Nox Laurentius Murawski

Terra Aluvis Vol. 1


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noch mit beschwichtigend erhobener Hand hinzu: "Und nein, ich selbst glaube auch nicht, dass es die Wölfe gewesen sind, die unsere Schilde durchdrungen haben. Das schaffen sie nämlich gar nicht. Abgesehen davon hätten diese wenigstens Fährten hinterlassen. Und dass sie 'magische Wesen' sein sollen?", er lachte und führte seinen Monolog sarkastisch fort, "Tseh, das glaubt ihr ja wohl selbst nicht …! So etwas wie Magie gibt es nicht. Alles lässt sich logisch begründen. Irrationale Erklärungen sind völliger Unfug."

      Der König redete ununterbrochen weiter und benutzte dabei eine Hand zur Argumentation. "Zudem gibt es nur ausgewählte Tiere, die wir mit Chips versehen haben, damit sie durch die Schilde hindurchgelangen können", und er ließ die andere Hand der ersten in die Höhe folgen, "Aber auch das nur, weil Händler und Reisende ihre Pferde und Esel ansonsten jedes Mal vor den Städten zurücklassen müssten …!" Dann ließ der alte Mann plötzlich beide Hände fallen und schüttelte unglücklich den Kopf. "Aber, was rede ich da? Das wisst ihr ja alles schon." Er seufzte schwermütig und blickte wieder nachdenklich bedrückt zum Baum der Väter hinauf …

      Die beiden Freunde hörten dem König geduldig zu – so kannten sie seinen Hang zu Monologen nur zu gut – und liefen an seiner Seite entlang, während er gedankenverloren weitererzählte: "Ich frage mich, wie lange es noch dauern wird, bis es zum Krieg kommt; sei es der Krieg zwischen den Menschen und Elfen – oder … sei es der Krieg zwischen uns Menschen selbst …"

      Da merkte Sacris auf einmal beunruhigt an: "Vater, ich habe deinen Brief erhalten. Ist es wirklich wahr?" Der alte Mann nickte schweren Herzens und ließ seinen Kopf hängen. "Ja, mein Sohn, du hast richtig gelesen …", entgegnete er ihm, "Wir befinden uns in einer mehr als heiklen Situation. Wollen wir es der einen Seite recht machen, wird sich unweigerlich die andere gegen uns auflehnen", und Rex gestikulierte wieder mit den Händen, "Bewahren wir also den Frieden im Inneren unseres Reiches, werden wir uns mit den Elfen bekriegen – sind wir mit den Elfen im Reinen, zerbricht unser Reich … So oder so: Es wird Krieg geben."

      Da ergriff Lewyn verständnislos das Wort: "Aber … was ist dann bloß sonst für das Verschwinden der Menschen verantwortlich, wenn nicht irgendwelche Bestien? Wenn wir doch nur endlich den wahren Grund herausfinden könnten, wären beide Probleme auf einmal gelöst, oder?" Sacris nickte langsam und fragte: "Haben deine Landeskundschafter denn mittler­­weile etwas herausfinden können, Vater?" Doch König Faryen seufzte und schüttelte den Kopf. "Nein, nichts …", meinte er bedauernd und atmete einmal tief durch.

      Daraufhin dachte der Prinz lange nach und runzelte schließlich die Stirn. "Aber … wenn das so ist, was wirst du dann jetzt machen, Vater? Ein Krieg im inneren des Reiches würde alles zunichte machen, wofür du dich in deinem Leben eingesetzt hast. Und eine offene Auseinandersetzung mit den Elfen-" – "Weißt du, mein Sohn …", unterbrach ihn der König auf einmal mit auffallend träger Stimme und einem fatalistischen Lächeln, "… ich bin mit meinen Kräften langsam am Ende …" – "Vater …?" Sacris sah ihn latent bestürzt an. "Was hat das … zu bedeuten …?"

      Der König blieb stehen und schaute seinen Sohn müde, sehr müde an. Die Ringe um seine dunklen Augen waren tiefer als alle anderen Falten in seinem alten und vom Leben gezeichneten Gesicht. "Meine Zeit geht langsam aber sicher zu Ende …", und er legte ihm bedeutungsvoll nickend eine Hand auf die Schulter, "Nicht mehr lange und du wirst meine Nachfolge antreten, weißt du? Nur noch zwei Jahre, dann hast du endlich deinen dreiundzwanzigsten Geburtstag erreicht … Dann wirst du … der neue König sein …"

      Rex Faryen ließ erneut ein tiefes Seufzen hören und murmelte unhörbar: "Ja, ja, … der neue König …", und er wandte sich unter geistesabwesendem Nicken ab, um weiterzugehen. Weder Sacris noch Lewyn behagte der Tonfall, welchen er an den Tag legte. So beschleunigte der Prinz seine Schritte, um zu seinem Vater aufzuholen. "Ja, ja …", nickte der alte Mann geistesabwesend fort, "Und unter Umständen wird es gar nicht nötig sein, so lange zu warten …" Da rief Sacris sofort: "Vater, was- …?!", doch er konnte nicht weitersprechen, denn der König hatte ihm einen Finger auf den Mund gelegt. "Nur Geduld … nur Geduld, mein Sohn …", sprach jener ruhig und entschieden, "Die Zeit wird alles offenbaren." Rex lächelte matt und schritt fort.

