Nox Laurentius Murawski

Terra Aluvis Vol. 1


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mit einem leichten Druck der Fersen zu verstehen, dass er bereit war – was sich Concurius nicht zwei Mal sagen ließ und über die mondbeschienenen Weiden davongalloppierte.

      Es war eine klare Sommernacht. Der junge Mann hatte sich flach auf seinen Hengst gelegt und gab mit den Händen in dessen Mähne nun ihre grobe Richtung vor. Dabei ließ er seinen Rappen den Weg ohnehin fast gänzlich frei wählen; so mied Concurius von sich aus die Stadt und das war ihm im Moment nur recht.

      Sacris schloss die Augen, sog dabei die frische Nachtluft ein und ließ den Reitwind sein wildes Haar durchkämmen. Ein leises Lächeln umspielte seine Lippen … Ja, hier gehörte er hin – nicht in die Stadt, nicht hinter Mauern aus Stein, nicht hinter ein Kostüm aus Puder und Rüschengewändern. Je mehr der Prinz damit konfrontiert wurde, desto stärker wurde sein Verlangen, sich davon zu distanzieren.

      Sacris lachte trocken auf und dachte bei sich: 'Und du willst der Prinz sein …!? Als König erwartet dich doch ein einziges Leben hinter diesen Toren aus Trug und Glanz!' Er schlug die Lider wieder auf und stellte fest, dass Concurius auf den Tical zuritt. Ja, sollten sie ruhig zum anderen Ufer wechseln … Die Hänge dort drüben waren ohnehin üppiger und die Stadt auf jener Seite auch nicht derartig ausgedehnt wie auf der hiesigen.

      Der Tical war ein recht breiter und tiefer Fluss, welcher bei seinem Delta in der Bucht von Hymaetica allerdings nur über eine sehr ruhige, gemäßigte Strömung verfügte. Sacris stieg von seinem Rappen herab und tauchte ohne zu zögern ins dunkle, kalte Wasser hinein, um zum anderen Ufer zu gelangen. Concurius folgte ihm ohne Umschweife, sodass sie nun gemeinsam durch den großen Fluss schwammen.

      Sacris genoss es, die Kühle der Strömungen an seinem Körper zu spüren … Es war ein gewisses Gefühl von Freiheit, das damit einherging – denn wilde Strömungen wie diese gab es in keinem der Luxusbäder der Paläste. Der Prinz seufzte befreit und ließ sich von den glitzernden Reflexionen des Mond­lichtes umspielt auf den sanften Wellen davontragen …

      ***

      Lewyn blickte nachdenklich zum Sternenhimmel hinauf, während er auf einer Strohmatte lag und die Arme hinter seinem Kopf verschränkt hielt. Seine Stute Lydia graste gemächlich in der Nähe und schnaubte ab und zu leise auf, wenn sie das ein oder andere Ungeziefer mit einem mächtigen Schwung ihren Schweifes abwehrte. Knisternd verzehrte das Lagerfeuer die Äste und schenkte mit seinen züngelnden Flammen beruhigende Wärme und Licht. Die Insekten in den dichten Gräsern um sie herum zirpten unablässig, während in der Ferne der Nacht gelegentlich der einsame Ruf eines Vogels erklang …

      Lewyn ließ seinen Blick über die zahllosen Sterne schweifen, bis er an einer bestimmten Konstellation hängenblieb. Es war ein gewundenes Sternbild – einem Drachenschwan ähnelnd – welches die Menschen 'den Suchenden' nannten. Der hell­haarige Mann betrachtete das Bildnis am Himmels­gewölbe unter all den anderen Gestirnen … und fragte auf einmal verloren in die Nacht hinein: "Was suchst du, Lewyn …? Was suchst du …"

      Der Blonde hielt die rechte Hand in die Höhe und betrachtete seine Fingerspitzen. Dieses Kribbeln … Es war so eigenartig gewesen, so befremdlich und so, so- … – Lewyn konnte es einfach nicht in Worte fassen. Er wusste lediglich, dass das Kribbeln in jenem Augenblick nicht nur durch seinen Körper, sondern durch sein Innerstes, seine Seele selbst, gegangen war.

      Und die Augen jenes rätselhaften Jungen erst …! Das sonderbare Feuer in ihnen war auf ihn, Lewyn, übergesprungen und hatte eine unerklärliche Glut in ihm entfacht. Jene Glut versengte ihn seit jenem Moment und versetzte ihn dadurch in einen Zustand unsäglicher Unruhe, der ihm nun arge Mühe bereitete, an Ort und Stelle zu verharren. Am liebsten würde er sofort weiterziehen und erst dann wieder zum Stillstand kommen, wenn er sein Ziel endgültig erreicht hatte.

