Nox Laurentius Murawski

Terra Aluvis Vol. 1


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und den Ozean selbst zum Erstarren brachten. Manche behaupteten sogar, sie hätten sich bis in die Hochebene des Todes ausgebreitet: einem unwirtlichen Ort klirrender Kälte und frostiger Winde, an welchem kein Mensch – und war er noch so dick in warme Felle eingepackt! – den nächsten Morgen erlebte.

      Es gab verschiedene Rassen von Anderwesen und sie alle waren auf ihre Art und Weise intelligent und den Menschen, wenn auch nur entfernt, ähnlich. Eine von ihnen war als 'Exenier' bekannt. Sie waren die ersten, die einem be­gegneten, stieß man an der Küste entlang in den Norden vor. Diese Wesen hatten eine schuppig glänzende Haut, welche an die von Echsen erinnerte, Schwimmhäute zwischen ihren Fingern und kiemenartige Ohrenflossen. Sie waren an sich sehr agil und zäh und konnten nur in schattig feuchten Gebieten, wie an bewaldeten Seen und Flüssen, überleben – so trocknete die Sonne ihre Haut aus, dass es sie verbrennen mochte. Sie waren am schlimmsten auf die Menschen zu sprechen, sofern bei ihren Schnalz- und Zischgeräuschen überhaupt von 'Sprache' die Rede sein konnte. Intelligent waren sie zweifelsohne, aber nicht sonderlich kooperativ. Händler und Reisende mieden ihre Lebensräume in einem großem Bogen, denn sie brauchten keinen Anlass, um jemanden anzugreifen. Als Rechtferti­gung für ihr aggressives Verhalten schien ganz allein die Tatsache zu genügen, dass man noch am Leben war.

      Die Menschen erzählten sich von einer weiteren Rasse in den Bergen und Wäldern, die einem weitaus häufiger begegnen mochte, glücklicherweise jedoch wesentlich sanftmütiger zu sein pflegte. Sie wurden von den Menschen 'Tephias' genannt und erinnerten an teils aufrecht gehende, katzenartige Wesen. Sie waren zumindest aus der Ferne her niedlich anzusehen, wie sie sich entweder mit aufgeplustertem Fell in der Sonne fläzten oder gerade süße, reife Früchte von den Bäumen ernteten. Sie zählten eigentlich zu den Pflanzenfressern und lebten wie die Exenier in lockeren Gruppen zusammen. Nicht selten sah man sogar beide Arten in einer größeren Gemein­schaft miteinander leben. Ließ man sie in Ruhe, blieben sie friedlich und ignorierten einen schlichtweg; und so sollte man die Begegnung mit ihnen auch auf sich beruhen lassen. Ansonsten mochte bei dem betroffenen Tephia rasch seine Ader als 'Gelegenheitsfleischfresser' erwachen – und das nur, um den störenden Eindringling loszuwerden.

      Einer weiteren, weniger bekannten Art sagte man nach, im kalten Norden zu leben und den ewigen Wintern auf dem Eis die Stirn zu bieten. Kein Mensch hatte sie jemals zu Gesicht bekommen und doch gab es viele Gerüchte über sie …

      Einst war ein tollkühner Abenteurer nach langer Vorbereitung zur Hochebene des Todes aufgebrochen, um mehr über sie herauszufinden – so ungestillt war seine Neugierde über ihre rätselhafte Existenz jenseits des Eisgrenze gewesen. Er war nach langen Jahren zurückgekehrt, als man ihn schon längst tot gewähnt und eine Rückkehr für unmöglich gehalten hatte. Seine linke Hand sowie sein linkes Ohr waren abgefroren und das linke Auge vollkommen trüb gewesen. Der endlose Frost hatte seinen Tribut gefordert. Entstellt aber glücklich hatte er seine Aufzeichnungen dem Menschenvolk darbringen wollen. Doch noch bevor es dazu hatte kommen können, war seine Leiche in den Gassen aufgefunden worden – seine Aufzeichnungen entwendet. Nur eines hatte auf eine sonder­bare Art und Weise den Weg zu den Menschen gefunden; nämlich die Tatsache, dass jene Wesen die menschliche Sprache beherrschten. Seine Mitmenschen erwiesen ihm die letzte Ehre, indem sie die von ihm erforschte Art nach seinem Namen benannten: 'Nexus'.

      Auch die Elfen in ihren fernen Wäldern jenseits der Wüsten von Rayuv zählten zu den Anderwesen, obwohl sich die Menschen dank der Wissenden mit ihnen verständigen konnten und Frieden mit ihnen geschlossen hatten. Sie nannten sich selbst 'aelyphen' und waren neben den Menschen vermutlich das größte Volk, welches Terra Aluvis je besiedelt hatte. Sie lebten in Symbiose mit der Welt und all ihren Elementen, Tieren und Pflanzen, richteten sich nach den Strömen der Natur und gehorchten der Wahrerin des Gleichgewichts und allen Lebens: ah'nya. Die Menschen hielten nicht viel von dieser – in ihren Augen – primitiven Kultur, waren soweit jedoch froh, jenes zweifelsohne mächtige Volk nicht auch noch gegen sich zu haben.