      Sein Sohn ließ jedoch nicht von ihm ab und fragte verzweifelt: "Aber Vater, was … was soll ich bloß tun …? Ich habe doch nicht die geringste Ahnung, wie ich an deiner statt mit diesem Konflikt umgehen soll!" Der König blieb daraufhin erneut stehen und sah ihn ernst und unerwartet streng an. "Halte deinen Geist wach, gehe mit offenen Augen und Ohren durch diese Welt und versuche, sie mit all ihren Elementen zu begreifen", sprach er bedächtig, "Tue dies, mein Sohn, und der Weg wird sich dir offenbar-"

      Dann bekam der alte Mann aber plötzlich einen solch heftigen Hustenanfall, dass er sich an der nächsten Säule abstützten musste. Sacris' Augen weiteten sich in jähem Schreck. "Doch nicht etwa …!", flüsterte er mit hörbarem Bangen, aber sein Vater richtete sich geschwind wieder auf und sagte mit dem Rücken zu ihnen gewandt: "Ich werde mich jetzt zurückziehen. Bitte, fühlt euch in diesem Palast zu Hause … wie es schon immer der Fall gewesen ist." Und er entfernte sich – die beiden jungen Männer allein im Thronsaal zurücklassend.

      Lewyns Blick hatte im letzten Moment weniger dem sich entfernenden König als vielmehr einem Schatten hinter einer gegenüberliegenden Säule gegolten; doch als er ein zweites Mal hingesehen hatte, war jener verschwunden. Er legte die Stirn in Falten und wandte sich schließlich dem Prinzen zu – welcher seinem Vater noch immer sichtlich besorgt hinterher blickte.

      "Sacris …", der Blonde erfasste vorsichtig dessen Arm und lenkte ihn langsam von der Tür weg. "Er ist wieder erkrankt …", stellte Sacris mit belegter Stimme fest und schaute seinen Freund dabei beklommen, ja, entsetzt an, "Es ist genauso wie damals …! Es ist genau dasselbe …!" Danach wandte der dunkelhaarige Mann seinen Kopf sofort wieder zur Tür hin und starrte seinem Vater nach. Lewyn seufzte und richtete den Blick seines Gefährten mit einer entschiedenen Handbewegung zurück auf sich. "Sacris, nun hör mir mal zu … – Mensch, Sacris …!" Der Blonde hielt seinen Freund am Kopf fest, da jener erneut Anstalten machte, in Richtung des Königs zu schauen. "Bitte, Sacris", redete Lewyn auf ihn ein, "Ich weiß nicht im Geringsten, was ich von der ganzen Sache hier halten soll, aber es wird dir mit Sicherheit nichts nützen, einfach nur auf der Stelle stehenzubleiben und abzuwarten, bis sich irgendetwas aus heiterem Himmel ergibt! Also komm mit. Wir sollten jetzt gehen", und der langhaarige Mann zog ihn dabei mit sanfter Gewalt, aber entschlossen an der Hand zum Ausgang des Palastes, "Hier werden wir schließlich nichts weiter über Celines Verschwinden herausfinden. Und deinem Vater können wir auch nicht helfen – und das weißt du genauso gut wie ich."

      Hymaetica Aluvis war eine schöne Stadt. Sie lag in einer weiten Bucht, zu beiden Seiten von Ausläufern des Gebirges des Grauens geschützt, am Ozean der Träume. Das Tal zwischen den Bergarmen erstreckte sich mehr als eine Wochenreise zu Pferd ins Landesinnere hinein. Am Fluss Tical, welcher das Tal geformt hatte, waren viele weitere Dörfer angesiedelt, die zu den Bergen hin immer kleiner wurden und sich zwischen den hohen Gipfelkämmen mehr und mehr in der Einsamkeit verloren. Es hieß, der Einflussbereich des Königs erreichte die andere Seite der großen Gebirgskette nicht und die Menschen, die dort an der Grenze zu den Wüsten von Rayuv lebten, waren ihre eigenen Herrscher – ungebändigt und völlig frei von Gesetzen und Regeln des Königreiches.

      Das Reich selber wurde von König Faryen III regiert. Seine Berater bildeten einen Zirkel, welchem man nachsagte, dass der König selbst nicht einmal um ihre wahren Absichten wusste. Sie lebten abgeschottet und machten aus allem, was sie taten, ein Geheimnis. Man nannte sie 'die Wissenden'.

      Das Einzige, was man über sie wusste, war, dass sie wohl diejenigen gewesen waren, welche die Schilde errichtet und auch dafür gesorgt hatten, dass es zumindest in Hymaetica und den vier Grafenstädten 'fließendes Wasser aus den Wänden heraus' gab. Die Menschen fanden sie in ihren dunkelblauen Roben mehr als unheimlich, denn schließlich wusste niemand, was in ihren Köpfen vorging. Die Wissenden hingegen vermittelten den Menschen den unangenehmen Eindruck, als würden sie über alles und jeden Bescheid wissen – und die Bezeichnung ihres Zirkels unterstrich dies auf eine ironische Art und Weise.

      Die Einwohner Hymaeticas waren ein bunt gemischtes Völk­chen. So wandelten einige in bewusst schlicht