Nox Laurentius Murawski

Terra Aluvis Vol. 1


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Frau gerade wieder erheben, als der Blonde völlig unvermittelt in wesentlich sanfterem Tonfall zu erzählen begann: "Sie ist immer wie eine Schwester für mich gewesen … Meine Eltern haben Celine nach dem Tod ihrer Mutter bei uns aufgenommen – auch wenn sie darauf bestanden hat, das Hand­werk ihrer Mutter fortzusetzen und auf eigenen Beinen zu stehen …", der junge Mann atmete wehmütig aus und fuhr sich durch die offenen Haare, "Sie will stets den Menschen helfen, wie es ihre Mutter ihr Leben lang getan hat. Die Menschen in ihrer Siedlung lieben sie dafür. Sie hat die Kranken geheilt und den Schwachen geholfen, ganz ungeachtet ihrer Herkunft und ihres Standes – einfach nur geholfen, wo sie konnte …"

      Sheena hatte sich wieder gesetzt und lauschte seinen Worten still angespannt. "Sie ist stark und hat so viel von ihrer Kraft an ihre Mitmenschen abgegeben, dass ich sie einige Male habe davon abhalten müssen, sich ganz in ihrer Arbeit und Hingabe zu verzehren!", Lewyn schüttelte nieder­geschlagen den Kopf, "Eine sehr ungesunde Leidenschaft …" Er lachte kurz auf und ergänzte traurig: "Frech und eigensinnig ist sie aber wie keine andere …! Und so lebendig und auf­geweckt, doch gleichzeitig sanftmütig und einfach … einfach herzensgut …"

      Dann verschwand das Lächeln des jungen Mannes jedoch und er senkte sein Haupt, dass die Haare gänzlich seine Augen verdeckten. "Und ausgerechnet sie …!", meinte er kaum hörbar, "Das hat sie nicht verdient …! Niemand hat es so wenig verdient wie sie – so selbstlos, wie sie ihr Leben geführt hat …!" Lewyn ballte seine Hand zur Faust. "Ich bereue es, dass ich in letzter Zeit so selten bei ihr gewesen bin, … mich kaum noch um sie gekümmert habe, auch wenn sie schon längst selbstständig genug ist, dass sie mich ohnehin nicht mehr braucht …!"

      Der junge Mann wandte seinen Kopf ein wenig in Sheenas Richtung, jedoch nicht weit genug, als dass sie seine Augen hätte sehen können. Dabei öffnete er seine Faust und hielt sie vor sich. "Als mein Vater auf dem Sterbebett lag, hat er meine Hand erfasst und gesagt: 'Nun liegt es an dir, dich um sie zu kümmern und dafür zu sorgen, dass ihr nichts passiert – Mein Sohn, beschütze sie, denn sie ist unser größter Schatz. Beschütze sie, was es auch kosten mag. Beschütze sie, … denn ohne sie … sind wir …'"

      Lewyns Stimme war zum Schluss hin immer leiser und schwächer geworden. Er stützte die Stirn auf seinem Unterarm ab, sog die kühle Luft der Nacht ein und sprach nun etwas bestimmter: "Er hat den Satz nie zu Ende gebracht. Und ich habe das Gefühl, die vollständige Bedeutung seiner Worte bis heute nicht verstanden zu haben …"

      Als der Blonde jedoch versuchte, genauer darüber nachzudenken, begannen seine Gedanken plötzlich wirbelartig um seinen Geist herumzuschwirren; und er erkannte das beun­ruhigende Gefühl wieder, sich in einem starken Sog zu befinden, dem er nicht entfliehen konnte …

      Das Gesicht seines Vaters erschien, während jener ihm die letzten Worte nochmals mitteilte … Celines unbeschwertes Lachen in der Ferne … Das eigenartige Gefühl, als seine Hand die Finger jenes Jungen berührte … Sacris' verzweifeltes Gesicht, während er auf ihn einredete, um ihn von seiner Reise abzuhalten! – Der geheimnisvolle Ausdruck in den Augen jenes Jungen – Sacris, wie er mit wehendem Mantel in der Menge verschwand …

      Stille um ihn herum. Leises Kribbeln. Da war mehr. Er wusste es.

      Lewyn schrak auf, als ihn etwas heftig an der Schulter schüttelte. Als er die Augen öffnete, begegnete ihm das besorgte Gesicht eines zerzausten Wildschopfes. "Shee…na …", murmelte er und blinzelte einige Male. Lydia lag nicht mehr auf dem Boden, sondern trabte unruhig auf der Stelle. Er saß seltsamerweise auch nicht mehr, sondern befand sich rücklings im Gras. Seine Hände zitterten.

      Der Blonde schüttelte heftig den Kopf, atmete einmal tief durch und stand auf. "Was … w-was war das gerade …?", hörte er das Mädchen unsicher fragen. "Was war 'was'?", entgegnete Lewyn abgewandt und versuchte, sich von seiner Aufgewühltheit nichts anmerken zu lassen. "Na … n-na, das eben …! D-du hast geredet un' dann warste auf einmal ganz still, un' ... un' dann haste dich gekrümmt und mehrmals gezuckt wie wild u-un' bist dann einfach nach hinten umgekippt u-un' ich weiß nich'!"