      Es gab einen großen Landstrich an der Westküste, welcher von sanften Hügeln geformt und von fruchtbaren Weiden und reichen Gewässern durchzogen war. Selbst die Winde und Schauer glichen einem süßen Flüstern und leisen Rieseln, wenn sie über jene Wiesen, 'die Auen der Tausend Seen', zogen. Sie waren das heilige Herzstück des Anderreiches und keinem Menschen zugänglich.

      Es hieß, einst hatten die Menschen mit den Anderwesen zusammen in jenen Auen gelebt. Eines bitteren Tages war dann etwas geschehen, was die Menschen in Ungnade hatte fallen lassen. Daraufhin hatten sich die Anderwesen gegen sie verbündet und gewaltsam aus ihrem Reich verstoßen – nur wobei es sich bei dieser Tat eigentlich gehandelt hatte, war weitestgehend ungeklärt geblieben. Seitdem hatten die Menschen zusehen müssen, wie sie alleine mit den weniger fruchtbaren Böden des südlichen Gebirges und dem trockeneren Klima zurechtkamen.

      Als Lewyn bereits eine ganze Weile geritten war, kam er dann doch nicht umhin, sein Pferd wenigstens einmal zu wenden, um einen letzten Blick auf das so sehr geliebte Hymaetica Aluvis zu werfen …

      Glitzernd lag es da in der Bucht des Tical, schillernd im Sonnenlicht, das sich seinen Weg durch die dichten Wolken vom Osten her bahnte und die Hauptstadt der Menschen in all ihrer Pracht erstrahlen ließ. Der Blonde seufzte und wollte sich wieder abwenden, da bemerkte er eine dünne Rauchfahne bei den Weidenhängen südlich der Stadt. Er stockte und flüsterte: "Die alte Mühle …"

      Erinnerungen an seine gemeinsame Kindheit und Jugend mit Sacris flackerten in seinem Geiste auf und ließen ihn für einen kurzen Augenblick an seinem Vorhaben zweifeln. Lewyn zögerte und betrachtete noch einmal flüchtig die rauchende Ruine in der Ferne – bevor er heftig den Kopf schüttelte und seine Stute erneut wenden ließ.

      Wesentlich schwerer fiel es dem jungen Mann plötzlich, seinen Weg fortzusetzen und weiterzureiten, obwohl er sich immer wieder einredete, dass das Ganze gar keine Bedeutung hatte und dass es so etwas wie 'höhere Zeichen' gar nicht gab, und … und überhaupt sollte er sich endlich zusammenreißen und auf das konzentrieren, was vor ihm lag, anstatt dem nachzutrauern, was er gerade dabei war, hinter sich zu lassen, verdammt nochmal aber auch!

      ***

      "Eure Hoheit …? Eure Hoheit …!" Sacris raunte etwas Unverständliches vor sich hin und öffnete widerwillig die Augen. "Eure Königliche Hoheit, wie lange gedenkt Ihr noch zu schlafen? Die Sonne hat schon längst ihren Zenit überschritten und Seine Majestät, der König, lässt nach Euch rufen."

      Der Prinz schloss seine Augen wieder und zog die Decke murrend über den Kopf, wobei er sich zur Seite wegdrehte und keinen weiteren Ton von sich gab – eine eindeutige Reaktion. "Wie Ihr wünscht, Eure Königliche Hoheit. Ich werde Eure Antwort umgehend Seiner Königlichen Majestät ausrichten." Anschließend war ein behutsames Schreiten und das Geräusch einer leise ins Schloss fallenden Tür zu vernehmen.

      Sacris hatte seine Lider wieder geöffnet und die Decke umgeschlagen. Er hatte das Gefühl, dass es keinen Muskel an seinem Körper gab, der sich in der vergangenen Nacht nicht verkrampft hatte; und ihn fröstelte es unentwegt, als hätte er die Kälte des Windes selbst in sich aufgesogen. Seine Augen brannten und er fühlte sich einfach erschöpft, müde und ausgelaugt.

      Gleichzeitig wusste der junge Mann jedoch, dass er nicht würde schlafen können: Seit dem Morgengrauen war er zwar ab und zu immer wieder in einen leichten Halbschlaf gefallen, doch niemals wirklich zur Ruhe gekommen. Allerdings war ihm gerade auch alles andere als nach Aufstehen und der Begegnung mit seinem Vater – nicht zu vergessen dessen 'allwissendem Berater' und all den anderen aufgeputzten Witzfiguren im Palast. Nein, nein … Er wollte lediglich hier liegenbleiben und-

      Die Tür des Zimmers schwang auf und ein alter Mann in purpurnem, mit Pelz umsäumtem Mantel, dunkelblauen Gewändern und einem goldenen, edelsteinbesetzten Stirnreif betrat den Raum. König Rex Faryen schloss die Tür hinter sich und ging zum großen Bett seines Sohnes hin.

      Sacris sah nicht auf und ließ seinen Blick stattdessen leer auf die gegenüberliegende Wand gerichtet. "Sohnemann, so geht das aber nicht …!", begann sein Vater in tadelndem Tonfall, "Müßiggang ist keine der Tugenden, die ich dir beigebracht habe." Sacris verharrte regungslos in seiner Lage und schwieg. Als sein Vater das sah, seufzte er, zügelte sein Temperament und setzte sich auf den Bettrand.