Nox Laurentius Murawski

Terra Aluvis Vol. 1


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Die Menge um sie herum hielt den Atem an. "Sacris Faryen, Kronprinz und Erbe der königlichen Faryen Dynastie. Ich bin ebenfalls erfreut, Eure Bekanntschaft zu machen", sprach er betont nüchtern, "Würdet Ihr nun die Höflichkeit besitzen, mir Euren Namen zu nennen und zu erklären, was das hier zu bedeuten hat?"

      Lewyn wandte sich unterdessen an die sie umgebenden Leute und erhob die Stimme: "Also dann … Hier gibt es nichts weiter zu sehen! Geht nun bitte wieder eures Weges!", und er scheuchte sie gemächlich fort, "Los, geht schon, geht! Geht weiter!" So zerliefen sich die Menschen – die einen mehr, die anderen weniger murrend – allmählich wieder über den ganzen Markt, sodass die beiden Männer mit dem Jungen und der Frau alleine zurückblieben.

      Die blutroten Augen der Fremden hatten sich bei der Erwähnung des königlichen Status' für einen kurzen Moment geweitet, dann aber wieder ihren typisch zynischen Ausdruck angenommen. "Was mischt Ihr Euch denn bitte in meine Privat­angelegenheiten ein?!" Sacris hob die Augenbraue daraufhin erneut, behielt jedoch seine Fassung. "Verzeiht, aber durch Euer auffälliges Störverhalten habt Ihr es gerade zu einer sehr öffentlichen Angelegenheit gemacht."

      In diesem Moment erschien eine kleine Stadtpatrouille in ihrem Sichtfeld, welche bereits in ihre Richtung eilte. Das war dem Prinzen nicht entgangen, so fuhr er knapp zu dieser hin nickend fort: "Wenn Ihr Euch weigert, mir Euren Namen zu nennen, kann ich Euch selbstverständlich auch gerne gleich den Henxern dort übergeben." Als die henxischen Wachen Seine Königliche Hoheit erkannten, blieben sie demonstrativ stehen, als würden sie auf eine Art Anweisung warten …

      Allmählich schien der Frau die Lage zu dämmern, in welcher sie sich befand, denn der Zug am Arm verringerte sich und sie nahm eine resignierte Haltung ein. Da ließ sie der junge Mann los und schickte die Patrouille mit einem Wink fort. "Laetitia … Laetitia Vendetta, wenn Ihr es genau wissen wollt", stellte sie sich mit einer giftigen Grimasse vor, die wohl einst ein Lächeln hätte werden sollen. "Laetitia Vendetta …", wiederholte Sacris langsam, "Gut, Laetitia. Nun sagt mir, was Euch das Recht gibt, diesen Jungen namens … Herby?, wenn ich es richtig verstanden habe, derartig anzugreifen?"

      Lewyn hatte sich derweil zu dem kleinen Knaben auf das Kopfsteinpflaster hingekniet und dessen Wange begutachtet. Das waren ja richtige Schnittwunden, aus denen er blutete …! "Das sieht aber gar nicht gut aus …", bemerkte der lang­haarige Mann sanft und schüttelte den Kopf. "Da hat sie dich ja ganz schön zugerichtet, was, Kleiner?" Mit einem freundlichen Lächeln versuchte er, das Kind zum Reden aufzumuntern. "Wie heißt du denn eigentlich?" Der Junge sah ihn zunächst verwirrt an, fing sich aber recht schnell und antwortete: "Ich … ich bin Herby."

      Lewyn lächelte erneut und tätschelte ihn. "Also gut, Herby-", ein ganz leichtes Kribbeln, welches sich plötzlich von den Fingern aus in seinen gesamten Körper ausbreitete, ließ den hellhaarigen Mann innerlich stocken – doch versuchte er, sich davon nichts anmerken zu lassen, und fuhr fort, als wäre nichts gewesen: "Sag, wieso ist sie denn so fürchterlich sauer auf dich?"

      Da wurde der Junge traurig und rief: "Sie ist immer so! Ständig schimpft sie mit mir und schlägt mich und-" In diesem Moment trat Laetitia mit einem ihrer schweren Lederstiefel zwischen die beiden und fing an, erneut zu keifen: "'Immer so'?! Pass auf, dass du dir nicht noch eine deftige Tracht Prügel für zu Hause einfängst!" – "Lasst ihn sprechen!", befahl der Prinz, welcher daran interessiert war, die näheren Umstände zu erfahren; so hatte sich die Frau geweigert, irgendeine Er­­klärung zu liefern.

      "Sie ist … immer so …?" Lewyn verzog ungläubig das Gesicht und sah fassungslos zu der Frau neben ihnen auf. "Ich dachte, eine Mutter … liebt ihr Kind …?" – "Er ist aber nicht mein Kind!", warf Laetitia angewidert mit lautstarkem Protest ein, "Ich bin zwar für seine Erziehung zuständig, aber ich würde mich erhängen, wäre diese Missgeburt mein Kind!" Und schon wollte sie wieder auf den armen Jungen losgehen, da hielt sie Sacris zum zweiten Mal zurück.

