Nox Laurentius Murawski

Terra Aluvis Vol. 1


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möchte gerne noch einige Jahre am Leben bleiben." Das Grinsen des Prinzen wurde breiter, als er beteuerte: "Aber ich weiß gar nicht, was du hast …! Es ist doch gar nichts passiert! Ich meine: Du lebst, ich lebe, Lydia lebt, Concurius lebt. Was willst du mehr?" Infolgedessen wandte sich ihm Lewyn gereizt zu und ergänzte bestimmt: "Aber meine Nerven leben danach nun mal nicht mehr!" – "Oooh, deine Nerven …!", wiederholte der dunkelhaarige Mann daraufhin übertrieben mitleidig und sah ihn aus großen, mit Wimpern klimpernden, dunkelbraunen Augen an. "Vergiss es!", schüttelte der Blonde entschlossen den Kopf, "Mich kriegst du dort nicht nochmal rüber!"

      Da schlug Sacris spontan vor: "Nun, wir könnten dir auch einfach die Augen verbinden; dann siehst du den Abgrund nicht mehr. Lydia bringt dich vollkommen sicher hinüber, auch ohne deine Hilfe." – "Ja, davon bin ich überzeugt", murrte Lewyn missmutig und stapfte finster vor sich hin. Auf diese Reaktion hin fügte der Prinz mit einem provozierenden Grinsen hinzu: "Oder vielleicht gerade ohne deine Hilfe?" – "Oargh!", empörte sich der Blonde augenblicklich, verengte die Augen zu Schlitzen und fauchte ihn wild an, "Jetzt reicht's aber! Ich verbinde dir auch gleich deine Augen – und deine Arme und Beine noch dazu! – und werfe dich danach am besten hier in den See! Und dann werden wir ja sehen, wer ohne wessen Hilfe klarkommt!" Sacris lachte darauf nur und entgegnete: "Achja? Dazu müsstest du mich überhaupt erst einmal zu fassen kriegen!" Und er machte einen flinken Satz zur Seite, als Lewyn sogleich nach ihm griff.

      Da ließen beide Männer plötzlich ihre Rucksäcke ins Gras fallen und lieferten sich eine erbitterte Verfolgungsjagd. "Ich kriege dich noch, du elender Idiot!", knurrte der Blonde, während sein dunkelhaariger Gefährte laut lachend vor ihm davonrannte. "Na los, komm doch! Komm doch!", rief Sacris neckend hinter sich, "Mensch, bist du langsam, Lewyn! Wirst du etwa schon alt?" Als sein Freund daraufhin abermals knurrte und einen Zahn zulegte, lachte der Prinz – einfach herrlich amüsiert! – noch lauter los und wurde ebenfalls schneller.

      Sie hatten den Rand des Sees bei der Prinzresidenz erreicht und preschten nun durch das hohe Ufergras. Sacris blickte dabei immer wieder grinsend hinter sich und ließ seinen Gefährten ganz kontrolliert fast an sich herankommen, ehe er ihm erneut davonrannte – und ihm anschließend wiederholt eine vermeintliche Chance gab, ihn einzuholen.

      "Argh, jetz- …!", begann Lewyn, rutschte dann aber unerwartet am schlammigen Boden aus, stolperte dadurch zur Seite ins Schilf weg und … landete geräuschvoll im tiefen See. Als der Blonde kurz darauf wieder gurgelnd an die Wasseroberfläche kam – und mit den Armen rudernd seine langen, nassen Haare nach hinten strich, um Luft zu bekommen – hockte der Prinz bereits am Ufer und sah ihn besorgt an. "Hey, Lewyn", fragte jener ernst nach, "Alles in Ord- …?" Da fühle Sacris jäh eine Hand an seinem Unterarm und fiel kurz darauf ebenfalls ins kalte Gewässer. Als er daraufhin auftauchte und das Wasser aus seinen Lungen heraus hustete, blickte ihn sein Freund mit einem triumphierenden Grinsen an. "Was-", doch dann stellte der dunkelhaarige Mann fest, dass er ihn an seinem Anhänger festhielt.

      "Tja, 'gefangen', würde ich dann mal sagen", meinte Lewyn feixend und schwamm rückwärts weiter in den See hinein, während er seinen neuen Gefangenen mit der Rechten hinter sich herzog. Perplex schaute Sacris von der Hand an seiner Halskette zu seinem Freund auf und war auf einmal gezwungen, hinter ihm her zu schwimmen, weil der Zug an seinem Hals zu stark wurde. "Lewyn, ich … ich hoffe doch sehr, … dass deine 'Ich-ertränke-meinen-besten-Freund-im-See' – Aktion nicht ernst gemeint war …", gab der Prinz ein wenig beunruhigt von sich, während er ihm in die Tiefen des Gewässers hinaus folgte.

      Der Blonde hatte sich halb von ihm weggedreht, um besser voranschwimmen zu können, und lachte nun betont bösartig auf. "Nyahaha, das ist dein Ende, Freundchen! Gleich wirst du geknebelt, gefoltert, ertränkt und an die Fische verfüttert! Und dasselbe tue ich mit Concurius und Lydia – damit mich niemals je wieder jemand über diese verdammte Felsbrücke schleifen kann!"