      Lewyn warf ihr einen flüchtigen Blick zu, ehe er sich zu der Stute wandte und ihr betont langsam über den Rücken strich. "Ich weiß nicht, was mit mir geschieht …", sprach er dann leise. Das Mädchen trat vorsichtig näher. "B-bist du krank oder so? Es … 's gibt bestimmt irgendwas, um das z-" Doch der junge Mann wandte sich jäh um und unterbrach sie mit erhobener Hand und festem Blick. "Gute Nacht, Sheena. Unser Gespräch ist hier beendet. Ruhe dich aus, denn morgen werden du und dein Bruder zur Hauptstadt der Menschen aufbrechen." Lewyn ließ seine Hand wieder sinken und stieg auf sein Pferd auf. Er klopfte Lydia auf den Hals und machte Anstalten, loszureiten.

      Das Mädchen stand mit geöffnetem Mund vor ihnen und wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Aber gerade, als der junge Mann seiner Stute einen leichten Druck mit den Fersen versetzt hatte, rief sie ihm zu: "Wie … w-wie heißt du überhaupt?" Das Pferd kam wenige Schritte von ihr entfernt wieder zum Stehen, während sich der Umriss ihres Reiters dunkel gegen den Mond abzeichnete. "Lewyn", meinte er nur knapp und ritt von dannen.

      Der Geruch von gebratenem Fleisch ließ Sheena mehrmals verwundert schnuppern, bevor sie – noch ein wenig verschlafen – ihre Augen öffnete … Leicht geblendet von der Morgensonne erblickte sie die Gestalt eines jungen Mannes, welcher gerade mehrere Fleischstücke über einem Lagerfeuer röstete. Wer um alles in der- … Aber dann erinnerte sie sich wieder an alles und saß auf einmal kerzengerade auf ihrer Decke. Moment, Decke? Sie hatte beim Einschlafen keine gehabt, woher denn auch …?! Ein wenig verlegen räusperte sich das Mädchen und suchte nach Worten.

      Lewyn bemerkte, dass sie wach geworden war, und wandte sich gelassen zu ihr um. "Guten Morgen." Sheena, welche ihn zum ersten Mal bei Tageslicht erblickte, war sprachlos. Ihr Mund war zwar zum Sprechen geöffnet, doch kam wie in der Nacht zuvor kein Laut über ihre Lippen. Er war … schön. Sie war fasziniert von diesen kristallblauen Augen und ihrem so tief gehenden Ausdruck …! Und … und diese Haare erst …! Wie flüssiges Gold tanzten sie im Sonnenlicht und schienen so weich wie Samt …

      "Stimmt etwas nicht?", riss sie der junge Mann aus den Gedanken. "I-ich …", Sheena zupfte unbewusst an ihren eigenen, verfilzten Strähnen und merkte, wie sie rot wurde. Plötzlich wehte allerdings ein besonders deftiger Fleischduft zu ihr herüber und ein unmissverständliches Knurren durchbrach die peinliche Stille, "… ich h-hab' Hunger, hehe." Sie lachte verlegen und kratzte sich am Hinterkopf, während ihr Gegenüber ein leichtes Schmunzeln sehen ließ.

      Lewyn drehte sich wieder zum Feuer hin, nahm eines der drei Stöcke aus dem Boden, auf denen das Fleisch aufgespießt worden war, und hielt es ihr mit einem höchst amüsierten Grinsen hin. "Hier, iss", meinte er vergnügt, "Bevor dein Bruder noch durch die Hungerschreie deines Magens aufwacht …" Sheena plusterte sich in Empörung auf, nahm den Stock dann aber still entgegen und begann, davon zu essen.

      Der Blonde indes stand auf, ging zum Waldrand und holte eine Hand voll mittelkleiner Äste, die er anschließend neben sich ins Gras fallen ließ, um sie einzeln nach und nach ins Feuer zu geben. "Wo hast du eigentlich so gut Schießen gelernt?", fragte er auf einmal mit einem Kopfnicken zur Armbrust in ihrer Nähe. Das Mädchen verschluckte sich beinahe, als sie das implizierte Kompliment vernahm, fing sich aber, kaute zu Ende und antwortete: "Naja … Mein Vater is' immer mit mir jag'n gegang'n. Nur irgendwie find' ich hier, seit er weg is', kaum noch wilde Tiere zum Erleg'n …!" Ihr Blick fiel dabei auf das angebissene Stück Fleisch in ihren Händen … und sie verstummte. Offensichtlich hatte ihr Gegenüber keine Probleme diesbezüglich gehabt. Sheena seufzte resigniert, ließ ihre Schultern hängen und fügte hinzu: "Vielleicht mach' ich auch einfach was falsch …"

      Da musste Lewyn lachen. "Das passt nun überhaupt nicht zu dir: Eine Wildkatze wie du würde doch niemals so leicht aufgeben!", und er blinzelte ihr zuversichtlich zu, "Du hast noch viel Zeit. Irgendwann bekommst du den Dreh sicher raus."

      Das Mädchen bemerkte fasziniert, dass der junge Mann tatsächlich in der Lage war, sogar von innen heraus zu strahlen. Sie war vom Ausmaß seiner Ausdrucksfähigkeit einfach überwältigt. Bis auf Kayne und ihren Vater war Sheena ansonsten nur Menschen begegnet, die sie eiskalt abgewiesen und fortgeschickt hatten. Und hier saß sie auf einmal zusammen mit ihrem Bruder