      "Ich träume …", wisperte Herby auf einmal leise und zog mit den Fingern einen Kreis über das staubige Kopfsteinpflaster vor ihnen, "Ich habe viele und seltsame Träume … Träume von Orten, an denen ich noch niemals zuvor gewesen bin, aber das Gefühl habe, dass es sie wirklich gibt …!", und er sah Lewyn mit einem Stirnrunzeln an, "Ich träume von Menschen, von Dingen … Alles so wirklich und doch so … sonderbar …" Während der Junge redete, verklärte sich sein Blick zunehmend, bis er derart geistesabwesend wirkte, als befände er sich in einer gänzlich anderen Sphäre. Und dennoch ruhten seine Augen ununterbrochen auf seinem langhaarigen Gegenüber, als würde er ihn ganz konzentriert ansehen …

      "Seht Ihr jetzt, wo das Problem liegt?!", rief Laetitia aufgebracht und ruderte in ihrer Rage mit den Armen, "Er spricht ständig von diesen Träumen und seinen ach so großen Prophezeiungen – Hirngespinste sind das, nichts als Hirngespinste!" – "Aber das ist doch kein Grund, gleich so gewalttätig zu werden …!", entgegnete Lewyn erschüttert und konnte seinen Blick vom befremdlichen Gesichtsausdruck des Kindes nur mit großer Mühe abwenden.

      "Schön! Die Verantwortung liegt jedoch bei mir, dass aus ihm ein anständiger Kerl und kein hirnrissiger 'Möchtegern-Traumseher' wird!", erwiderte die Fremde bissig und stemmte ihre Hände in die Seiten, "Und abgesehen davon, was wisst Ihr schon darüber …! Erst heute hat er wieder diesen irren Traum gehabt-" – "Es war kein Traum, sondern eine Vision gewesen …!", setzte Herby sofort mit gedämpfter und geheimnisvoller, ja, nahezu verschwörerischer Stimme zu einer Erzählung an.

      "Na, was hab ich gesagt?!", deutete die Frau mit dem Zeigefinger wütend auf das kleine Kind, "Ein Möchtegern-Traumseher! Man sollte ihn ordentlich-" – "Schht!", unterbrach sie der Blonde hastig, als er bemerkte, dass Herby wieder diesen entrückten Gesichtsausdruck annahm und wegzutreten begann.

      Dieser Junge war etwas Besonderes, dessen war sich Lewyn sicher. Seine Ausstrahlung, … seine Verhaltensweise, … seine ganze Erscheinung …! – All dies unterschied sich so sehr von dem, was dem jungen Mann bisher begegnet war, dass er sich gänzlich davon eingefangen fühlte. Herby weckte in ihm ein Interesse, das er nicht genauer zu erklären vermochte. Er kam einfach nicht umhin, den Worten dieses Kindes lauschen zu wollen …

      "Beim nächsten Vollmond werden sie kommen

      Die Gleichen, die in jene Siedlung eingedrungen sind

      Zum Berg des Ahiveth

      Und ihr Opfer wird bei ihnen sein

      Um es zu stoßen in den Schlund des Todes.

      Einer wird kommen, sie zu retten,

      Doch es wird vergebens sein …"

      Nach einer Weile klärte sich der Blick des Jungen wieder und er sah die beiden Männer ernst an, als erwartete er bestätigende Worte oder irgendeine Bewahrheitung seiner Vision. Ein unbehaglicher Moment der Stille entstand, in welchem zumindest Sacris für seinen Teil nicht das Geringste mit dem Gesagten anfangen konnte.

      "Nun …", meinte Lewyn nachdenklich, ohne den Blick von den hellen, klaren Augen des Jungen abzuwenden, "Sage mir, mein kleiner Freund: Wie sah es denn aus, das 'Opfer', das du gesehen hast …?" Daraufhin schloss Herby seine Lider und begann, langsam mit der Hand umherzuwirbeln. "Ihr Aussehen, ihr Aussehen …", murmelte er und zog unglücklich die Augenbrauen zusammen, "Ich … ich kann sie nicht sehen … Ich kann sie nicht erkennen …! Ich weiß nur, dass sie ein Mädchen ist."

      "Ein Mädchen?", hakte Lewyn zögernd nach; aber der Junge hörte ihn nicht und fuhr im Fluss seiner Gedanken fort: "Und die Person, die sie retten sollte, … sie … sie sah aus wie … – argh!", und er fasste sich angestrengt an die Stirn, "Wie sah sie bloß aus?! Es, es war ein Mann …! Ein Mann, ja …! Ein-", dann fiel es Herby wie Schuppen von den Augen und er starrte ganz unvermittelt Lewyn an. "Du warst es."

      "Was!?", entfuhr es dem Prinzen, welchem die Bedeutung jener Worte schlagartig klar wurde, "Weißt du, was du da gerade sagst, Bursche?! Du beliebst wohl zu scherzen, doch rate ich dir: Treib es nicht zu weit!" Vollkommen uneingeschüchtert ignorierte der kleine Junge ihn jedoch und sah allein sein langhaariges Gegenüber an, … welches seinen Blick still erwiderte.

      So schob Herby vorsichtig eine Hand nach vorne – sodass sich ihrer beider Fingerspitzen