Nox Laurentius Murawski

Terra Aluvis Vol. 1


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und wartete schnaufend darauf, dass Lewyn ihm folgte.

      Die Höhle verlief nicht sonderlich tief und war zum anderen Eingang hin weit geöffnet. Eine Wand aus fließendem Wasser und tief herabhängenden Ranken verhinderten allerdings einen Blick auf das, was sich dahinter verbarg. Tropfende Felszapfen hingen von der Höhlendecke herab oder ragten aus dem rauschenden Wasser heraus – und mochten auf eine unheimliche Art und Weise das Gefühl vermitteln, sich eher im Rachen eines gierig aufgerissenen Tiermauls denn in einer Höhle zu befinden. Die verstärkte Strömung an der Felsenverengung betonte den unangenehmen Eindruck, jeden Moment verschluckt zu werden, dabei dermaßen, dass dem wartenden Prinzen ein Schauer über den Rücken fuhr …

      Sacris schüttelte diesen unangenehmen Gedanken ab und blickte auf einmal besorgt um sich. Sein Freund blieb allmählich ungewöhnlich lange fort. "Lewyn …?", fragte er unsicher und wartete auf irgendeine Antwort …

      Nichts.

      Plötzlich wurde der junge Mann unruhig und versuchte, etwas in den Tiefen des Flusses zu erkennen. "Lewyn …!"

      Wieder nichts.

      "Lewyn!" Sacris glitt ins reißende Wasser hinein und ließ sich zur Enge zurücktreiben. Als er dort untertauchte, spürte der Prinz, wie er unerwartet gegen etwas Weiches stieß. Sofort griff er danach und stellte erschrocken fest, dass es sich dabei um den Arm seines Freundes handelte. Lewyns Körper hing schlaff zwischen zwei schmalen, vom Grund her aufragenden Felsenspitzen fest und regte sich nicht.

      Angst machte sich in Sacris breit und er verhakte sich mit seinen Füßen in den Steinen, um nicht weiter fortgerissen zu werden. Er stemmte sich mit aller Kraft gegen die mächtige Strömung auf und versuchte, den Blonden vorsichtig, aber zügig zu befreien. Nach kurzer Zeit war es dem jungen Mann auch gelungen, sodass er seinen Freund nun sicher unter den Armen an der Brust umfassen und mit sich ziehen konnte.

      An der rauen Höhlenwand festklammernd brachte Sacris sich und seinen Gefährten von der Felsenenge fort. Doch ging sein Atem plötzlich gefährlich schnell zur Neige; und er spürte, wie sein Herz heftig zu pochen begann, sich die Finger an den Felsen verkrampften und seine Kräfte schwanden. Nein … Nein!

      Mit einem Mal bekam der junge Mann einen Vorsprung zu fassen und zog sie beide an die wild tosende Oberfläche. Sacris hielt sich, so gut er nur konnte, am Stein fest und schnappte atemlos nach Luft. Mit bangem Blick sah er zu seinem Freund, den er gegen den Felsen gelehnt hatte, damit dessen Kopf über dem Wasser blieb: Lewyn war vollkommen blass, seine Augen geschlossen und sein bläulich angelaufener Mund leicht geöffnet. Der Prinz starrte ihn entsetzt an und ergriff die eiskalte Hand, um nach dem Puls zu suchen …

      "Verdammt, Lewyn …! Nein, nein …! Nein! Sag, dass das nicht wahr ist- …!"

      – Sacris wachte schweißgebadet auf. Sein Herz raste und er rang verzweifelt nach Atem. Er stützte seine nasse Stirn auf den Händen ab und ballte diese zu zitternden Fäusten. "Nein …! Nicht … n-nicht schon wieder …!", keuchte der junge Mann und verbarg sein Gesicht im Ellbogen. Das konnte doch einfach nicht wahr sein! Warum verfolgte ihn dieser Alptraum seit jenem Augenblick?! Warum nur? Warum?!? Jener Tag hätte so schön werden sollen …! Der Tag, an welchem sie ihren Ausflug zu den Nayayami Wasserfällen hatten machen wollen …

      Die Prinzresidenz war in einem unbewohnten Landstrich errichtet worden. Die Menschen mieden die Küste nordwärts alles, was jenseits von Hymaetica Aluvis und dem Tal des Tical lag – zu sehr fürchteten sie, den Auen der Tausend Seen zu nahe zu kommen. Die Exenier und anderen Anderwesen wiederum schienen niemals südlich ihres eigenen Herzlandes zu gehen, als ob sie das Reich der Menschen ebenso mieden, wie die Menschen das ihrige.

      Allein die Durchgangszone zwischen den Anderreichen und den Auen der Tausend Seen in der Nördlichen Einöde bei der Grafenstadt Henx blieb ein stetiger Konfliktherd. Alles südwestlich davon war sowohl von den Menschen als auch von den Anderwesen unberührt; und in genau jenem Grenz­­bereich hatte sich Sacris seinen Wohnsitz errichten lassen. Dadurch konnte er sich mehr als alles andere sicher sein, dass er seine Ruhe hatte und ungestört seinen eigenen Angelegen­heiten nachgehen konnte.