      Es fühlte sich an, als würde sich sein Geist in einem undurchdringlichen Nebel befinden – und seine Gedanken irrten wirr und formlos umher, ohne klare Gestalt anzunehmen. Nur in einer Richtung befand sich eine kleine Öffnung, zu welcher hin sich alles in ihm auszurichten schien. Es zog und zerrte den Blonden zu jenem Punkt hin, ja, als gäbe es keine andere Möglichkeit, außer dem inneren Streben nachzugeben und sich von diesem Sog mitreißen zu lassen …

      Das Feld der Himmelsspeere … Der Berg des Ahiveth … Celine …

      Es war vollkommen in Ordnung; so kam dem jungen Mann schließlich nichts in den Sinn, was ihn hätte ernsthaft davon abhalten sollen, sich diesem tosenden Strom hinzugeben und sich darin zu verlieren …

      Sie wartete auf ihn, … wartete darauf, dass er sie dem sicheren Tod entriss, … ja, dass er sie diesen Wesen entriss, bevor sie geopfert wurde …! Nein, sie würde nicht sterben – und wenn er sich selbst dafür opfern musste. Er, Lewyn, würde erfahren, wer für all die Zwietracht zwischen den Menschen und Elfen verantwortlich war; und er würde mit eigenen Augen sehen und begreifen, warum sie es getan hatten …

      Er würde Zeugnis ablegen vor den Menschen und vor den Elfen und vermeiden, dass weitere Opfer gebracht wurden – und vor allem verhindern, dass ein Krieg ausbrach. Er würde zum Berg des Ahiveth gehen und zurückkehren … mit Celine an seiner Seite. Er durfte nicht scheitern- … Nein, falsch: Er durfte das Scheitern nicht überleben.

      ***

      Sacris fuhr mit seinen Fingern über die raue, verkohlte Oberfläche der Holzmühle und fühlte dabei, wie kleine Kohlebrocken ins hohe, taubedeckte Gras hinabrieselten. Er zog seine Hand zurück und betrachtete ihre Innenfläche im kühlen Mondlicht: Sie war schwarz verdreckt und staubig. Der dunkelhaarige Mann strich mit ihr durch das feuchte Gras und meinte, den Ruß daran abgewischt zu haben. Als er seine Hand wieder zum Vorschein brachte, merkte er jedoch, dass der Ruß lediglich verschmiert und gleichmäßiger verteilt worden war.

      Sacris runzelte die Stirn in Unbehagen und ließ den Blick von seiner Hand zur niedergebrannten Ruine schweifen, … bevor er wieder zu Concurius schritt und gemeinsam mit ihm Hang aufwärts weiterging.

      Hinter ihnen lag Hymaetica Aluvis und zu ihrer Rechten das endlose, dunkle Meer. Gemächlich liefen sie über die Wiesen der Steilhänge, welche zum Sandstrand des Ozeans überleiteten – bis sich am Horizont eine Baumsilhouette gegen das Gras und die weit dahinter liegende Bergwand abzeichnete.

      Der Prinz begrüßte das sanfte, ihm so sehr vertraute Blätter­rascheln des großen, alten Baumes mit traurigem Blick. Dieser hatte einen derart breiten Stamm, dass eine Hand voll Männer ihn nur schwerlich umfassen mochten. Dazu besaß er eine prächtige, ausladende Krone mit so vielen starken Ästen und feinsten Zweigen, dass selbst der Baum der Väter aus dem Palast vor Neid erblassen würde, wenn er diesen holzigen Bruder hier an den Küstenhängen je zu sehen bekäme.

      Das Meer rauschte mit der weiten Wiese und den zahlreichen Blättern des alten Baumes im Akkord, während die Nacht weiter voranschritt. Mit einem schwermütigen Seufzen ließ sich der Prinz bei den stattlichen Wurzeln des Baumes nieder, lehnte sich an den knorrigen Stamm und lauschte mit einem nostalgischen Lächeln den Klängen des Windes …

      "Meine Güte, was ziehst du denn für ein Gesicht …?", lachte Lewyn, während er seine Hände in die Seiten stemmte und sich zu seinem Freund hinabbeugte. Sacris, welcher vor ihm im Gras saß, blickte sichtlich schlecht gelaunt zu ihm auf und entgegnete in zynischem Tonfall: "Was soll ich deiner Meinung nach sonst tun? Etwa heiter rufen: 'Juhu, mein Vater liegt im Sterben – Lasst uns feiern'?!" Der Blonde schüttelte lächelnd den Kopf, setzte sich zu ihm an den großen Baum und legte den Kopf schief, während er zum Meer am Horizont blickte …

      "Nein", meinte Lewyn nach einer Weile ruhig, "Aber würdest du ihm mit einem fröhlichen Gesicht die ihm noch hier auf Erden verbliebene Zeit nicht wesentlich verschönern, anstatt ihn mit einem Herz voll Trauer in die andere Welt zu entlassen?" Als sein Freund auf diese Worte hin nichts erwiderte und lediglich voll Verdruss vor sich hin starrte, fügte der Blonde mit einem aufmunternden Blinzeln hinzu: "Doch an deiner Stelle würde ich ihn gar nicht erst so schnell aufgeben. Ich denke nämlich, dass er sich erholt und schon bald wieder ganz der Alte ist", und er seufzte nachdenklich, lehnte sich etwas an seinen großen Gefährten und sandte den Blick zum fernen Meer hinaus, "Vertraue der Zeit, Sacris, einfach der Zeit …"

      Da