      "Ach, und dann auch noch unsere armen Pferde?", klagte Sacris wehleidig und verdrehte die Augen, "Die haben dir nun wahrlich nichts getan!" Dann seufzte er jedoch auf einmal leise und meinte resigniert: "Tja, weißt du, wenn nur ich allein davon betroffen wäre, wäre das ja was ganz Anderes – doch unter diesen Umständen …", und er packte mit einem Mal das Handgelenk seines Freundes, drehte es dabei routiniert herum, bis jener seinen Anhänger loslassen musste, und zog Lewyn selbst danach entschieden zu sich her, "… lässt du mir keine andere Wahl."

      Lewyn schnappte überrascht nach Luft, als er sich plötzlich im Griff des Prinzen wiederfand. Seine Rechte – die doch noch eben dessen Kette festgehalten hatte! – befand sich nunmehr bewegungsunfähig auf seinem Rücken und wurde durch die Linke seines dunkelhaarigen Gefährten fixiert. Zudem hatte Sacris den anderen Arm sicher um seinen Hals gelegt und zitierte mit einer nicht zu verkennenden Spur von Selbstzufriedenheit: "'Tja, 'gefangen', würde ich dann mal sagen' …"

      Und während der Prinz sich und seinen sprachlosen Freund mit den Beinen rückwärts schwimmend wieder Richtung Ufer brachte, schloss er grinsend: "Nun, Lewyn, ich fürchte, das Ertränken wird wohl noch ein wenig warten müssen – bis du gelernt hast, große Fische auch festzuhalten, sobald du sie einmal gefangen hast." Jener wusste darauf nichts mehr zu sagen.

      Anschließend kehrten die beiden Männer zur Prinzresidenz zurück, zogen sich trockene Kleidung an und unternahmen schließlich einen zweiten Anlauf, um zu ihrem Ausflug aufzubrechen …

      Das Geräusch von rasch aufschlagenden Hufen ließ Lewyn vom Satteln seiner schneeweißen Stute aufblicken. "Erwartest du jemanden, Sacris?" Ein wenig verwirrt sah dieser ihn an. "Nein, … sollte ich? Schließlich wären wir eigentlich schon längst unterwegs." Der Blonde hob eine Augenbraue und blickte zum Horizont. "Nun, du bekommst Besuch … Da scheint es aber jemand wirklich eilig zu haben." Sacris runzelte die Stirn und folgte seinem Blick. Dann hörte auch er das näherkommende Hufschlagen und erspähte kurz darauf ein bemanntes Pferd auf dem schmalen Trampelpfad, welcher zur Residenz führte. Die dunkelblaue Tunika des Reiters trug das goldene Wappen des Königshauses.

      Mit einem Schnauben kam die große Stute direkt vor ihnen zum Stehen. Der Bursche – welcher nicht minder gehetzt aussah als sein Reittier – beugte sich zu ihnen hinab und reichte dem Prinzen einen ledernen, versiegelten Umschlag. Sacris schaffte es gerade noch, einen ratlosen Blick mit Lewyn zu wechseln und den Brief entgegenzunehmen, bevor der Junge auch schon atemlos zu erzählen begann: "Eure Hoheit …! Es … es ist furchtbar! Eure Freundin, Celine …!", er hielt keuchend inne, "Sie ist spurlos verschwunden!" Die Gesichter der jungen Männer entgleisten in Entsetzen.

      Während Lewyn zunächst gar nicht zu begreifen schien, was er soeben vernommen hatte und zu einer Verständnisfrage ansetzte, packte der Prinz den Boten am Arm und zog ihn näher zu sich heran. "Was sagst du da, Bursche?!" – "J-ja, Eure Königliche Hoheit!", fuhr jener hilflos fort, "A-als Seine Königliche Majestät davon erfahren hat, bin ich, b-bin ich sofort damit beauftragt worden, Euch davon in Kenntnis zu setzen …!" – "Was genau ist passiert?", setzte Sacris drängend nach, "Wann ist sie verschwunden? Wo ist sie verschwunden?!" Während er auf den Boten einredete, ruckte er mehrmals an dessen Arm und riss ihn dabei um Haares­­breite vom Sattel herunter.

      "Ich … i-ich weiß nicht, Eure Hoheit …!", erklärte der Gesandte eingeschüchtert stotternd, "S-sie sollte ja eigentlich in Eksaph sein! D-der Bote, den Ihr vor einigen Tagen zu ihr geschickt habt, konnte sie aber nirgends auffinden!" Er schüttelte mit ent­schuldigendem Bedauern den Kopf. "Und auch die Stadtbewohner wissen nicht, was mit ihr geschehen ist, ja, seit über einer Woche ist sie von keinem mehr gesehen worden! Ihre Wohnung verlassen, Fenster und Türen geöffnet, keine Nachricht, keine Spuren, nichts!"

      Der dunkelhaarige Prinz betrachtete ihn mit verengten Augen und legte in deutlichem Missfallen die Stirn in Falten … Ihm gefiel nicht, was er da hörte. Und der Gedanke an die Konse­quenzen des Ganzen gefiel ihm noch weit weniger.

      Der Bote bekam es bei diesem Anblick mit der Angst zu tun und hob beschwichtigend die Hände in die Höhe. "Bitte, d-das ist alles, was ich weiß!" Doch der Ausdruck in den dunklen Augen des Kronprinzen verfinsterte sich infolgedessen nur noch mehr, dass der schmächtige Knabe schon mit dem Schlimmsten rechnete und in einem Moment seinen Kopf rollen sah! – Und er rief flehend: "Oh bitte, Hoheit, vergebt mir! Ich überbringe Euch doch nur das,