      So begab es sich auch, dass die Wasserfälle, von denen der Prinz geträumt hatte, in ebenjenem Gebiet lagen und dass er mit seinem Freund gewisslich die einzigen Menschen waren, die überhaupt von ihrer Existenz wussten. Sie hatten jenen Ort einst bei einem ihrer vielen Ausflüge zu Pferd entdeckt und ihnen dann den Namen gegeben: 'Nayayami Wasserfälle'.

      Seltsamerweise wollte Sacris nicht mehr einfallen, warum sie diese Wasserfälle überhaupt so benannt hatten. Aber … das war nunmehr irrelevant. Er hatte im Moment ohnehin nicht das Gefühl, als würde er in nächster Zukunft so schnell dazu kommen, wieder einmal dorthin zu reisen … – und allein … schon gar nicht.

      Der Prinz ließ sich mit einem bedrückten Seufzer zurück in die Kissen sinken und sah sich um: Es war noch nicht ganz dunkel, ja, der Färbung des Himmels außerhalb seiner hohen Fenster nach zu urteilen, war die Sonne gerade dabei unter­zugehen. Der junge Mann verbrachte eine geraume Weile damit, lediglich die ruhigen Farbwechsel der Wolken zu betrachten – wie sie langsam ihr flammendes Orange verloren, eher rotstichig purpurfarben wurden … und schließlich in ein kühles Blauviolett verblassten, um die heranziehende Nacht einzuleiten …

      Sacris wandte seine Aufmerksamkeit danach seiner näheren Umgebung zu und bemerkte, dass man ihm ein großes Silbertablett mit einem reichhaltigen Buffet gebracht hatte. Der Prinz seufzte abermals und betrachtete das üppige Mahl auf dem Tisch unglücklich.

      Was sollte er bloß mit all dem Essen anfangen …? Am liebsten würde er alles Lewyn zukommen lassen. Er wusste ja nicht einmal, was sich sein Freund überhaupt auf den langen Weg eingepackt hatte …! Vermutlich nur etwas Brot und Trocken­fleisch und- … Ach, er wollte gar nicht daran denken und stattdessen lieber aufstehen, so schmerzte es ihn doch nur wieder in seiner Brust.

      Der junge Mann ging zum Waschbecken in seinem Bade­zimmer nebenan, ließ etwas kaltes Wasser hinein und wusch sich das Gesicht. Mit einem anschließenden Blick in den Spiegel stellte Sacris erschrocken fest, dass er einfach nur fürchterlich aussah. Dass seine zerzausten Haare stets nur das taten, was sie wollten, und sich nicht im Geringsten darum scherten, wenn er versuchte, sie auch nur ansatzweise in etwas wie eine Frisur zu bringen, war ihm ja nichts Neues; aber nun kam diese ungewöhnliche Blässe im Gesicht und dann auch noch diese rot unterlaufenen Augen mit dunklen Ringen hinzu …!

      Als sich der Prinz für einen Moment selbst in diese Augen sah, schüttelte es ihn innerlich. Ihr Ausdruck bereitete ihm mehr als Unbehagen, sodass er sein Gesicht prompt wieder im Becken versenkte.

      Anschließend kehrte Sacris in sein Schlafzimmer zurück und zog sich eine dunkelbraune, bequeme Hose sowie ein lockeres, weißes Hemd an, welches er nur zur Hälfte zu­­knöpfte. Nachdem er einen Schluck Wasser aus einem Glas vom Tablett getrunken hatte, verließ er seine Gemächer.

      Der junge Mann schlich mehr denn dass er schritt durch die mit Fackeln beleuchteten Gänge des Palastes, ohne dass er seine Umgebung wirklich wahrnahm. Nachdem Sacris seinen Vater im privaten Teil des Königshauses nicht auffinden konnte, beschloss er, im öffentlichen Bereich nach ihm zu suchen.

      Auf einem abgelegenen Gang kamen dem Prinzen unerwartet einige angeheitert schnatternde, adlige Frauen entgegen. Doch war er geistesabwesend genug, um sie nicht zu bemerken und einfach an ihnen vorbeizugehen. Die Damen wiederum hielten herzlich wenig davon; denn als sie den königlichen Thronfolger erkannten und auch noch feststellten, dass er ohne Begleitung war, blieben sie begeistert – und in ihrem Rausch leicht taumelnd – vor ihm stehen, um seine Aufmerksamkeit zu provozieren.

      Sacris fielen die betrunkenen Frauen erst auf, als sie ihm direkt den Weg versperrten. Er blinzelte verwirrt in die Runde und verstand nicht, warum sie ihn angehalten hatten. "Na, aber hallo, Mädels! Wen haben wir denn da …?", zwinkerte ihm eine leicht bekleidete, schlanke Kayranerin verführerisch zu, "Eure Königliche Hoheit, heute so ganz allein unterwegs?" Ihr Kichern klang unangenehm kratzig in seinen Ohren.

      "Also wirklich, mein Sssüßer, du sssiehst ja richtich niedergeschlag'n aus …!", stellte eine aufreizende Lunidin zu seiner Rechten