ende einer schmalen Landzunge in den See hinein errichtet, mochte manch einer zuweilen meinen, ganz umringt von Wasser zu sein …

      Somit glich die Prinzresidenz mehr einer Zuflucht vor dem Alltag denn etwas anderem. Lewyn hatte seinen Freund einst gefragt, warum sich jener als eigenen Wohnsitz etwas derart Bescheidenes ausgesucht hatte, wo er sich doch als Prinz hätte einen halben Palast erbauen lassen können …! Daraufhin hatte Sacris lediglich gelächelt und erklärt, er habe genau das gewählt, was für sein eigenes Gleichgewicht von Bedeutung gewesen wäre.

      "Dieses Mal nehmen wir aber bitte wieder unseren normalen Weg", sagte der Blonde, während sie mit ge­schulterten Rucksäcken das Haus verließen. "Ach, was hast du denn gegen unsere letzte Route gehabt?", grinste der Prinz daraufhin und schloss die Holztür hinter ihnen, "War dir die große Felsbrücke etwa zu viel gewesen?" Da sah ihn Lewyn ernst und kopfschüttelnd an und meinte: "Ich habe nichts gegen Felsbrücken an sich; aber wenn sie mehrere hundert Schritt lang sind und über eine verflucht tiefe Schlucht führen, während in der Breite kaum Platz für zwei Pferde ist – dann ja!", und er setzte seinen Weg über die Wiese zu ihren weidenden Reittieren fort.

      Sacris lachte und holte zu ihm auf. "Dadurch haben wir aber nun mal gut ein Fünftel an Weg gespart und waren so auch viel früher bei den Wasserfällen – abgesehen davon war die Aussicht von dort oben ja wohl wirklich genial!" Doch sein Freund schüttelte abermals heftig den Kopf und winkte dabei vernichtend mit einer Hand ab. "Oh, geh mir bloß weg mit deiner verdammten Aussicht!" Und er ahmte plötzlich die überaus begeisterte Stimme des Prinzen nach: "'Ach, komm schon Lewyn, die Aussicht dort ist bestimmt klasse! Lass uns dort hinüber reiten! Na komm schon, Lewyn! Du wirst es bestimmt nicht bereuen!'"

      Sacris grinste daraufhin schelmisch, beugte sich seitlich zu seinem langhaarigen Gefährten hin und zog ihn mit singender Stimme auf: "Du hast doch einfach nur Hö~hen~angst, gib's